Stau und Panik - die beiden Worte erzeugen Unbehagen, wenn nicht Furcht. Für sich allein genommen werden sie ständig verwendet, obwohl sie auch als Paar in Erscheinung treten. In einem Fahrzeug im Stau auf der Autobahn ist man gefangen, man kann es nicht einfach verlassen und sich entfernen. Und eine gewisse Perspektivlosigkeit schwingt auch mit, denn man weiß nicht, wie lange der Zustand noch andauern wird. Dies sind die wesentlichen Ingredienzen für das Auftreten eines psychologischen Zustands, den man gemeinhin und eher salopp als "panisch" bezeichnet.
Doch auch umgekehrt betrachtet ergibt sich ein Zusammenhang. Menschen in Panik, zumal in einer großen Masse, handeln egoistisch, ohne Rücksicht auf andere. Das Gedränge an Engstellen vermindert den Durchsatz enorm und erzeugt schließlich: Stau. Häufig mit unabsehbaren Folgen, denn am Ende wird "panisch" gedrückt, geleitet von der irrigen physikalischen Annahme, mehr Druck erzeuge mehr Durchfluss. Menschen sind transporttechnisch aber eher als "sperrig" einzustufen, so dass das Gegenteil eintritt: Verstopfung, und damit Stau.
Von beidem soll hier die Rede sein, von Stau und von Panik, von Menschen in Fahrzeugen und als Fußgänger. Stau und Panik haben miteinander zu tun. Sie können alleine auftreten, aber auch gemeinsam. Fakten und Zusammenhänge legen die Verbindungen des Systems Verkehr mit Stau und Panik nahe. 1
Das Wort Stau kommt nicht vom passiven Sich-nicht-(vorwärts)-bewegen-Können, sondern vom aktiven Verb "stauen": "(Wasser) im Lauf hemmen" und "(Waren) fest schichten". Daraus wurde Stau als "Stillstand des Wassers". Das verwandte Verstauen ("fest einpacken") stammt aus der Seemannssprache des 19. Jahrhunderts, wobei der "Stauer" die Schiffsladungen "staut".
Heute stellt sich das Thema Stau deutlich anders, ja genau umgekehrt dar. Nicht wir stauen oder verstauen etwas, sondern wir werden "gestaut". So sind wir vom Täter zum Opfer geworden. Und das ärgert uns: Mit allen technischen und wissenschaftlichen Mitteln versuchen wir, Herr über den Stau zu werden, häufig mit zweifelhaften Erfolgsaussichten. Doch Stau ist etwas ganz Natürliches, überall in der Natur ist er präsent. Ob Kieselsteine, Körner oder Sand, ob Ameisen, Mikroben oder Tiere auf dem Weg zur Wasserstelle, überall behindert eins das andere. Ohne die anderen gäbe es keine Probleme, und so ärgern wir uns hauptsächlich über die anderen, die uns am Fortkommen hindern. Doch am Ende sind wir alle der Stau, auch wir selbst.
Zu den ganz großen Erfindungen der Menschheit zählt zweifellos das Rad. Doch ohne die dazu gehörige Straße (via strata, gepflasterter Weg) hätte es gar nicht zu seiner heutigen Bedeutung gelangen können. Das Problem der frühen Straßen bestand darin, dass auf ihnen alle Verkehre gleichzeitig abgewickelt wurden, ja sogar Kinder spielten. Die Oberfläche der Straßen war, hauptsächlich durch Pferdefuhrwerke, in einem bedauernswerten Zustand. Während des Ersten Weltkriegs vernachlässigt, konnten die Verkehrswege mit der rasanten technischen Entwicklung des Automobils danach nicht mithalten, waren sie doch noch auf dem Niveau von Lastkarren und napoleonischen Kriegsfahrzeugen. Unübersichtlichkeit, Unebenheit und Staubentwicklung ließen für die in den 1920er Jahren immer häufiger anzutreffenden Automobile nur niedrige Geschwindigkeiten und wenig Komfort zu. So ist es verständlich, dass der Ruf nach hochwertigen "Nur-Autostraßen" immer lauter wurde. Auf diesen sollten keine Pferdefuhrwerke mehr verkehren dürfen.
