AUSSENPOLITISCHE ENTWICKLUNGEN
Im Zweifel sieht der Kreml lieber die Amerikaner als die Taliban in Zentralasien
Zwei Buchstaben, eine politische Demonstration: Ende März verkündete der tadschikische Präsident Emomali Rachmonow, er wolle die russische Endung "-ow" an seinem Nachnamen weglassen und künftig nur noch Rachmon genannt werden. Die Intellektuellen seines Landes forderte er auf, nicht nur Familiennamen, sondern auch die Bezeichnungen von historischen Stätten und Kulturdenkmälern auf russische Einflüsse zu untersuchen - und sie davon zu reinigen. Tadschikistan müsse seine kulturellen Bindungen zu den Tadschiken in Afghanistan und den sprachlich eng verwandten Persern im Iran stärken.
Der tadschikische Präsident ist weit davon entfernt, eine gegen Russland gerichtete Politik zu betreiben. In Tadschikistan sind etwa 5.500 russische Soldaten stationiert, die auch der Sicherung seiner eigenen Macht dienen, und die Herzstücke der tadschikischen Wirtschaft - Wasserkraftwerke und Aluminiumschmelzen -wurden von ihm in den vergangenen Jahren in russische Hand gegeben. Dass Rachmonow nun die aus sowjetischer Zeit stammende Russifizierung der tadschikischen Namen rückgängig machen möchte, ist daher kein Hinweis auf einen schwindenden Einfluss des Kremls in Zentralasien. Das Gegenteil ist richtig: Moskaus Position in den einstigen asiatischen Sowjetrepubliken ist in den vergangenen Jahren stärker geworden. Ein deutliches Signal ist diese Rückbesinnung auf die kulturellen Wurzeln dennoch - die Bindung an Russland ist nicht mehr so selbstverständlich wie in den ersten anderthalb Jahrzehnten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.
In den 90er-Jahren hatte die russische Regierung Zentralasien vernachlässigt. Das rückständige Zentralasien galt in Moskau vielen zunächst eher als Belastung denn als Einflussgebiet. Einerseits wirkte die sowjetische Darstellung nach, laut der von Moskau aus die Entwicklung Zentralasiens mit gewaltigen Investitionen auf Kosten europäischer Sowjetrepubliken vorangetrieben worden sei, andererseits war sie eine Reaktion darauf, dass Russland als "Friedensmacht" wider Willen in den tadschikischen Bürgerkrieg von 1992 bis 1997 hineingezogen wurde.
Ein Grund für den nachlässigen Umgang war die trügerische Annahme, die neuen Staaten könnten ohnehin nur über Moskau Anschluss an den Rest der Welt finden. Doch vor allem Usbekistan und Kasachstan gelang es bald, eigenständige Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und der EU aufzubauen. Auf das wachsende westliche Interesse an Öl und Gas in Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan reagierte Russland mit einer destruktiven Blockadepolitik bei der für diese Staaten existenziellen Nutzung von Pipelines. Das Ergebnis war eine weitere Entfremdung.
Die Wende in der russischen Zentralasienpolitik kam mit dem 11. September 2001. Zunächst schien sich nach den Anschlägen von New York und Washington die Vermutung eines schleichenden Niedergangs des russischen Einflusses in der Region zu bestätigen, als wegen des Kriegs gegen das afghanische Taliban-Regime die Vereinigten Staaten und andere Nato-Mitglieder - da-runter auch Deutschland - in den einstigen Sowjetrepubliken militärische Stützpunkte errichteten. Im Moskauer Außenministerium und vor allem in der militärischen Führung Russlands wurde das "Eindringen" des Westens in den früher als "weicher Unterleib des Imperiums" bezeichneten Raum von Anfang an abgelehnt. Doch im Kreml herrschte die Sicht vor, es sei besser, die Amerikaner in Zentralasien zu haben als die Taliban, in denen man schon vor 2001 eine Gefahr für die Stabilität in der ganzen Region und damit für die eigene Sicherheit gesehen hatte. Es galt die Devise, dass die Amerikaner zwar jetzt dort seien, Russland aber für immer bleiben werde. Die neue Hinwendung Moskaus nach Zentralasien schlug sich sowohl im Bemühen um intensivere bilaterale Beziehungen, in vom Kreml gefördertem wirtschaftlichem Engagement (vor allem im Energiesektor) als auch in der Wiederbelebung und Neugründung verschiedener Initiativen zur regionalen Kooperation nieder.
