They are moving?", fragt der junge Mann seine kleine englischsprachige Besuchergruppe, die er durch das Jakob-Kaiser-Haus führt, etwas beunruhigt, ob er das bewegte Kunstwerk auch in Aktion vorführen kann. Die Kunstinteressierten konzentrieren ihren Blick steil nach oben, um die kleinste Bewegung auszumachen. "No", etwas enttäuscht, dann rufen sie freudig "Yes!". Kein Stillstand in der Eingangshalle des Jakob-Kaiser-Hauses. Die Boote, die von der Hallendecke an Stahlseilen hängen und von Motorwinden nach dem Zufallsprinzip betrieben werden, tauchen in die Hallenschlucht ab und wieder auf. Ganz langsam, behutsam, ohne viel Aufhebens, jedes in seinem eigenen Rhythmus. Statt sich wie mit dem Wasserlauf vorwärts zu bewegen, entsprechend der Natur dieses Fortbewegungsmittels, hängen sie in der Luft und gehen lediglich hoch und runter. Der Verfremdungseffekt hat auch bei diesen Besuchern große Wirkung. Und selbst diejenigen, die in ihrem Arbeitsalltag hier mehrmals täglich vorbeikommen, sind doch immer wieder verblüfft oder zumindest erheitert über das Treiben der Boote. Andere hingegen schütteln nur verwundert den Kopf - unberührt bleibt von dem Kunstwerk fast niemand.
Der englischsprachige Kunstführer an diesem Nachmittag muss zugeben: Er wisse nicht, was das Kunstwerk wirklich bedeuten soll. Nur eines könne er erklären, die vier Farben der Rennachter: Schwarz, rot, gelb für Deutschland, blau für Europa. Ob das wirklich so gemeint ist von der Künstlerin, bleibt ihr Geheimnis. Denn zur Interpretation ihrer bewegten Skulptur im Parlamentsgebäude hat Christiane Möbus keine Hinweise mitgegeben. Sie vertraut auf die Phantasie der Betrachter und bietet die Möglichkeit zu eigenen Schlüssen ihres Kunstwerks mit dem Namen "Auf und ab und unterwegs".
Es sind vier Original-Rennachter in kräftigen Farben, jeder etwa 17 Meter lang mit Platz für acht Ruderer und einen Steuermann. Vor den Sitzen steht jeweils ein Paar nagelneuer Sportschuhe, als hätten die Ruderer eben gerade das Boot verlassen. Fast wie Sisyphos ertragen die Rennachter ihren Endlos-Leerlauf, längst haben sie sich verselbständigt und wirken in der falschen Bewegungsrichtung surreal und ironisch. Diese Selbstbewegung hat etwas Geheimnisvolles und ist von unberechenbarer Präzision. Die Ruderboote bieten viele Interpretationsmöglichkeiten: Die einen sehen darin eine Anspielung auf die Spree, die unweit durch das Parlamentsviertel fließt, andere den Wettbewerb unter Gleichen in der Demokratie. Hier im Jakob-Kaiser- Haus, in dem viele Fraktionen ihre Büros haben, symbolisieren sie aber für viele auch "das Auf und ab" der Politik, das "Rudern" um einen Kompromiss und das Lebendige in der Politik, die immer in Bewegung und unterwegs ist.
Christiane Möbus, 1947 in Celle geboren, lehrt seit 20 Jahren Bildende Kunst mit Schwerpunkt Bildhauerei, seit 1990 auch in Berlin an der Universität der Künste. Die Bildhauerin beschäftigt sich hauptsächlich mit Objekt-Kunst, die oft Humor und eine gewisse Ironie durchschimmern lässt. Ihre Objekte und Installationen haben fast immer etwas von flüchtiger Begegnung, die dargestellten Situationen handeln meistens von Luft und Wasser, vom Fliegen und Schweben und wirken flüchtig, als wären sie nur zufällig so, wie sie da gerade vor einem liegen oder schweben. Ihre Objekte stellen Sichtweisen und Logik auf den Kopf und drängen meistens in die Ferne oder in die Höhe. Manchmal erwischt man im Jakob-Kaiser-Haus den seltenen Moment, in dem alle Boote auf selber Höhe stehen. Wie auf dem Foto, das Jens Liebchen von der Künstlerin vor ihrem Werk gemacht hat: Eine große schlanke Frau mit Pagenschnitt, etwas zurückhaltend, aber direkt in die Kamera blickend, steht vor ihren Booten, die alle meterhoch hinter ihr hängen, als würden sie auf ein Startsignal von ihr warten. Christiane Möbus aber scheint auf den Auslöser zu warten, hält mit einer Hand den anderen Unterarm fest. Bald wird sie die Boote auf ihre endlose Fahrt zum Himmel schicken: Auf und ab und unterwegs. Kunst und Architektur gehen in dieser Installation eine geglückte Beziehung ein - ein Kunstwerk im Einklang mit der Architektur. Durch Christiane Möbus Werk erhält die Halle mit seinen Brücken, Treppen und Geländern etwas Poetisches und wird ganz nebenbei zur künstlerischen Attraktion im Jakob-Kaiser-Haus.