Nach fünf Jahren Stillstand brummt es im deutschen Dienstleistungssektor. Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen auch im kommenden Jahr mit Zuwächsen - und das trotz der Mehrwertsteuererhöhung. Allein im ersten Halbjahr 2007 werden die Dienstleister mehr als 150.000 neue Arbeitsplätze in Deutschland schaffen, so schätzt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK).
Insgesamt rund 28 Millionen Menschen sind derzeit im Dienstleistungsbereich tätig, der damit der Jobmotor des deutschen Arbeitsmarktes ist: Fast jedes fünfte Dienstleistungsunternehmen beabsichtigt, in den kommenden Monaten neues Personal einzustellen. "Unser Land ist im Servicebereich sehr gut aufgestellt", sagt der Experte des DIHK, Sven Christoph Hallscheidt. Dass die meisten Dienstleister ausgesprochen positiv in die Zukunft blicken, liege auch am weltweiten Wirtschaftsaufschwung. Bislang profitierten davon vor allem die exportorientierten Indus-trieunternehmen. Jetzt aber reißen sie besonders die so genannten unternehmensnahen Serviceanbieter mit. Damit sind Aufträge wie Wartungs-, Service- oder Beratungsarbeiten gemeint, die gleichsam im Schlepptau eines Produktes als Gesamtpaket vor allem ins Ausland verkauft werden. Hier werde das Angebot weiter wachsen, so Hallscheidt. "Vielen Menschen in Deutschland ist gar nicht klar, wie wichtig der Dienstleistungssektor für unsere Wirtschaft ist. Wir machen uns kleiner, als wir sind."
Laut Statistischem Bundesamt werden derzeit rund 70 Prozent der deutschen Wertschöpfung durch Dienstleistungen erzielt. Ähnlich ist es bei den Beschäftigten: In Deutschland arbeiten knapp 72 Prozent als Wachschützer oder Kraftfahrer, als Koch oder Unternehmensberater. Das ist auch im internationalen Vergleich nicht wenig. Europäische Spitzenreiter der Beschäftigungsstatistik in diesem Bereich sind die Niederlande mit 79,4 Prozent gefolgt von Belgien und Luxemburg mit je 77,6 Prozent. Auch im Bereich der Informationstechnologie (IT), bei den Unternehmensberatungen und in der Logistikbranche sieht Hallscheidt Wachstumspotenzial. "Diese wissensbasierten Dienstleistungen sind besonders zukunftsfähig für den Arbeitsmarkt. Außerdem halten sie der Globalisierung besser stand als die einfachen Dienstleistungen." Differenzierter fällt dagegen die Analyse des Arbeitsmarktexperten Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung aus. Bei den unternehmensbezogenen Dienstleistern seien es vor allem die Zeitarbeitsfirmen, die positiv in die Zukunft blicken, sagt Brenke. Hier zeige sich, dass die Unternehmen in Deutschland immer mehr flexible Arbeit nachfragten. Dagegen ginge die Beschäftigung im Bankensektor sukzessive zurück.
Der Arbeitskreis Dienstleistungen der Dienstleis-tungsgewerkschaft Verdi und der Friedrich-Ebert-Stiftung betont neben allem Positiven, dass die deutschen Dienstleistungen "weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben und das Wachstum noch kräftiger sein könnte, als es derzeit ist". Entwicklungspotenzial böte unter anderem der Bereich Erziehung und Bildung. Das Altern der deutschen Gesellschaft macht auch das Gesundheitswesen zu einem krisensicheren Wachstumsmarkt, so die Experten. Hans Gabriel vom Verdi-Bundesvorstand verweist zudem auf die weitgehend noch ungenutzten Chancen medizinischer Betreuung und medizintechnischer Dienstleistungen für Ausländer in Deutschland - beispielsweise für Patienten aus Skandinavien oder arabischen Ländern, in deren Heimat entsprechende Angebote knapp sind. "Beim Warenhandel sind die Deutschen Exportweltmeister, bei den Dienstleistungen werden beim Export Chancen verschenkt", sagt der Verdi-Fachmann. Die Ausfuhr von Dienstleistungen spiele in den Köpfen vieler Serviceanbieter gar keine Rolle.
Bislang mangelt es in Deutschland an einer systematischen Politik zur Aktivierung der genannten Potenziale. Verdi fordert eine Dienstleistungspolitik, wie es auch eine Industriepolitik gibt. Dabei denken die Fachleute neben den bereits starken Branchen innerhalb des Dienstleistungssektors an die Entwicklung der Bereiche Forschung, Verkehr, Handel und Kommunikation. Sie sehen Wachstumspotenziale außerdem bei der Entwicklung und Erprobung von Serviceangeboten, die auf das Einsparen oder Ersetzen von Energie setzen. Eine solche "öko-effiziente Dienstleistung" wäre etwa das "Car-Sharing": die zeitweilige und gemeinsame Nutzung eines Autos tritt an die Stelle des Autokaufs. Als dringendste Aufgabe einer deutschen Dienstleistungspolitik wird der Ausbau des Betreuungsangebots für Kinder genannt. So könne die Frauenerwerbstätigkeit gesteigert werden - das wiederum würde die Nachfrage nach so genannten haushaltsnahen Dienstleistungen erhöhen, von der Putzfrau über den Babysitter bis zum Pizzabringdienst. Wo viele Menschen arbeiten, nutzen sie mehr Dienstleistungen - und noch mehr Arbeit entsteht.
Die Autorin ist Mitarbeiterin beim "Tagesspiegel" in Berlin.