In diese Zeit fällt die Installation der ersten deutschen Ampel, die am 20. Oktober 1924 am Potsdamer Platz in Berlin in Betrieb ging. Deutschland hinkte damit mehr als 55 Jahre hinter der Inbetriebnahme der weltweit ersten Ampel in London vor dem Parlamentsgebäude (1868) hinterher. Dort war der Grund für die neue Technik in den sich häufenden Unfällen insbesondere mit Polizisten zu sehen, die eigentlich den Verkehr regeln sollten. Zwei Jahre später gab es auf der Leipziger Straße Richtung Potsdamer Platz die erste Grüne Welle, um den Verkehr zu verflüssigen. Bemerkenswerterweise haben Ampeln nach über achtzig Jahren ihre Form und Anmutung mit den drei Farben Rot-Gelb-Grün trotz aller technischen Weiterentwicklungen fast unverändert behalten und sind weltweit vorzufinden. Heute werden an vielen Orten Ampelkreuzungen durch Kreisverkehre ersetzt, die als sicherer und in der Wartung als deutlich günstiger gelten.
Die eindrucksvollste Entwicklung auf dem Weg zum Stau war indes die der Autobahnen, die als Straßen ohne Kreuzungen und nur für Automobile geplant waren. So wurde schon 1909 in Berlin die Gesellschaft "Automobil-Verkehrs- und Uebungsstraße" (AVUS) mit dem Ziel gegründet, eine Automobilrennstrecke zu bauen. Die Pläne beschränkten sich zunächst auf eine reine Rennstrecke, sie wurden später aber zu einer öffentlichen Automobilstraße ohne Kreuzungen und Querstraßen und mit getrennten Richtungsfahrbahnen ausgeweitet. Dieses Konzept trug bereits wesentliche Merkmale der späteren Autobahn, wie sie in Anlehnung an die Reichsbahn genannt wurde. Dieser Begriff wurde 1929 erstmals von dem Hannoveraner Professor für Statik und Eisenbau Robert Otzen offiziell benutzt. Die Bauarbeiten begannen 1912 auf einem Gelände zwischen Charlottenburg und Wannsee. Aufgrund des Weltkrieges wurde die fast zehn Kilometer lange Strecke jedoch erst 1921 fertig gestellt. Am 24. September 1921 fand das erste offizielle AVUS-Rennen statt.
Das Vorbild für den Bau von Autobahnen hatte der Italiener Piero Puricelli entworfen. 1922 gründete er mit staatlicher Unterstützung eine Autobahn-Gesellschaft, um ein ganzes Netz von Nur-Kraftwagen-Straßen (autostrade) zu realisieren: lange Geraden, weite Kurven, große Spurbreiten, glatte, feste und staubfreie Oberflächen, keine Kreuzungen, geringe Steigungen und Tankstellen direkt neben der Fahrbahn. Allerdings gab es, im Unterschied zu den späteren Reichsautobahnen, noch keine Trennung der Richtungsfahrbahnen. Nach reiflicher Überlegung entschied man sich für die Verbindung zwischen Mailand und den oberitalienischen Seen, insbesondere zwischen Mailand und Como sowie zwischen Mailand und Varese. Die letztgenannte, 49,2 Kilometer lange Verbindung wurde am 21. September 1924 von König Vittorio Emanuele eröffnet. In den europäischen Nachbarländern (und darüber hinaus) wurde der Autobahngedanke nach der Realisierung in Italien von "Autobahnverfechtern" leidenschaftlich aufgegriffen, so auch in Deutschland. Dort gab es inzwischen zahlreiche Interessenverbände und Gesellschaften, die sich mit der Planung von Nur-Autostraßen befassten. Nach vielen Anläufen und Rückschlägen wurde am 6. August 1932 vom damaligen Kölner Oberbürgermeister und späteren Bundeskanzler Konrad Adenauer die erste "kreuzungsfreie Straße nur für Kraftfahrzeuge" zwischen Köln und Bonn (die heutige A 555) eröffnet. Heute umfasst das deutsche Autobahnnetz rund 12 000 Kilometer, und es wird immer weiter ausgebaut.
