Die deutsche Wirtschaftsgesellschaft hat sich in den vergangenen Jahren erheblich in neoliberaler Richtung verändert. Es gibt weniger soziale Sicherheit bei mehr Eigenverantwortung, weniger Arbeitnehmerrechte bei mehr unternehmerischer Entscheidungsfreiheit, weniger Staat bei mehr Markt, Freiheit des Kapitalverkehrs statt Kontrolle. Zu diesem übereinstimmenden Ergebnis kommen zwei Autoren neuer wirtschaftpolitischer Sachbücher, die ansonsten unterschiedlicher kaum sein könnten.
Thomas Hanke ist Journalist beim "Handelsblatt". Das Fazit seines Buches lautet, dass die Umstrukturierungen des Arbeitsmarktes und der Kapitalmärkte bereits viel weiter vorangeschritten seien als dies die stets weitere "Reformen" fordernden Lobbyisten der Unternehmerverbände wahrhaben wollten. Hankes Buch ist deutlich journalistisch geprägt, was auch das Fehlen eines strukturierenden Motivs und bei vielen der angesprochenen Punkte Oberflächlichkeit bedeutet. Gelegentlich überschießt der journalistische Stil, so etwa bei einer Kapitelüberschrift wie "Saufen für den Regenwald".
Auch Rudolf Hickel konstatiert weitgehende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Der Bremer Wirtschaftsprofessor und bekannte Kritiker der angebotsorientierten Wirtschafts- und Sozialpolitik ist jedoch anders als Hanke weit davon entfernt, den "neuen deutschen Kapitalismus" (Hanke) zu begrüßen. Seine ablehnende Haltung gegenüber der vorherr- schenden Politikberatung und deren praktischer Ergebnisse sind der Leitfaden, der sein hervorragend lektoriertes Buch durchzieht. Dennoch bemüht sich auch Hickel weitgehend erfolgreich um verständliche Lesbarkeit. Das wäre noch besser gelungen, wenn der Autor auf eine zwar berechtigte, jedoch eher ökonomische Insider interessierende Polemik gegen Konzept und Erfinder der "Basarökonomie" verzichtet hätte.
Beide Autoren beziehen sich auf das bekannte Heuschrecken-Zitat des heutigen Bundesarbeitsministers Franz Müntefering: "Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplatz sie vernichten. Sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter." Hickel stimmt dieser Kritik zu, wenngleich ihm das Heuschrecken-Bild nicht gefällt. Hanke reagiert mit Abscheu auf diese Sichtweise.
Für Hanke ist die "Einwanderung" ausländischen Kapitals ein Segen, der als Folge der deregulierenden Politik unter anderem im Zuge der europäischen Integration (Währungsunion) und vor allem der Globalisierungsinstitutionen nicht hoch genug bewertet werden könne.
Auch Rudolf Hickel wendet sich nicht generell gegen ausländische Investitionen in Deutschland oder von deutschem Kapital im Ausland. Anders als Hanke aber geht Hickel fundiert und konkret auf die Art der Investitionen und auf deren gesellschaftliche Konsequenzen ein. In einem eigenen Kapitel erklärt Hickel die "unheimliche Macht von Hedgefonds und Heuschrecken". Der Wirtschaftsprofessor verlangt Einschränkungen der oligopolistischen, teilweise monopolistischen Ansammlung von Marktmacht, die jedem Wettbewerbsgedanken Hohn sprächen.
Während Hickel sich vor allem mit Hinweis auf soziale und ökonomische Folgekosten gegen den Vormarsch privater Finanzinvestoren wendet wird die gleiche Entwicklung von Hanke euphorisch gelobt: "Finanzinvestoren werden (...) zum wichtigen Motor des Wandels in Deutschland."
Hanke sieht die neoliberale Veränderung der deutschen Wirtschaftsgesellschaft als alternativlos. Hickel verweist darauf, dass der Neoliberalismus in den letzten 30 Jahren die Massenarbeitslosigkeit auf immer neue Höhen getrieben habe. In einem abschließenden Kapitel benennt er Alternativen für eine andere Wirtschaftspolitik. Er wendet sich nicht gegen die Globalisierung, sondern will sie sozial und nicht zuletzt auch ökologisch steuern.
Hanke möchte die von ihm positiv gesehene Entmachtung des Staates durch einen Ausbau bürgerschaftlichen Engagements begleiten, freilich ohne fundierte Kenntnisse der bürgergesellschaftlichen Debatte. So wirft er etwa der SPD fälschlicherweise mangelndes Engagement für die "Bürgergesellschaft" vor.
Fazit: Hankes Buch unterscheidet sich nicht in der Zielsetzung,
wohl aber im Realitätsbezug von der Flut der neoliberalen
"Reform"-Bücher, die mit faktisch immer den gleichen
Argumenten des ökonomischen Mainstreams eine forcierte Politik
des Sozialabbaus und der Entstaatlichung als Allheilmittel für
die deutsche Wirtschaft sehen. Positiv ist zu bewerten, dass Hanke
die bereits erfolgten "Reformen" beschreibt.
Hickel verweist auf gravierende soziale und ökologische
Konsequenzen, vor allem aber auf die nachgewiesene Erfolglosigkeit
jener neoliberalen Politik. Er kritisiert die Selbstimmuniserung
des Neoliberalismus, der jeden Fehlschlag bei der Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit mit immer weitergehenden "Reform"-Forderungen
bemäntele. Es müsse, so Hickel, nicht mehr von der
falschen, sondern andere Medizin verabreicht werden.
Es liegen mit den Büchern von Thomas Hanke und von Rudolf
Hickel zwei gegensätzliche und lesenswerte Beiträge zur
wirtschaftspolitischen Debatte in Deutschland vor.
Thomas Hanke: Der neue deutsche Kapitalismus. Republik im Wandel. Campus Verlag, Frankfurt a. Main 2006; 230 S., 19,90 Euro.
Rudolf Hickel: Kassensturz. Sieben Gründe für eine andere Wirtschaftspolitik. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006; 255 S., 16,90 Euro.