Ingrid Scheurmann
Die Pflege von Denkmälern ist ein Standortfaktor, sagt die Historikerin bei der Deutschen Stiftung Denkmal- schutz
Mit der Ausstellung "ZeitSchichten" haben Sie zum 100. Geburtstag des Handbuches der Deutschen Kunstdenkmäler von Georg Dehio einen Überblick über 100 Jahre Denkmalpflege in Deutschland gegeben. Von welchen Ideen waren die Gründerväter damals geleitet? Was ist davon noch heute gültig?
Wir streiten seit geraumer Zeit darüber, ob der damals gefundene Konsens heute noch Gültigkeit besitzt - gerade weil Georg Dehios Stichwort "Konservieren, nicht restaurieren" die Messlatte im Umgang mit dem Denkmal sehr hoch legt. Vieles, was wir heute als Denkmal erkennen und auch so bewerten, ist von den Kollegen vor 100 Jahren als eine Verunstaltung der originalen Zeugnisse empfunden worden. Das gilt etwa für die so genannten "stilreinen" Restaurierungen. Beispiele sind die Wartburg oder die Münchner Frauenkirche, der Bamberger oder der Kölner Dom, der damals überhaupt erst "stilrein" entstanden ist. Man hat viele Bauten "mittelalterlicher" gemacht, als sie eigentlich jemals waren. Da ist es verständlich, dass Denkmalpfleger wie der Historiker Georg Dehio sagten: "Halt, so geht das nicht." Wir müssen das Denkmal als ein Zeugnis bewahren, es konservieren und in seiner materiellen Substanz an die nächste Generation weitergeben. Mit dem Zweiten Weltkrieg kam der Bruch. Die immensen Zerstörungen zogen einen oft schnellen und nicht immer qualitätsvollen Wiederaufbau nach sich. Daraus ergab sich die Debatte, ob man es noch so halten kann wie um 1900, oder ob man in einer völlig neuen Situation mit dem Denkmalbestand nicht viel großzügiger umgehen muss.
Hatte diese Debatte Folgen für das heutige Denkmalverständnis?
Größere Offenheit gegenüber Rekonstruktionen, Zurückhaltung bei den Auflagen des Denkmalschutzes, stärkere Konzentration auf das "schöne" Denkmal und nicht so sehr auf das Geschichtszeugnis - diese Ansprüche werden aus der Gesellschaft vermehrt an die Denkmalpflege herangetragen. In Berlin etwa hat man nicht so sehr darüber diskutiert, wie wir - als Generation des frühen 21. Jahrhunderts - uns eine zeitgemäße architektonische oder städtebauliche Lösung für das Zentrum der Hauptstadt vorstellen, sondern Orientierung am Vorbild des gesprengten Stadtschlosses gesucht. Das ist eine Diskussion, die einen Nachhall in vielen anderen Städten hat. Oft wird die Auffassung vertreten, wir brauchten die alten Bauformen, nur sie könnten Identität stiften. Der zeitgenössischen Architektur dagegen traut man eine so wichtige und repräsentative Bauaufgabe nicht zu.
Was sind heute die wichtigen Anliegen der professionellen Denkmalpflege?
In den Fachbehörden spielt die Frage der Rekonstruktion bedeutender Geschichtszeugnisse eine große Rolle, zumal damit neue gesellschaftliche Erwartungen an die Denkmalpflege herangetragen werden und die Sensibilität für das Original mehr und mehr schwindet. Zudem stellen sich in vielen Regionen immense praktische Probleme infolge von Migration und Schrumpfung, wie zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg oder Sachsen-Anhalt. Immer weniger Menschen wohnen in den historischen Stadtkernen - da geht es oft nur noch darum, das zu erhalten, was noch da ist. Für das Überleben dieser Städte ist der Erhalt ihrer historischen Struktur aber absolut unabdingbar. Denkmalpflege ist ja nicht zuletzt ein Standortfaktor, insbesondere für den Tourismus. Doch Patentrezepte gibt es nicht, und wir sind gezwungen, darüber nachzudenken, dass manche Orte und ganze Landstriche weiter ausdünnen werden, sowohl im Osten als auch im Westen. Auch Denkmale - selbst in den letzten Jahren restaurierte Bauten - werden langfristig leider auf der Strecke bleiben.
Die Züricher Denkmalpflegerin und Bauforscherin Uta Hassler behauptet, dass in den letzten 30 Jahren in Deutschland rund 300.000 Denkmale zerstört worden sind. Seit 1945 seien mehr Denkmale als durch die Bomben des Zweiten Weltkrieges gefallen.
