ENERGIE
Den Konzernen reichen die nationalen Märkte für ihren Expansionsdrang schon lange nicht mehr. Ein Gesetz soll den Preismissbrauch bekämpfen.
Der Stromkunde soll es richten. "Vergleichen Sie Stromtarife und wechseln Sie zu dem für Sie günstigsten Anbieter". So der Appell von Michael Glos (CSU). Der Bundeswirtschaftsminister will ausgerechnet mit Hilfe der Verbraucher "den Wettbewerb auf dem Strommarkt richtig in Gang bringen" und damit die großen Konzerne bändigen. Doch die spielen längst nicht mehr in der Regional-, sondern in der Europaliga.
Nach nationalen Übernahmewellen Ende der 90er-Jahre reichen den Energieriesen die heimischen Märkte für die Expansion nicht mehr aus. Meist sind sie in ihren Regionen so mächtig geworden, dass Wettbewerbshüter oder Regulierungsbehörden weiteren Kaufgelüsten entschieden einen Riegel vorschieben. Andererseits bescheren hohe Strom- und Gaspreise den Unternehmen Milliardengewinne. Dazu kommen satte Erlöse aus Firmenverkäufen, sodass die Konzerne im Geld schwimmen. Auf der Suche nach neuen Kunden und Märkten strecken sie ihre Fühler nach Übernahmekandidaten im Ausland aus.
In wenigen Jahren, darin sind sich Energieexperten und Investmentbanken einig, werden fünf bis acht Konzerne in Europa den Markt bestimmen. Bei Käufen und Verkäufen von Unternehmen habe das Zeitalter der "Mega-Mega-Deals" begonnen, sagt Manfred Wiegand, Partner von Price-Waterhouse-Coopers (PWC). Die Unternehmensberatung schätzt das Volumen der im Jahr 2006 angekündigten Übernahmen in der Branche weltweit auf knapp 225 Milliarden Euro. Das ist ein Drittel mehr als ein Jahr zuvor. Innerhalb von drei Jahren hat sich das Volumen fast vervierfacht.
Besonders dynamisch ist die Entwicklung in Europa. Neben strategischen Investoren haben nach Branchenangaben auch Finanzinvestoren den Energiesektor entdeckt. Sie hätten in Deutschland speziell auch Stadtwerke unter die Lupe genommen. Viele regionale Versorger seien zu "hoch attraktiven Investitionsobjekten" für Finanzinvestoren geworden, stellt die Beratungsgesellschaft Accenture fest.
Für Schlagzeilen sorgte der rund ein Jahr währende, spektakuläre Übernahmekampf um die spanische Endesa. Der deutsche Eon-Konzern bot zuletzt mehr als 42 Milliarden Euro für den Marktführer, stieß aber auf großen Widerstand der spanischen Politik und scheiterte schließlich an einer Koalition, die der italienische Konkurrent Enel mit dem spanischen Mischkonzern Acciona eingegangen ist. Endesa soll von den Rivalen im Übernahmekampf jetzt zerschlagen werden. Enel und die Acciona wollen sich die besten Stücke sichern, aber auch für Eon fallen noch interessante Beteiligungen in Frankreich, Italien und Spanien im Gesamtwert von mehr als 10 Milliarden Euro ab.
Für Enel ist Endesa nicht der erste Versuch einer Mammutübernahme. Die Italiener waren bei Suez in Frankreich abgeblitzt. Suez strebt eine Fusion mit dem französischen Staatskonzern Gaz de France (GDF) an. Aber die französische Regierung verliert Pläne nicht aus den Augen, GDF mit dem ebenfalls staatlich kontrollierten Stromkonzern EDF (Electricité de France) zusammenzubringen. In den Niederlanden schmieden Essent und Nuon an einer Firmenehe. Inzwischen gibt es kaum noch Versorger aus der zweiten oder dritten Reihe, die nicht an einen Großkonzern gebunden sind.
Auch sie versuchen, sich durch Fusionen oder Kooperationen zu verstärken und vor Übernahmen zu schützen. Das gilt für Deutschland und für andere europäische Länder wie auch die geplante Fusion der Kommunalversorger AEM und ASM in Italien zeigt. Dort wird spekuliert, dass ein solcher Zusammenschluss der erste Schritt auf dem Weg zur Formung eines Energieriesens aus kommunalen Versorgern nach dem Vorbild des deutschen RWE-Konzerns sein könnte.
"Wir werden weitere Schritte zur Konsolidierung des Marktes erleben", sagt Eon-Chef Wulf Bernotat. In Europa würden die Grenzen im Energiegeschäft mehr und mehr fallen. Das eigene Unternehmen zählt Bernotat auch nach dem Scheitern in Spanien zu den europäischen Champions. "Wir sind in allen wichtigen Märkten vertreten. Kein anderer Konzern kann mit dieser Position Schritt halten."
