Es war das Schlagwort des Herbstes 1971: "Mitbestimmung". Mit der Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes wurde eines der wichtigsten und zugleich umstrittensten Reformprojekte der sozialliberalen Regierung auf den Weg gebracht. Mehr Mitbestimmung der Arbeitnehmer in ihren Betrieben sollte es geben, mehr Rechte und Mitsprachemöglichkeiten für Betriebsräte und eine bessere Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, kurz: ein ganzes Stück mehr innerbetriebliche Demokratie.
Als das Betriebsverfassungsgesetz am 10. November 1971 im Bundestag mit 264 gegen 212 Stimmen verabschiedet wurde, änderte sich vieles: Erstmals erhielten die Gewerkschaften freien Zugang zum Betrieb, wenn sie den Arbeitgeber zuvor informiert hatten. Die einzelnen Arbeitnehmer konnten sich über Angelegenheiten, die sie und ihren Arbeitsplatz betrafen, unterrichten lassen. Auch ein umfassendes Beschwerderecht stand ihnen zu. Zudem konnten die Betriebsräte bei Betriebsverkleinerungen oder -schließungen künftig einen Sozialplan erzwingen und auch bei Arbeitszeiten, Urlaubsplänen, Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen mitreden. Der Betriebsrat wurde so zu einer echten Vertretung der Arbeiter und Angestellten ausgebaut.
Eine ihrer ureigensten Forderungen konnte die SPD jedoch nicht durchsetzen: die Möglichkeit für Betriebsräte und Arbeitgeber, sich im Betrieb parteipolitisch zu engagieren. Und auch die Gewerkschaften konnten mit dem neuen Gesetz nicht rundum zufrieden sein: Union wie Liberale hatten es abgelehnt, den Einfluss der Gewerkschaften gesetzlich zu stärken. Doch auch wenn das neue Gesetz am Ende nur die Minimalforderungen der Gewerkschaften erfüllte, bewertete es der Deutsche Gewerkschaftsbund letztlich als "einen großen Schritt nach vorn". Das Vorgängergesetz von 1952 war an die wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Verhältnisse angepasst worden. Die Forderungen nach mehr Transparenz in den Betrieben, einem größeren Austausch zwischen Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Betriebsräten und mehr Rechten am Arbeitsplatze wurden in dem neuen Gesetz erfüllt.
Dass eine Novelle des Gesetzes notwendig war, darüber waren sich auch die Parteien im Bundestag einig. Koalition wie Opposition hatten dafür jeweils eigene Gesetzentwürfe vorgelegt. Während aber die SPD in ihrem Entwurf den Forderungen der Gewerkschaften weit entgegen kam, lehnten sowohl der liberale Koalitionspartner als auch die Union einen allzu starken Einfluss der Gewerkschaften ab. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Rainer Barzel, sagte im Bundestag: "Wir wollen, entsprechend den Prinzipien der Partnerschaft und Mitbestimmung, den Zwang zur Einigung auch im Betrieb erhalten (…) und nicht etwa an dieser Stelle durch die Hintertür Fremdbestimmung oder gar ein autoritäres Element hereinlassen." Den Entwurf der Unionsfraktion bezeichnete er in vielen Punkten als "viel fortschrittlicher, sehr viel moderner und sehr viel inhaltsreicher" als den der Koalition.
Bundesarbeitsminister Walter Arendt (SPD) verteidigte jedoch das vorgelegte Gesetz: "Große Bereiche der betrieblichen Wirklichkeit wurden durch den Regierungsentwurf erstmals der Mitwirkung und Mitbestimmung des Betriebsrates geöffnet." Die Bundesregierung habe sich bemüht, "mehr Demokratie in den Betrieben, mehr Humanität im Arbeitsleben, mehr Freiheit für den einzelnen Arbeitnehmer und mehr soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen". Der herben Kritik vieler Arbeitgeber, "der Gesetzentwurf ersetze die bisherige Friedensordnung durch eine Konfliktordnung und an die Stelle einer Partnerschaft trete die Gegnerschaft", entgegnete er: "Auch diese Betriebsverfassung ist auf den Grundsätzen der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat und der betrieblichen Friedenspflicht aufgebaut." Unter dieser Prämisse betone das neue Recht lediglich stärker als bisher die Interessenwahrnehmung durch die Arbeitnehmer. Im Laufe der Jahre wurde das Betriebsverfassungsgesetz immer wieder geändert, wobei über dessen Inhalte wie bei der Änderung 1974 immer wieder lange gerungen wurde. Nach einer Neufassung 1988 gab es im Jahr 2001 eine umfassende Reform des Gesetzes, um es an neue Entwicklungen in der Arbeitswelt anzupassen: So wurde die Bildung von Betriebsräten vereinfacht und deren Organisationsgrundlage neu geregelt. Leih- und Telearbeiter wurden in dem neuen Gesetz erstmals berücksichtigt ebenso Maßnahmen für betrieblichen Umweltschutz sowie gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.