Menschen ohne Job betrachten Arbeitslosigkeit zunächst als vorübergehenden Zustand. Den Wegfall regelmäßiger Verpflichtungen erleben manche durchaus positiv als Befreiung und Entlastung, in der Anfangsphase kann sich das Wohlbefinden sogar verbessern. Erst etwa ein halbes Jahr später, so haben Wissenschaftler festgestellt, kommt der Einbruch. Eine Untersuchung von Schulabgängern durch den Bremer Arbeitslosenforscher Thomas
Kieselbach ergab nach sechs bis neun Monaten erhebliche Unterschiede im psychischen Gesundheitszustand zwischen Jugendlichen, die arbeitslos wurden, und einer Vergleichsgruppe, die an einem Trainingsprogramm der Arbeitsagentur teilnahm.
Auf Dauer wirkt die ungewisse Situation auf die meisten Menschen zermürbend und beeinträchtigt die körperliche Gesundheit. Symptome wie Depressivität, Ängstlichkeit, Schlaflosigkeit, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen und Nervosität listet die Weltgesundheitsorganisation auf. Die Wissenschaft geht von einem "Vierphasenmodell" aus, das als typische Stationen Schock, Optimismus, Pessimismus und Fatalismus enthält. Auf das lähmende Erlebnis der Kündigung folgt ein aktiver Prozess der Stellensuche. Schlagen diese Bemühungen fehl und kommen gleichzeitig finanzielle oder familiäre Probleme hinzu, können sich psychische Schwierigkeiten häufen. Schleichend geht das Gefühl für die eigenen Kompetenzen verloren, Psychologen beschreiben einen "inneren Schrumpfungsprozess". "Jede weitere Absage ist dann ein Angriff auf das Selbstwertgefühl", sagt Christine Morgenroth, Therapeutin in Hannover. Die Dauer der Arbeitslosigkeit wird zum Problem; schließlich ist die letzte Stufe, die der Resignation, erreicht.
Gerade für Männer bedeutet Erwerbsarbeit eine Art "Heimat", ein Gegengewicht zum weiblich geprägten Familienleben. Für sie ist der Verlust der Stelle ein besonderes Trauma, weil sie sich im Gegensatz zu Frauen nicht auf anerkannte Alternativrollen wie Hausarbeit oder Kindererziehung zurückziehen können. Akzeptiert werden bestenfalls unbezahlte (oder schwarz honorierte) Dienste für Freunde, Bekannte oder Ex-Kollegen. Irgendwann aber ist das Auto repariert, die Wand tapeziert und die Küche frisch getüncht.
Anfangs mag es ein Genuss sein, lange schlafen zu können, gemütlich zum Bäcker zu schlendern und dann lange zu frühstücken. Allmählich aber kriecht das Gefühl von Leere hoch, zumal das Geld für die Brötchen und den Kaffee um die Ecke nicht mehr so locker sitzt. Demoralisierung und Langeweile machen sich breit. "Dass das Zuhausesein auf die Nerven geht", so charakterisieren Befragte der Bremer Studie eine wesentliche Belastung. Sie geben an, sich selbst Vorwürfe zu machen, sich zu langweilen und das Gefühl zu haben, dass andere auf sie herabblicken.
Die Folgen von Arbeitslosigkeit beeinträchtigen nicht nur die Betroffenen selbst. Auch die "Opfer durch Nähe", wie sie die Wissenschaftler nennen, geraten in eine Abwärtsspirale: Menschen, die mit Erwerbslosen eng zusammenleben. Kinder leiden unter der Situation und den verschlechterten finanziellen und sozialen Bedingungen. "Arbeitslosigkeit und Armut machen krank - bis in die folgende Generation", warnt Rudolf Henke von der Bundesärztekammer.
"Niemand hält dauerhaft eine Situation aus, in der seine Ziele nicht mit seinen Möglichkeiten in einem ganz zentralen Bereich wie Arbeit in Übereinstimmung sind", fasst Arbeitslosenforscher Kieselbach zusammen. Selbst schwere und schlecht bezahlte Arbeit lässt sich besser verkraften als erzwungene Passivität über Jahre und Jahrzehnte hinweg. Wo fast alle Lebenschancen an Job und Einkommen geknüpft sind, bleibt es den Betroffenen verwehrt, sich am wichtigsten Wertmaßstab für soziales Prestige zu orientieren. Arbeitslosigkeit belegt wie kein anderes Phänomen den immer noch zentralen Stellenwert von Erwerbsarbeit in der Gesellschaft.