TOURISTENPROFILE
Für die internationale Reisebranche ist es nicht einfach, ein klares Bild ihrer Kunden zu zeichnen
Eine Glaubensbotschaft eint die Marktforscher auf allen Kontinenten: Der Urlauber der Gegenwart und sein Konsumverhalten sind unberechenbarer denn je. Das allerdings hindert die Analysten nicht daran, eifrig und in großer Zahl mehr oder minder eindeutige Prognosen über die Urlauberwelten von morgen zu erstellen - wie zum Beispiel für den deutschsprachigen Markt das renommierte Züricher Gottlieb Duttweiler Institut (GDI), das im vergangenen Jahr für den Schweizer Marktführer Kuoni Reisen die Studie "Zukunft des Ferienreisens" ausarbeitete; "mögliche Szenarien" für die Ferien von morgen entwarfen auch das Essener Trendforschungsinstitut Z-Punkt oder das Zukunftsinstitut Kelkheim, das die "Urlaubsformen der Zukunft" auf den "neuen Sehnsuchtsmärkten" des Jahres 2020 eruierte. Einen Blick in die nebulöse Ferne wagte außerdem der 2006 gegründete Tui-Zukunftsrat, der in diesem Jahr auf dem Tui Campus Symposium in Berlin mit Experten und Wissenschaftlern das Thema "Die Reiseformen und Marken im Zukunftscheck" diskutierte.
Das jegliches Ergebnis absichernde Fazit sämtlicher Studien und Analysen heißt: Alles ist möglich, auch das Gegenteil; das Profil des Urlaubers 2010 oder 2020 bleibt deshalb bei aller Prognosenvielfalt dennoch vage.
Schärfer allerdings können die Konturen des Freizeitreisenden der Gegenwart gezeichnet werden, dessen Verhalten und Wünsche sich in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren grundlegend geändert haben. Welche Entwicklungen und welcher Wertewandel im internationalen Tourismus die vergangenen Jahre dominierten, wurde auf dem im November 2006 veranstalteten und hochkarätig besetzten World Travel Monitor Forum aufgezeigt, dessen Ergebnisse im "World Travel Trends Report 2006-2007" zusammengefasst sind. Danach registrierten die weltweiten Tourismusmärkte:
- zusehends mehr Singlereisende, deutlich mehr alleinreisende Frauen sowie immer mehr Großeltern, die mit ihren Enkeln auf Reisen gingen. Ungewöhnlich auch die Beobachtung, dass wieder in großen Familienverbänden gereist wird - mit Kind und Kegel, Oma und Opa (gerade hat Disney Cruises diese Klientel als eine wichtige Zielgruppe für seine beiden neuen Kreuzfahrtschiffe genannt, die bis 2011 in Deutschland gebaut werden sollen).
- dass für den Urlauber von heute das Reiseziel weit weniger bedeutsam ist als früher. Pasta in Bella Italia oder Zaziki in Griechenland? Egal, entscheidend sind der Inhalt und die Form des touristischen Angebots. Die Nibelungentreue zu einem Urlaubsort scheint passé zu sein (auch wenn etliche Urlaubsanalytiker der Rückkehr zum Vertrauten das Wort reden. GDI: "Heimweh wird wichtiger als Fernweh").
- nach wie vor den Preis als wichtigstes Kriterium für die Buchung einer Reise. Er behält seine Schlüsselfunktion, wobei ein Paradoxon zu beoabachten ist: Der stetig steigende Anspruch nach mehr touristischer Qualität geht mit dem Kundenwunsch einher, diese Qualität zum Schnäppchenpreis einzukaufen: die Suite zum Preis eines Einzelzimmers. Noch hat diese so genannte Geiz-ist-geil-Mentalität, die in den vergangenen Jahren vor allem im globalen Luftverkehr wahre Orgien feierte, ihren Einfluss auf den Käufer von Reisen nicht verloren.
- einen Trend jenseits der klassischen Pauschal- und Individualreise (Badeurlaub am Meer, Wander- und Erholungsurlaub in den Bergen), der schon seit rund zehn Jahren zu beobachten und von individuellen Vorlieben des Reisenden geprägt ist. "Der immer stärker werdende Wunsch, ein gesundes Leben zu führen, und die Notwendigkeit, den hohen Anforderungen der heutigen Arbeitswelt zu entfliehen", heißt es im Trendreport, "haben die Nachfrage nach Nischenprodukten wie Wellness-Tourismus, Outdoor-Aktivitäten, Kreuzfahrten, Bildungsreisen usw. verstärkt."
- einem weiteren, sich verstärkenden Trend, der unter dem Stichwort "Authentizität" läuft und verkauft wird: Der Urlauber sucht jenseits allen folkloristischen Klimbims das echte Kulturerlebnis und die unmittelbare Begegnung mit den "Bereisten", wie die Tourismuskritiker einst die Einheimischen in den Urlaubsregionen bezeichneten. Heimatabend war einmal, angesagt ist ein dreitägiger Aufenthalt bei den Buschmännern in der Kalahari.
Diese Marketingwelt des internationalen Tourismus, so der Trendreport, wurde jedes Jahr mehr von "Cash-rich and time-poor"-Menschen bevölkert, Menschen, die höchst mobil und extrem serviceorientiert sind, viel Geld besitzen oder verdienen und wenig Zeit haben; Menschen, die in ihrer knapp bemessenen Urlaubszeit ein Maximum an Urlaubserlebnissen untergebracht wissen wollen. Die Folgen für die Reiseveranstalter: Sie werden ihre Kunden mit Service und Qualitätsangeboten auf allen Stufen der Urlaubsproduktion noch mehr verwöhnen müssen, um sie zu einer Buchung zu bewegen. Andererseits wird der "Poor-time"-Urlauber die perfekten Dienstleistungen eines Veranstalters zu schätzen wissen. Insofern sind die Unkenrufe, die das endgültige Ende der Pauschalreise ankündigen, voreilig und falsch.
Wohin also wird die Reise in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren gehen? Alle Trendforscher sind sich über einige leicht zu beweisende Tatsachen einig: die demografische Entwicklung hin zur quantitativen und auch ökonomischen Supermacht der so genannten Best Agers, der Senioren also, wird noch stärkeren Einfluss auf die Tourismusindustrie gewinnen; die von Emotionen gesteuerte Wellnesswelle wird weiter wogen; das angesichts des Klimawandels geschärfte Bewusstsein der Urlauber wird nach mehr Ferienangeboten in reiner Luft und unzerstörter Natur verlangen; ein Ende der Geiz-ist-geil-Mentalität ist nicht abzusehen,Touristen erwarten mehr Leistung für weniger Geld; die Splittung der touristischen Nachfrage in Billig-und Luxusangebote wird sich verstärken. Das alles zusammen bildet ein wahrscheinliches Szenario, das den Urlauber der kommenden Jahre berechenbar erscheinen lässt. Eine Garantie dafür gibt es jedoch nicht.