Online-Spiel
"Second Life" erfreut sich großer Beliebtheit. Jetzt gibt es den ersten großen Skandal: Pädophile nutzen das "Zweite Leben" für ihre realen Perversionen.
Ein Kinderspielplatz, buntes Karussell, grüne Rutsche. Im Sand spielende Mädchen, Lackschüchen, weiße Ringelsöckchen, Zöpfe. Ein Mann geht auf eines der kleinen Mädchen zu, fragt: "Magst Du ein bisschen kuscheln? Darf ich Dir einen Kuss geben? Du entscheidest wohin. Mein kleines süßes Mädchen." Er gibt dem Mädchen ein paar Euro, nimmt es mit, verschwindet mit ihm in einem Haus. Dort ziehen sich beide aus, dann sieht man, wie der bullige, dunkelhaarige Mann, Brille, schwarzer Bart das Mädchen missbraucht.
Die erschütternden Bilder stammen nicht aus dem realen Leben. Sie stammen aus dem Internet, aus dem virtuellen "Zweiten Leben", das weltweit derzeit mehr als sechs Millionen Menschen auf der Internetplattform "Second Life" führen. Reporter der ARD-Sendung "Report Mainz" haben den virtuellen Missbrauch von Kindern erstmals im Bild festgehalten; vergangene Woche flimmerten sie in Millionen deutschen Wohnzimmern über den Bildschirm.
Neben dem virtuellen Missbrauch virtueller Mädchen durch virtuelle Erwachsene sind die Journalisten in "Second Life" auch auf reale Kinderpornografie gestoßen. Einer der virtuellen Charaktere sandte ihnen pornografische Bilder echter Kinder zu. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft.
Die Online-Welt, in der jeder Spieler das sein kann, was er im echten Leben nicht ist, nicht hat oder nicht sein kann, hat damit ihren ersten echten Skandal. Dass Pädophile das "Zweite Leben" zur Befriedigung ihrer perversen Neigungen entdeckt haben, wundert dabei nur wenig, hat das Internet in den vergangenen Jahren doch einen wahren Boom an Kinderpornografie erfahren. Schätzungen von Interpol zufolge wurden im vergangenen Jahr mehrere Milliarden Euro mit Kinderpornografie im Netz umgesetzt. Diesem Geschäft hat Staatsanwalt Peter Vogt, Leiter der Zentralstelle Kinderpornografie in Halle an der Saale, den Kampf angesagt. Er ist einer der führenden deutschen Kämpfer gegen Kinderpornografie. Vergangene Woche hat Vogt erstmals ein Ermittlungsverfahren wegen Kinderpornografie bei "Second Life" eingeleitet.
Mit dem virtuellen Missbrauch, in den bei "Second Life" die kindlichen Spielfiguren einwilligen - stecken hinter den Kinderfiguren doch ebenfalls erwachsene Spieler - oder gar Geld kassieren, hat die Kinderpornografie im Internet eine neue Qualität erreicht. Eine Qualität, die nach deutschem Recht schwer fassbar ist, so Staatsanwalt Vogt. Seiner Aussage nach könnte der virtuelle Missbrauch in "Second Life" in Deutschland unter den Paragrafen 184b Strafgesetzbuch fallen: Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften. Straftaten im Internet sind allerdings allgemein sehr schwer zu ahnden. Die schwierigste Aufgabe der Fahnder besteht darin, von einer virtuellen Spur, die jeder Internetnutzer mit seiner IP-Nummer - vergleichbar mit einer dynamischen, also bei jeder Nutzung neu vergebenen Telefonnummer - hinterlässt, zu einem realen Internetnutzer zu gelangen. Das gilt für das Internet allgemein, wie für "Second Life" im Speziellen.
"Second Life", seit 1999 von Linden Lab in San Francisco entwickelt und seit 2003 online, ist die dreidimensionale Simulation einer virtuellen Welt. Sie gilt als klassisches Beispiel des so genannten Web 2.0, in dem die Internetnutzer und -spieler miteinander interagieren und selbst die Plattform, auf der sie sich bewegen, generieren.
