DROGENSCHMUGGEL
Armut und Korruption sind der Nährboden für den Heroinhandel
Breit, beruhigend breit, fließt der Pjandsch im Frühjahr, nach der ersten Schneeschmelze, metertief und eisig. Für Menschen ohne Boot unüberwindbar trennt er auf gut 700 Kilometern Afghanen und Tadschiken, Drogenschmuggler und Kontrolleure, das Stammland der Weltopiumproduktion vom äußersten Rand der internationalen Allianz gegen Drogen. Hier, an dieser Stelle, misst der Pjandsch wohl an die 300 Meter, und doch probieren sie es immer wieder, seit ein Hochwasser den Stacheldrahtzaun auf zwei Kilometern Länge komplett weggespült hat. "Aber weit kommen sie nicht", knurrt Major Ruslan und stellt seine Rekruten vor. "Alle 50 Meter ist einer postiert, Tag und Nacht", sagt der Major.
Die Kaserne liegt in Sichtweite, ein Riesenareal voll mit Plattenbauten und ohne viel Ausrüstung, nach westlichem Standard eine Bauruine. Bis vor knapp zwei Jahren waren die Russen hier, dann kam endlich die lang ersehnte Übernahme, heute der Armeestützpunkt Pjandsch, rund 500 Kilometer südlich der Hauptstadt Duschanbe, als Vorzeigeobjekt des tadschikischen Heeres und der Grenzüberwachung insbesondere. Ja, sagt der Major widerwillig und ob des direkten Informationswunsches etwas unwirsch, es gebe wohl Nachtsichtgeräte; wie viele, wisse er nicht, aber soviel sei sicher: "Es sind zu wenige." 173 Kilometer Grenzstreifen sollen seine Jungs vom Armeestützpunkt Pjandsch kontrollieren. Ihr Sold liegt bei umgerechnet einem Dollar pro Monat. Ihre Vorgänger, die russischen Grenzer, bekamen immerhin um die 100. Wie soll das gehen, fragen wir: ein Dollar zum Leben, reiche Drogenkuriere und dann standhaft bleiben? Der Major knurrt und antwortet nicht.
Für die jungen Rekruten, den Major und die meisten anderen Tadschiken gibt es im Wesentlichen drei Wege, an Geld zu kommen: Entweder Familienangehörige arbeiten in Russland und schicken Geld in die Heimat, oder sie handeln mit Drogen. Oder kassieren internationales Geld gegen den Drogenhandel. In der Hauptstadt Duschanbe sind zahllose NGOs angemeldet - die meisten von ihnen sind in Wahrheit Briefkastenfirmen, von einflussreichen Tadschiken gesteuert, um an internationale Geldtöpfe zu gelangen. Justiz und Medien sind mehr oder weniger gleichgeschaltet, und wenn einer diesen Missstand öffentlich anprangert, gibt man ihm überzeugend zu verstehen, dies künftig besser zu unterlassen. Willkommen in Tadschikistan, einem der weltweit beliebtesten Transitländer für Heroin.
Unter den fünf Republiken Zentralasiens ist Tadschikistan die kleinste - und außerdem die vom großen Nachbarn Russland bei weitem abhängigste. Anders als Turkmenis-tan hat man kein Erdgas im Überfluss, anders als Kasachstan kein Öl, andere Rohstoffe sind ebenfalls Mangelware, also arbeitet jeder siebte der rund sieben Millionen Tadschiken saisonweise in Russland. Daheim ist jeder zweite arbeitslos, die Zahl der unterhalb der Armutsgrenze Lebenden liegt je nach Schätzung zwischen 60 und 80 Prozent. Der Westen investiert kaum, zu umfassend sind Cliquenwirtschaft und mangelnde Rechtssicherheit unter dem Regime von Präsident Emomali Rachmonows, einem ehemaligen Kolchosvorsitzenden, der das Land seit 1994 regiert.