Die "kreuzungsfreien" Fernstraßen sind als einzige Straßen in der Lage, Stauentstehung in seiner reinsten Form zu ermöglichen: Ohne äußere Einflüsse wie Ampeln, Kreuzungen, Baustellen oder widrige Wetterbedingungen bilden sich dort Staus; man spricht häufig gar vom "Stau aus dem Nichts". Dies ist aber eine Täuschung: Versuchen zu viele Fahrzeuge zur selben Zeit in derselben Richtung dieselbe Strecke zu benutzen, so erreicht sie ihre Kapazitätsgrenze, und eine spezielle Dynamik setzt ein. An Stellen, an denen sich die Dichte lokal erhöht, etwa an Auffahrten, Steigungen oder in unübersichtlichen Kurven, geht der freie in den so genannten synchronisierten Verkehr mit 10 bis 30 km/h über. Dieser "zähfließende" Verkehr bildet sich von der Engstelle an flussaufwärts und löst sich nicht von ihr. Flussabwärts geht es mit freiem Verkehr weiter.
Interessant ist, dass die Geschwindigkeit in dieser zähfließenden Zone zwar gering ist, der Durchsatz, gemessen in Fahrzeugen (Fhz) pro Spur und Stunde (h), aber fast unverändert bleibt: Erst bei 1 500 bis 1 800 Fhz/h und Spur wird der Verkehr instabil; in Sondersituationen gibt es allerdings auch Flüsse deutlich über 2 000 Fhz/h. Schlimmer wird es, wenn Fahrzeuge zum Stillstand kommen: Geschwindigkeit Null. Warum auch immer dies geschieht, sei es als Überreaktion oder aus Unaufmerksamkeit - wenn der nachfolgende Wagen stehen bleiben muss, entsteht ein Ministau, der dramatische Auswirkungen haben kann. Ein Fahrzeug, das zum Stehen gekommen ist, benötigt ca. zwei Sekunden zum Anfahren (Capacity-Drop-Phänomen). Wenn dann aber mit einer Zeitlücke deutlich darunter Fahrzeuge heranfahren, wächst dieser Ministau blitzschnell an und entwickelt sich zu einer ausgewachsenen Stauwelle. Diese bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von ca. 15 km/h flussaufwärts, kommt dem nachfolgenden Verkehr also "entgegengefahren". Dies ist deshalb so gefährlich, weil die Relativgeschwindigkeit der in den Stau hineinfahrenden Fahrzeuge genau um diesen Wert größer ist als ihre eigene Geschwindigkeit, die der Tacho anzeigt: ein Grund für die Gefährlichkeit von Stauenden. Da die Stauwelle sich erst wieder auflöst, wenn der Zufluss von hinten nachlässt, fährt sie mit ihren 15 km/h vielleicht eine Stunde oder sogar länger durch das Netz, wechselt vielleicht (rückwärts fahrend!) die Autobahn und begegnet einem dann irgendwo auf der Strecke, ohne erkennbaren Anlass. Daraus hat sich dann der "Stau aus dem Nichts" entwickelt; wie gesehen, hat er sehr wohl einen Grund.