Es gibt im "Zweiten Leben" sowohl kostenlose als auch kostenpflichtige Mitgliedschaften; die Einfachste kostet einmalig 9,95 US-Dollar, die Teuerste monatlich 9,95 US-Dollar. Jeder Spieler erhält eine Figur, einen so genannten Avatar, den er beliebig in Aussehen, Körperbau und Kleidung gestalten und verändern kann. Er schafft sich so ein virtuelles Ich.
Wirtschaftunternehmen, Politiker und Institutionen haben das "Zweite Leben" längst als erfolgversprechende Werbeplattform für sich entdeckt: Adidas, Toyota und Mercedes sind ebenso mit dabei wie Nicolas Sarkozy, Segoléne Royal und Jean-Marie Le Pen oder der US-Kongressabgeordnete George Miller. Inzwischen haben sich virtuelle Künstlergruppen gegründet, Zeitungen und eine Nachrichtenagentur gründeten eigene Ableger. Und gerade hat die Landesvertretung von Baden-Württemberg ihre Pforten online geöffnet.
Bei dieser Vielfalt sei es nicht zu verhindern, dass auch die Kinderpornografie oder gar der -missbrauch Eingang ins "Zweite Leben" finde, sagte Sabine Frank, Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Dienstanbieter (FSM) auf dem Mitteldeutschen Medientreffpunkt vergangene Woche in Leipzig. Neben allen technischen Fahndungs- und Verhinderungsmöglichkeiten ist für die Juristin jedoch wichtiger, Internetanbieter und -nutzer für das Thema Kinderpornografie zu sensibilisieren. Nur so könne der Missbrauch im Internet wirklich bekämpft werden. Allerdings, dessen ist sich Staatsanwalt Vogt bewusst, hat sich die Kinderpornografie im Internet ausgebreitet wie eine Seuche - der Fall "Second Life" ist dafür nur ein zusätzlicher Beleg.
"Das ist ein gesellschaftliches Problem", sagt der Mann, der dieses Frühjahr von sich Reden machte, als er, um den Kindersex-Konsumenten auf die Schliche zu kommen, 22 Millionen deutscher Kreditkartennutzer überprüfen ließ. Bei der Aktion, die bundesweit für Wirbel sorgte, waren die Ermittler auf 322 Karteninhaber in Deutschland gestoßen, die über das Internet Kinderpornos gekauft haben sollen. Unter den Nutzern von Kinderpornografie seien Ärzte, Lehrer, Richter ebenso wie Priester, Polizisten, Studenten und Schüler, so Vogt auf dem Mitteldeutschen Medientreffpunkt. Pornografische Kinderbilder zu sammeln und zu tauschen - das Strafgesetzbuch sieht hierfür ein Strafmaß von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor - sei dabei häufig nur der Anfang. "Bilder machen nicht satt", betonte Vogt. Einer amerikanischen Studie zufolge vergriffen sich rund ein Drittel der Konsumenten von Kinderpornografie im Laufe ihres Lebens auch real an Kindern. Unter dieser Prämisse, ist der virtuelle Missbrauch ein Schritt in diese Richtung.
Wie groß die Szene ist, die in Foren, Chats über ICQ oder einschlägige Plattformen weltweit Kinderpornografie tauscht und handelt wird deutlich, wenn Vogt erzählt, was ihm beispielsweise von Ärzten berichtet wird, die Pädophile behandeln. Nach dem Kreditkarten-Scan Anfang des Jahres beispielsweise habe sich die Kinderporno-Szene "halb schlapp gelacht, welche Hühnerdiebe erwischt worden sind".
"Es scheint Strukturen zu geben, die wir überhaupt nicht kennen", bedauert Vogt. Immer deutlicher allerdings wird nach Aussage des hallischen Staatsanwalts, dass nach neuesten Erkenntnissen weltweit die Fäden zwischen den Kinderporno-Netzwerken in wenigen Händen zusammenlaufen. Es handle sich dabei klar um mafiöse Strukturen. Mit dem virtuellen Missbrauch und dem Handel realer Kinderpornos im "Second Life" sind diese Strukturen um eine Facette erweitert worden.