Größe ist für Bernotat kein Selbstzweck. Er hält Marktmacht für notwendig, um zum Beispiel beim Brennstoffeinkauf auf den Weltmärkten entsprechend selbstbewusst auftreten zu können. "Eon steht nicht mehr allein mit anderen Stromversorgern wie RWE oder Suez im Wettbewerb, sondern mit Ölgiganten wie BP", sagt auch Burkhard Schwenker, der Chef der Unternehmensberatung Roland Berger. Die Energiegiganten konkurrierten um die Gasquellen der Zukunft. Das seien Milliardenprojekte. Durch eine Großfusion wollten sie sich Kunden und Absatzmärkte sichern, damit sich die gewaltigen Investitionen schneller rechneten. In der Tat hätte Eon bei einer Endesa-Übernahme den Abstand zu den Ölmultis verringert und sich nach den addierten Unternehmenswerten hinter Exxon, BP, Shell und Total auf Rang fünf vorgeschoben.
Die Politik verfolgt überall in Europa die Verschiebung der Machtverhältnisse mit großer Aufmerksamkeit und - ebenso wie in Spanien - keinesfalls nur als Zuschauer. Das zeigt sich auch in Frankreich, wo eine Fusion von EDF und GDF schon in Parteiprogrammen steht. Und die Bundesregierung? Offiziell setzt sie sich für das freie Spiel der Marktkräfte ein. Als aber Meldungen über einen möglichen Einstieg des russischen Gasprom-Konzerns beim deutschen Traditionskonzern RWE die Runde machten, reagierte auch das Kanzleramt aufgeregt und startete besorgte Anfragen im RWE-Turm in Essen.
In Deutschland geht Marktgröße nach der Einschätzung des Branchenverbands nicht zu Lasten des Wettbewerbs. So sei im Strommarkt eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Unternehmen aktiv. Der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) verweist auf eine Untersuchung der Europäischen Kommission. Danach kommt der größte deutsche Stromerzeuger auf einen Marktanteil von 28 Prozent. Deutschland rangiere damit im europäischen Vergleich der alten EU an drittletzter Stelle. In Belgien habe der größte Produzent dagegen einen Anteil von 82 Prozent, in Frankreich betrage er 75 Prozent, so der Verband.
Ganz anders schätzt das Bundeskartellamt die Marktmacht der großen Konzerne ein. Eon und RWE verfügen nach Einschätzung der Kartellwächter über eine "überragende Position auf der Ebene der Erzeugung und Verteilung von Strom". So würden mehr als 60 Prozent des Stroms von den beiden Konzernen selbst erzeugt, importiert und verteilt. Da Elektrizität nicht speicherbar sei, kontrollierten sie mit dieser Position auf der Erzeuger- und Verteilebene den Weg hin zu den Verbrauchern. Aufgrund dieser Einschätzung hatte das Kartellamt Eon die Übernahme einer Beteiligung von 33 Prozent an den Stadtwerken Eschwege untersagt. Eine Klage gegen die Verfügung vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf blieb erfolglos, weil die Richter der Einschätzung des Kartellamts folgten.
Die Waffen des Kartellamts sollen noch geschärft werden. Am 25. April hat das Kabinett den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Preismissbrauchs bei der Energieversorgung beschlossen. Damit soll der Nachweis von überhöhten Preisen erleichtert werden. So sollen Energieversorungsunternehmen, die allein oder zusammen mit anderen Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung haben, diese nicht missbräuchlich ausnutzen dürfen. Konkret verboten werden soll es, Entgelte oder sonstige Gechäftsbedingungen zu fordern, die ungüstiger sind als jene anderer Versorungsunternehmen. Untersagt werden soll ferner, dass die Entgelte die Kosten in "unangemessener Weise" übersteigen.
Der Bundesrat hat den Entwurf im ersten Durchgang unterstützt. Der Entwurf wird jetzt dem Bundestag zugeleitet. Aber das Gesetz ist eben noch nicht in Kraft. Andererseits läuft die Preisaufsicht der Bundesländer für die Strom-Haushaltstarife am 30. Juni aus. Das steht bereits seit etwa zwei Jahren fest. Mit dem damals novellierten Energiewirtschaftsgesetz wollte die Bundesregierung endgültig die Marktwirtschaft auch im Stromgeschäft einläuten. Relikte aus alten Monopolzeiten sollten verbannt werden, als die Energielieferanten sich ihre Preise genehmigen lassen mussten. Bewusst wurde damals ein langer Zeitvorlauf gewählt, in der Hoffnung, der Wettbewerb auf dem Strommarkt würde dann funktionieren. Dass dies nicht so ist, zeigt allein der Aufruf des Bundeswirtschaftsministers zu den bisher bekannten Pläne von annähernd 70 deutschen Stromversorgern, just zum 1. Juli ihre Strompreise anzuheben.