Die Position ist nicht neu. Natürlich ist im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg auch Denkmalsubstanz zerstört worden. Damals wurde die verheerende Notsituation oft auch dazu genutzt, das, was man ohnehin nicht schätzte - etwa Gebäude des Historismus - im Zuge des Wiederaufbaus ganz zu beseitigen. Nach dem Krieg waren die Prioritäten eben ganz andere als heute. Es hat eine andere Qualität, dass man später im Zuge von Baumaßnahmen für die autogerechte Stadt viele Verlus-te bewusst in Kauf genommen hat. Frau Hassler hat völlig recht, wenn sie da die Stellungnahme des Europarats von 1975 zitiert.
Es geht auch heute noch vieles verloren, was durchaus erhalten werden könnte - Bauten der Industriegeschichte und der Nachkriegsarchitektur zum Beispiel. Das zeigt, dass sich die Wertschätzung von Generation zu Generation ändert. Wir begegnen etwa dem Historismus heute ganz anders als vor 50 Jahren. Jeder ist glücklich, wenn er eine Altbauwohnung hat - und in Berlin ist es unter jungen Leuten schon wieder trendig, in Plattenbauwohnungen zu leben.
Welche Akzeptanz hat die Denkmalpflege heute in der Öffentlichkeit?
Für Prestigeobjekte wie die Dresdner Frauenkirche lassen sich viele private und institutionelle Spender mobilisieren. Aber funktioniert das auch für die kleine brandenburgische Dorfkirche? Viele setzen heute auf die großen Projekte. Das ist typisch für die Zeit - man erreicht damit die Medien und erzielt einen garantierten Imagegewinn. Doch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat es sich gerade zur Aufgabe gemacht, sich auch um die kleinen Denkmale zu kümmern, die nicht per se Spender finden. Es gibt erfreulicherweise immer noch viele private Förderer, die das unterstützen. Aber in Konkurrenz zur wachsenden Zahl der Rekonstruktions-Großprojekte wird es schwieriger, Menschen für die weniger repräsentativen Denkmale zu interessieren. Und in dem Moment, wo sich der Staat immer mehr zurückzieht, bekommen die Rekonstruktionsforderungen von Privatinitiativen ein größeres Gewicht.
Wenn die öffentliche Hand die Denkmalpflege stärker zu ihrem Anliegen machen würde, wären die Begehrlichkeiten nach der Wiederherstellung versunkener Architektur, wie wir sie zur Zeit erleben, sicher weniger stark. Doch der Erfolg des Frauenkirchenprojekts war ein Türöffner, da wird einiges nachkommen. Es stellt niemand in Abrede, dass die Rekonstruktion der Frauenkirche eine anerkennenswerte Leistung ist. Aber wir haben es nun überall mit Rekonstruktionswünschen zu tun - und damit nicht zuletzt auch mit der Gefahr der Vernichtung von "realen", von bislang erhaltenen Denkmalen.
Denkmalpflege ist oft Nothilfe. Sehen Sie langfristige Strategien für die Denkmalpflege zu Beginn des 21. Jahrhunderts?
Es ist heute nicht mehr damit getan, gute Arbeit zu leisten, wissenschaftlich exakt zu sein und die Methoden immer weiter zu verfeinern. Es ist ganz wivchtig - auch angesichts der Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft -, dass die Denkmalpflege ihr Anliegen stärker in die Öffentlichkeit trägt und wir uns stärker in den öffentlichen Streit um das Gesicht einer Stadt einbringen. Viele Menschen sind bereit, etwas zu tun.
Doch die Herausforderungen sind groß: Unsere Gesellschaft wird gezwungenermaßen immer mobiler, und in Regionen, die von hoher Arbeitslosigkeit und Wegzug gezeichnet sind, stehen auch die Chancen für Denkmale schlecht: Neben fehlenden Geldern für den Denkmalschutz sind es vor allem fehlende Nutzungsmöglichkeiten, ohne die das schönste Denkmal nicht auskommt. Da haben die Kollegen vor Ort in der Praxis oft eine extrem schwierige Aufgabe - auch angesichts der starken Mittelkürzungen in der institutionalisierten Denkmalpflege in den vergangenen Jahren. Ein Denkmal muss sich heute rechnen. Das tut die Frauenkirche in Dresden, ganz im Gegensatz zu vielen anderen Kirchen, wie man in Nordrhein-Westfalen beispielsweise an der gerade vehement geführten Profanierungsdebatte sehen kann. Doch die Amtskirchen sollten ihre Bauten nicht leichtfertig aufgeben. Wer weiß: Vielleicht sind schon in zehn oder 20 Jahren die heute so ungeliebten Kirchen der Nachkriegsmoderne die neuen Denkmalstars.
Das Gespräch führte Barbara Hausmanns. Sie ist Kunsthistorikerin in Bonn.