Damit aber noch nicht genug. Zähfließender Verkehr erzeugt nicht nur eine Stauwelle, sondern wirkt wie eine Pumpe: Ein Stau nach dem anderen wird "ausgesandt". Man kennt das Phänomen, "nach dem Stau ist vor dem Stau", etwas freier interpretiert. Das ist nicht das, was man unter "Stop-and-Go"-Verkehr versteht, damit ist die Dynamik innerhalb eines Staus gemeint. "Normale" Staus (ausgenommen totaler Stillstand wie bei einer Vollsperrung) haben eine interne Geschwindigkeit von ca. 10 km/h, so dass es schon ab und zu Bewegung gibt, aber eben keine konstante. Heute gibt es an immer mehr Auffahrten Ampeln, so genannte Zuflussregelungen. Diese sollen verhindern, dass ganze Pulks von Fahrzeugen gleichzeitig versuchen aufzufahren. Dazu sind die Grünphasen maximal zwei Sekunden lang, so dass nur ein Fahrzeug fahren kann. Dies verhindert die Entstehung von Stauwellen, der Verkehr bleibt "nur" zähfließend. Die in der Fahrschule gelernte Regel "halber Tacho" in Bezug auf den Sicherheitsabstand bedeutet unabhängig von der Geschwindigkeit einen Zeitabstand von 1,8 Sekunden. Leider vertrauen Autofahrer zu sehr ihrer Reaktionsfähigkeit bzw. der Technik, denn sie können nichts daran ändern, dass die Reaktionszeit mindestens eine Sekunde beträgt, ein Zeitraum also, in dem sich das Fahrzeug mit der aktuellen Geschwindigkeit weiterbewegt, bis der Bremsvorgang einsetzt.
Überhaupt wird der Verkehr zunehmend von psychologischen Aspekten dominiert. Man fühlt sich als Autofahrer sehr schnell benachteiligt, zumal, wenn man im Stau steht und Zeit hat zu beobachten. Auf der anderen Spur geht es schon wieder weiter, auf der eigenen nicht: Also schnell wechseln! Untersuchungen haben ergeben, dass man immer das Gefühl hat, von mehr Fahrzeugen überholt zu werden als man selber überholt - ein Grund für die dauernden Spurwechsel, die am Ende den Gesamtverkehrsfluss nachhaltig schädigen, allerdings nur hinter einem, doch Autofahrer denken (wie übrigens auch Fußgänger) nur nach vorne. (Das Gleiche trifft auf parallele Warteschlangen zu, bei denen man durch ständiges Wechseln einen Vorteil zu erhaschen sucht. An Flughäfen und Bahnhöfen gibt es aus diesem Grunde jeweils nur noch eine Schlange, und erst am Ende wird der Schalter gewählt, der gerade frei wird.)
Besteigt jemand sein Auto, ändert er sein Verhalten gegenüber dem im privaten Leben praktizierten deutlich. Egoismus pur ist jetzt unter dem Deckmantel der Anonymität im Fahrzeug angesagt. Dies schädigt die Effektivität des Verkehrssystems deutlich. Die Strategien der Verkehrsteilnehmer gehen noch einen Schritt weiter. Wie wird eigentlich eine Route auf der Grundlage von Verkehrsinformationen tatsächlich ausgewählt? Welches sind die Strategien, und ändern sich diese? Welches sind die Ziele? In Untersuchungen mit Studenten ist in einem Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen zusammen mit der Gruppe von Reinhard Selten (Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 1994) von der Universität Bonn herausgefunden worden, dass es im Prinzip nur drei Typen von Verkehrsteilnehmern gibt: erstens die Sensiblen (die "Direkten", 44 %), die sofort ihre Entscheidung ändern, sobald die Situation sich zu verschlechtern (ein Stau) droht, und die Strecke verlassen. Zweitens gibt es die Taktierer (die "Gegenläufigen", 14 %), die gezielt das nicht tun, was gemeinhin erwartet wird, die also in einen gemeldeten Stau hineinfahren in der Erwartung, dass die anderen, insbesondere die Sensiblen, diesen zu umfahren versuchen. Schließlich bleiben drittens die Konservativen mit 42 %, die alle Informationen ignorieren und nur ihrer eigenen Vorstellung folgen. Eine kleine Untergruppe, die der Stoisch-Konservativen (die "Stoiker", 1,5 %), wählt sogar immer exakt die gleiche Route, egal was passiert. Das verblüffende Ergebnis: Die Stoiker sind die Erfolgreichsten. Daraus den Schluss zu ziehen, alle sollten Stoiker werden, wäre fatal, denn dann würde sich ihr Vorteil verflüchtigen. Die Sensiblen machen ihnen ja gerade die Strecke frei. In der Zukunft wird es Informationssysteme geben, die im Nachhinein eine Überprüfung der einmal getroffenen Entscheidung ermöglichen. Dies ist heute normalerweise nicht möglich, und man freut sich über den Hinweis des Navigationssystems, den (vielleicht gar nicht mehr existierenden) Stau umfahren zu können. Der Preis ist vielleicht viel zu hoch, man weiß es aber im Nachhinein nicht.