Der Erfolg dieser Anstrengungen war anfangs vor allem bei Usbekistan sehr begrenzt, das sich als bevorzugter Partner der Vereinigten Staaten im Kampf gegen den Terror sah. Das Regime in Taschkent vollzog aber eine Kehrtwende, als Russland die brutale Niederschlagung des Aufstands von Andischan im Mai 2005 vorbehaltlos rechtfertigte, während EU und Vereinigte Staaten das Vorgehen der Sicherheitskräfte scharf verurteilten. Bis dahin hatte sich Usbekistan den russisch dominierten Organisationen innerhalb der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) ferngehalten, inzwischen ist es Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Vertragsorganisation für kollektive Sicherheit, des Militärbündnisses der GUS. Schon vor Andischan hatte die Furcht vor "farbigen Revolutionen" wie in der Ukraine und Georgien dazu geführt, dass die autoritären Herrscher in Zentralasien das Engagement des Westens mit wachsendem Argwohn betrachteten.
Russland als Partner hat für die zentralasiatischen Herrscher nicht nur den Vorzug, dass von ihm keine Forderungen nach Einhaltung von Menschenrechten zu erwarten sind. Es hat gegenüber Amerika noch einen weiteren Vorteil, der nicht zu unterschätzen ist: Die noch immer überwiegend der kommunistischen Nomenklatura entstammenden Eliten in Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan, Kasachstan und Turkmenistan können Worte und Taten des Kremls, mit dessen Akteuren man die Prägung durch das Sowjetsystem teilt, besser einordnen als die des Weißen Hauses. Mag Russland auch ein unbequemer Partner sein, so ist es doch einer, bei dem man versteht, woran man ist.
Die Schwierigkeiten zwischen Russland und den zentralasiatischen Staaten liegen in widersprüchlichen Interessen bei konkreten wirtschaftlichen und politischen Fragen. An vorderer Stelle stehen dabei noch immer wie in den 90er-Jahren die Transportwege für Gas und Öl. So sind die Beziehungen zwischen Kasachstan und Russland in jüngster Zeit stark abgekühlt, weil sich die kasachische Regierung um alternative Exportwege für Öl und Gas bemüht. Eine nicht geringere Belastung für die Beziehungen Moskaus zu den zentralasiatischen Staaten ind der von Präsident Putin verkündete Kampf gegen die illegale Migration und die zunehmende Fremdenfeindlichkeit in Russland, die das Leben und Überleben vieler Menschen in Zentralasien unmittelbar berühren. Mehrere Millionen überwiegend junger Männer aus Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan leben - legal oder illegal - als Gastarbeiter in den russischen Metropolen. Die Geldsummen, die sie in ihre Heimat zurückbringen, sind in manchen Regionen höher als die gesamte einheimische Wirtschaftsleistung. Sowohl die offizielle russische Politik - etwa die "Säuberung" der Märkte von Nichtrussen - als auch die Gewalttaten russischer Rechtsextremisten gegen Arbeiter aus Zentralasien haben deshalb in diesen Ländern zu einer Nervosität geführt, die die dortigen Herrscher nicht ignorieren können, da sie die Arbeitsmigration nach Russland als soziales Ventil brauchen. Würde der Strom der Arbeitsmigration nach Russland tatsächlich unterbrochen, würde das einen Prozess beschleunigen, der ohnehin schon im Gange ist: Unter jenen, die seit dem Ende der Sow-jetunion geboren wurden, sind Russischkenntnisse nicht mehr selbstverständlich - so, wie sich unter jüngeren Politikern die Blicke nicht mehr automatisch zuerst nach Moskau richten: Der neue kasachische Ministerpräsident Karim Masimow hat nicht nur in Russland, sondern auch in China studiert.
Reinhard Veser ist außenpolitischer
Redakteur der "Frankfurter Allgemeinen
Zeitung" in Frankfurt am Main