Editorial
Zahlen sagen mitunter mehr als Worte. 4,5 Millionen Besucher zählt die Deutsche Stiftung Denkmalschutz bei ihrem alljährlich veranstalteten "Tag des offenen Denkmals". 300.000 Denkmale seien in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren zerstört worden, schätzt Uta Hassler, Professorin für Denkmalschutz und Baupflege in Zürich.
Eine Kulturnation, die 16-fach die Bewahrung des kulturellen Erbes in Landesgesetzen festschreibt, lässt es vielerorts zu, dass genau dieses Erbe unter die Baggerschaufel gerät. Und gleichzeitig toben in den Feuilletons und Leserbriefspalten der Zeitungen mitunter wahre Glaubenskriege über die Frage von Abriss, Sanierung oder Wiederaufbau historischer Bausubstanz oder die Beeinträchtigung gewachsener Landschaften durch Neubauten. Unter dem Diktat sich leerender öffentlicher Kassen suchen Denkmalschützer die Öffentlichkeit, um für ihr Anliegen zu werben. Wenn der Steuerzahler sich schöne Altstädte wünscht und bereit ist, dafür zu zahlen, haben manche Bedenkenträger in Planungsbehörden ein Argument weniger gegen die sorgfältige Sanierung vorhandener Bausubstanz. Türmchen, Erker, Plastik-Sprossenfenster und schmiedeeiserne Balkongitter vom Baumarkt sind Reminiszenzen an vergangene Zeiten, mit denen viele private Bauherren ihren Traum von Heimeligkeit verwirklichen.
Warum wählen sie nicht lieber gleich das Original? Zu teuer, zu kompliziert, lautet oft die Antwort. Und das nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Raum. Dass dies nicht das letzte Wort sein muss, verdeutlichen einige Beiträge dieser Themenausgabe.
Denkmalschutz ist ohne Geschichtsbewusstsein nicht denkbar. Doch Bewusstsein liegt eben unterhalb der Oberfläche, ist verfestigtes Wissen als Voraussetzung für Urteilsfähigkeit. Denkmale sind nicht nur verstaubte Zeitzeugen, die aufpoliert das Stadtbild verschönern. Sie prägen die Biografie menschlicher Lebensräume, schaffen Identität und müssen in ihrer Aussage nicht statisch sein. Im Gegenteil: Immer stärker orientiert sich die Denkmalpflege an neuen Nutzungsmöglichkeiten alter Gebäude.
Ein Kuhstall kann zum Wohnhaus werden, eine Industrieanlage zum Freizeitpark, ohne ihre geschichtliche Bedeutung einzubüßen. Aber eine Kirche als Einkaufszentrum ist schlecht vorstellbar. Ausschlaggebend ist der Wert, der einem Denkmal von seinem Betrachter, Nutzer, Unterstützer beigemessen wird. Das hat nichts mit rückwärtsgewandter Nostalgie zu tun, sondern mit der Erinnerungskultur, die mit jedem Gebäude, jeder Landschaft verbunden ist. Ohne die Akzeptanz seiner Biografie geht der Wert eines Denkmals verloren, weil er damit auch nicht für die Nachfahren definiert werden kann. Denkmale fordern uns zum Nachdenken auf, nicht nur über die Vergangenheit, sondern auch über die Zukunft.
Die Autorin ist freie Journalistin in Dresden.