Mittels Kernspintomographie, heute als funktionale Magnetische-Resonanz-Tomographie (fMRT) bezeichnet, kann man Gehirnregionen ausfindig machen, die bei bestimmten Handlungs- und Entscheidungsprozessen ak-tiv sind. Am Klinikum der Universität Duisburg-Essen wurde untersucht, welche Gehirnaktivitäten bei Pendlern vorzufinden sind. Das erstaunliche Ergebnis war, dass das Großhirn, das für vorausschauendes Handeln verantwortlich zeichnet, bei Beifahrern deutlich aktiver ist als das des Fahrers. Sie haben eher Angst als der Fahrer, der ja eigentlich alles in der Hand hat. Der Pendler ist mit seinen Gedanken schon oder noch ganz woanders. Das erhöht die Reaktionszeit erheblich - ein Zustand, der vermieden werden sollte.
Der Begriff "Panik" ist ein sehr ungenauer. Wissenschaftlich ist er schwer zu fassen. In der Presse taucht er dennoch fast ständig auf. Aber was ist damit gemeint? Wann tritt Panik auf? Wie ist ihr zu begegnen? Was sind ihre Ursachen?
Ursprünglich geht der Begriff auf den bocksgestaltigen Wald- und Hirtengott Pan aus der griechischen Mythologie zurück, dessen plötzliche und unsichtbare Nähe enormen Schrecken erzeugte. Er spielte auf der bekannten "Panflöte" (so wird er jedenfalls in Gemälden dargestellt), die heute eher als gemäßigtes Instrument gilt. Mit Bocksfüßen und Hörnern verkörperte er ein Zwitterwesen. Er erschreckte die Menschen plötzlich und unvermittelt mit einem schrillen Klang, verstärkt durch die nicht erwiderte Liebe der von ihm angebeteten Nymphe Echo, die damit das ihre dazu tat. Heute überlebt sein Wirken z.B. in dem Ausdruck "ins Bockshorn jagen".
Panik heißt etymologisch soviel wie "plötzliches Erschrecken oder Massenangst". Dies zeigt die zwei wesentlichen Facetten auf: Entweder bin ich als Einzelperson betroffen (etwa als Autofahrer im Stau), oder es handelt sich um ein Massenphänomen, zwei vollkommen unterschiedliche Ansätze. Das Wirken von Pan hatte eher Einfluss auf Individuen, mit der Folge von Panikattacken. Diese führen plötzlich zu unerklärbaren und qualvollen Angstzuständen, die keinen äußerlich fassbaren Anlass haben. Am Ende führt dies sogar zur "Angst vor der Angst". Doch davon soll hier nicht die Rede sein. Hier geht es um die vom Bewusstsein nicht mehr kontrollierbare Angst vor einer gefühlten Gefahr, ob wirklich oder vermeintlich. Dieses Gefühl hat verschiedene Voraussetzungen: räumliche Enge, die eine Flucht erschwert, wenn nicht verhindert; Führungslosigkeit in dem Sinne, dass keine Person des "Vertrauens" sagt, was zu tun ist; und natürlich das Gefühl der Gefahr.
Bekannte Fälle aus der Geschichte werden immer wieder zitiert. Bei Massenveranstaltungen ist das Risiko sehr hoch, wie Katastrophen immer wieder gezeigt haben: Ob bei Sportveranstaltungen (Heysel-Stadion 1985, Berg Isel 1999), Konzerten (Cincinnati 1979, Roskilde 2000) oder Pilgerfahrten (Mekka 2004, 2006) - die Dynamik von Menschenmassen ist schwer berechen- und kontrollierbar. Oft reichen geringste Anlässe, um Tausende wie durch eine Infektion in einen Angstzustand zu versetzen. