sACHSEN
Die Affäre ist nun endgültig von der Elbe an die Spree hinübergeschwappt
Täglich werden neue Vorwürfe laut. Doch weniger gegen korrupte Staatsanwälte, Politiker und Polizisten, viel mehr gegen heutige und damalige Mitglieder der sächsischen Landesregierung. Sie sollen frühzeitig von den brisanten Geheimdiensterkenntnissen gewusst haben. Doch statt die Staatsanwaltschaft mit der Aufklärung zu beauftragen, schauten sie tatenlos zu. Im Blickfeld steht dabei besonders Sachsens Ex-Innenminister Thomas de Maizière, der heutige Kanzleramtschef von Angela Merkel.
De Maizière räumte jetzt freimütig ein, schon im Jahr 2005 vom brisanten Geheimdienstmaterial gewusst zu haben. Die Erkenntnisdichte sei damals jedoch nicht ausreichend gewesen, meint der Kanzleramtschef. Er hielt es daher nicht für notwendig, die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des sächsischen Landtages zu informieren. Eine folgenschwere Entscheidung, die ihn nun in die Bredouille bringt: Denn Sachsens Chef-Geheimdienstkontrolleur Gottfried Teubner wirft dem damaligen Innenminister glatten Rechtsbruch vor. De Maizière sei gesetzlich verpflicht gewesen, die Verfassungsschutz-Aufseher über die Erkenntnisse zu informieren, so der CDU-Parteikollege.
Ein alter Bekannter des Kanzleramtschefs sah sich nun gezwungen einzuschreiten. Dresdens Promi-Anwalt Klaus Koenig zeigte Thomas de Maizière wegen Strafvereitelung im Amt an. Die Entscheidung, ob Beweismittel verwertbar sind, treffe nicht Herrn de Maizière, sondern sei Sache der Staatsanwälte und Richter, begründete Koenig seine Strafanzeige und fügte hinzu: "Die skandalöse Untätigkeit verletzt den Amtseid auf die sächsische Verfassung." Ein Nebenschauplatz in Dresden, Zündstoff in Berlin. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP im Bundestag, Jan Mücke, forderte de Maizière auf, sein Amt als Geheimdienst-Koordinator der Regierung ruhen zu lassen.
Der Kanzleramtschef sieht den Wirbel um seine Person gelassen - das sagt er zumindest. Dabei ist es nicht die erste Anzeige des Anwalts gegen ihn. Schon 2004 ermittelten Staatsanwälte gegen den Minister wegen übler Nachrede, so Koenig. Ausschlaggebend war ein verpatzter Polizeieinsatz, bei dem ein Sondereinsatzkommando (SEK) die falsche Wohnung eines Hauses gestürmt hatte. De Maizière hatte nach dem Pannen-Einsatz jedoch die unschuldigen Opfer verbal angegriffen, weil sie mit einer Rotlichtgröße unter einem Dach lebten. Das Verfahren wurde später eingestellt. Innenminister de Maizière zog sich mit einem blauen Auge aus der Affäre. Promi-Anwalt Koenig hat den Fall bis heute nicht vergessen.
Auch Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) räumte ein, er sei vor einigen Monaten über das Problem informiert worden. Zugleich wiegelte er ab: Er habe die Akten aber nicht gelesen, so der Landesvater. Das glauben ihm jedoch die wenigsten. Denn die Vorwürfe sind enorm: Rotlichtkontakte, Bestechlichkeit, Mord und Kinderprostitution - Politiker, Staatsanwälte und Polizisten sollen ab den 1990er-Jahren ein enges Netzwerk zur Organisierten Kriminalität gepflegt haben. Die Hauptstädte der Sachsen-Mafia: Leipzig, Chemnitz und Plauen. Das alles soll aus den geheimen Akten des Verfassungsschutzes hervorgehen. Auch Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee werden immer wieder unangenehme Fragen gestellt. Zum Beispiel, woran er sich an seine Leipziger Zeit als Oberbürgermeister noch erinnern kann. Denn tschechische Prostituierte sollen im Rathaus der Pleiße-Stadt ein- und ausgegangen sein. SPD-Politiker Tiefensee will davon nichts wissen. Er habe keine keinerlei Kenntnisse von solchen Vorgängen, ließ er ausrichten.
Die Bundesanwaltschaft lehnte bisher die Ermittlungen im Sachsen-Sumpf ab, die Antikorruptions-Ermittler der Staatsanwaltschaft Dresden sind daher am Zug. Sie dringen auf eine schnelle Herausgabe aller 16.000 Geheimdienstpapiere. Bisher bekamen sie aber nur wenig aussagekräftige Dossiers, gefiltert selbstverständlich. Oberstaatsanwalt Christian Avenarius will das nicht länger hinnehmen. Doch de Maizière-Nachfolger Albrecht Buttolo bremst die Aufklärung. Die Begründung: Die sorgfältige Aufbereitung der Akten sei wichtig, um Quellenschutz zu gewährleisten, so der Innenminister. Niemand könne "ernsthaft wollen", dass die Quellen des Verfassungsschutzes gefährdet würden. Buttolo sieht sich daher immer wiederkehrenden Rücktrittsforderungen der Opposition ausgesetzt. Bisher ergebnislos.
Ein anderer musste dagegen schon seinen Stuhl räumen. Verfassungsschutzpräsident Rainer Stock wurde gegen seinen Vorgänger Reinhard Boos eingetauscht, der sich zwischenzeitlich um Asylangelegenheiten im Freistaat kümmerte. Stock gilt als Bauernopfer, doch mit der Ablösung ist die Affäre nicht vom Tisch. Denn Minister Buttolo hat noch andere Sorgen - seine Ermittler. Der Minister rechne mit Vergeltungsschlägen der Organisierten Kriminalität, sagte er unverhohlen. Sizilianische Verhältnisse in Elbflorenz. Der Generalstaatsanwalt soll bereits unter Polizeischutz stehen, auch Geheimdienstzeugen und Journalisten.
Spiegel-Reporter Steffen Winter gehört zu den bedrohten Journalisten. Als er an einem dubiosen Immobiliendeal in Leipzig recherchierte, wurde er von einem Bauunternehmer eingeschüchtert. Falls er weiter wühle, so erinnert sich Winter an die Drohungen, werde er als Kinderschänder verleumdet. Erschreckend, nicht nur für Buttolo. Er vermutet noch heute ein funktionierendes Mafia-Netzwerk in Sachsen.