Sehbehinderte
Den Bundestag gibts jetzt auch als Tastmodell
Wie fühlt sich eigentlich der Reichstag an? Für Menschen, die sehen können, ist das wohl eine eher skurrile Frage - für Blinde aber ist die Antwort eine wichtige Information. Sie können sich durch das Tasten mit den Händen ein Bild von den Dingen machen, von denen sie sonst keine richtige Vorstellung hätten.
Deshalb gibt es im Reichstag nun ein maßstabsgetreues Tastmodell des Gebäudes und seiner Umgebung. Einen "Reichstag zum Anfassen", nannte Bundestagsvizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (CSU) das Modell bei der Enthüllung am 20. März. Für die Präsidentin des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes Renate Reymann ist das Modell, von dem sie "begeistert" ist, ein "wichtiger Beitrag zur Integration" der etwa 3,5 Millionen Sehbehinderten in Deutschland und eine Möglichkeit, Demokratie im Wortsinn zu "begreifen".
Aus mehr als 1.000 Einzelteilen besteht das Modell, das in zweieinhalbjähriger Arbeit von Architekturstudenten der Technischen Universität Berlin gebaut wurde. Im Maßstab 1:100 lassen sich nun das Reichstagsgebäude, die Bundestagsneubauten, das Bundeskanzleramt, das Brandenburger Tor, das Holocaustmahnmal sowie die Spree und verschiedene Straßenzüge ertasten. Weil dabei auf höchste Detailgenauigkeit bei dem Modell, das aus einen Sand-Kunststoffgemisch besteht, geachtet wurde, ist es auch für Sehende interessant. Kleine Spielfiguren dienen als "Maßmännchen", um die Relation von Gebäuden und Menschen erfahrbar zu machen.
Angeschoben hat das Projekt die SPD-Abgeordnete Dagmar Freitag. Sie hatte vor etwa drei Jahren Besuch von sehbehinderten und blinden Menschen aus ihrem Wahlkreis - und die konnten sich auch nach noch so ausführlichen Erklärungen kein wirkliches Bild vom Regierungsviertel machen. Das wird sich beim nächsten Berlin-Besuch ändern. Dann können die Besucher auch endlich mit den Händen "sehen", wo in der Hauptstadt die Politik gemacht wird.