Folgerichtig wenig erwarten die Tadschiken von ihrem Regime, stattdessen trauern viele um das entschwundene Sowjetzeitalter, als es noch reichlich Jobs gab und die Tadschiken vom sowjetinternen Finanzausgleich profitierten. Bis heute schauen viele auf Russland mit einer Mischung aus Bewunderung und Wehmut. Nur noch ein Prozent der Bevölkerung sind Russen, und doch guckt die Mehrheit der Tadschiken russisches Fernsehen, kauft Produkte "made in Sibirien" und erlaubt mit mehr als 20.000 Soldaten die höchste russische Truppenpräsenz in einem fremden Land. Stände eine Wiedereingliederung ins russische Staatsgebilde zur Wahl, die Tadschiken würden wohl dafür votieren - eine Befürchtung, die auch Präsident Rachmonow teilte, als er 1997 ein fälliges Referendum über die Rückkehr zu Russland mit aller Macht verhinderte.
Umso mehr überrascht, dass die Tadschiken Moskau ausgerechnet die Kontrolle über den gefährlichsten Teil des Landes abtrotzten: die Grenze zu Afghanistan. Rund 6.000 Tonnen Rohopium wurden 2006 von afghanischen Bauern geerntet, etwa 90 Prozent der Weltproduktion, ein steigender Anteil wird noch am Ort zu Heroin synthetisiert und dann auf zwei Wegen ins Ausland geschafft - über den Iran und den Kaukasus auf der so genannten Balkanroute. Oder auf der Seidenroute durch die Anrainerstaaten Turkmenistan, Usbekistan oder Tad-schikistan. Letztere wird immer populärer, seit der Iran den Schmugglern mit drakonischen Maßnahmen zusetzt; schon auf den Besitz von 30 Gramm Heroin steht die Todesstrafe. Mit Tadschikistan hat Afghanistan eine 1.344 Kilometer lange Grenze: viel Platz für Schmuggler. Mehr als 50 Tonnen Heroin sollen jährlich den Grenzfluss Pjandsh passieren. Jahrzehntelang stand diese Grenze unter russischer Kontrolle, seit Juli 2005 ist sie voll in tadschikischer Hand. Seither mehren sich die besorgten Anfragen westlicher Anti-Drogen-Beauftragter, wie die neue Unabhängigkeit zu beurteilen sei.
Es gibt zwei Hypothesen. Erstens: Alles ist besser geworden, denn die Russen haben am Drogenhandel ja kräftig mitverdient. Zweitens: Alles ist noch schlimmer, denn die neuen Grenzschützer sind aufs Mitverdienen angewiesen.
Auch deshalb hat Hamrokhon Zaripov den schwierigsten Job in ganz Tadschikistan. Er muss potenziellen ausländischen Geldgebern sein Land täglich so erklären, dass sie trotz allem investieren. Seit vergangenem Jahr ist der 58-Jährige Außenminister seines Landes, zuvor hatte er das Erklären bestens gelernt - vier Jahre lang als tadschikischer Botschafter in Washington. Im Moment ist Erklären besonders wichtig, denn es geht um dringend benötigte neue Infrastruktur, um Straßen, um die mit US-Geldern gebaute vierte Brücke über den tadschikisch-afghanischen Grenzfluss Pjandsch, deren baldige Eröffnung die Tadschiken herbeisehen. Und es geht um die dringend überfällige Reform der Beziehungen von OSZE und den zentralasiatischen Ländern, den einzigen islamischen Ländern, die in der Organisation zugelassen sind.
Dass Tadschikistans Ausgangslage nicht sonderlich gut ist, gibt Zaripow unumwunden zu: Während des fünf Jahre dauernden Bürgerkriegs von 1992 bis 1997 sank die Wirtschaftskraft um mehr als zwei Drittel. Im Jahr 2006 betrug das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf immerhin wieder 346 US-Dollar (BIP Deutschland pro Kopf rund 30.000 Dollar). Tadschikistan gehört damit zu den ärmsten Ländern der Welt. Nicht vergessen werden darf die geografische Lage: Tadschikistan ist eingezwängt von hohen Bergen und mehr oder minder feindlichen Nachbarn. Dafür, findet Zaripow, laufe es doch ganz gut: Laut offiziellen Angaben bauen Chinesen und Italiener neue Baumwollfabriken, Russen und Iraner neue Wasserkraftwerke, Kanadier und Briten investieren in Goldminen, die Passstraße nach China wird ausgebaut, die Aluminiumindustrie, die zwei Drittel des Handelsvolumens ausmacht, boomt (angeblich sollen hier 2 Milliarden Dollar investiert werden), die Zukunft als Billiglohnland in der Obst- und Gemüseverarbeitung, der neue Wirtschaftsraum der "Shanghai Cooperation Organisation", einem losen Zusammenschluss der zentralasiatischen Staaten mit China und Russland.
Soweit die staatlichen Angaben. Nichtstaatliche Beobachter sagen, dass die Aluminiumindustrie kaum nennenwertes einbringt, weil die feindlich gesinnten Usbeken den Bauxitimport aus Kasachstan nach Kräften sabotieren und Umweltschützer gegen die überalterten Anlagen protestieren. Die drei in Bau befindlichen Wasserkraftwerke stünden außerdem seit Jahren auf der Kippe. Geschönt scheint auch die Zahl der HIV-Infizierten: Offiziell seien 0,1 Prozent der Bevölkerung mit dem Immunschwächevirus infiziert, heißt es. Die UN allerdings gehen von weit höheren Zahlen aus, weil die heimkehrenden tadschikischen Arbeitsmigranten das Virus oft aus Russland mit nach Hause bringen. Das Wirtschaftswachstum von zuletzt im Schnitt acht Prozent: ebenfalls geschönt. Die Rechtsbedingungen für Investoren: unbeständig. Das Investitions-Klima: entsprechend schlecht.
Daniel Züst ist in Duschanbe die große Ausnahme. Er kann reden, wie er will - er leitet das Büro der Swiss Cooperation. Die Schweizer Regierungsorganisation finanziert zahlreiche Entwicklungsprojekte im ganzen Land, sie ist mächtig hier, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Schweiz beim Internationalen Währungsfond, Weltbank und Europäischer Entwicklungsbank der gleichen Wahl- und Interessengruppe zugeordnet ist wie Tadschikistan.
Züst sagt, Tadschikistan habe vielleicht eine Chance, der Spirale aus Armut, Drogenhandel und Korruption zu entkommen - in etwa 20, 30 Jahren. Aber auch dann nur, wenn es sich aus der Umklammerung der russischen Mafia befreie. Eines Tages, wenn Afghanistan domestiziert sei und sich der Baumwollanbau ähnlich auszahle wie Schlafmohnanbau, könne Tadschikistan neues Heil in der "Südsicht" finden - als Stromlieferant für Pakistan etwa. Das funktioniere allerdings nur, wenn Begriffe wie Transparenz, Nachhaltigkeit und Information keine Fremdwörter mehr sind.
Bis dahin findet die große Politik vor allem gerüchteweise statt. Gerüchte wie das, dass die Chinesen den Tadschiken den rohstoffreichen Grenzstreifen im Murghab-Hochgebirge abgekauft haben; ein paar tausend Quadratkilometer für ein paar Millionen - Außenminister Zaripow verneint vehement. Oder das Gerücht, dass die Russen der tadschikischen Grenzübernahme nur zugestimmt hätten, weil das ganz große Heroingeschäft eh aus der Luft kommt. Fünfmal täglich landen russische Militärfrachter auf Duschanbes Flughafen, Gerüchten zufolge. Das wären mehr als alle internationalen Passagiermaschinen zusammen...
Jochen Förster ist Reporter und Herausgeber des Magazins "Dummy"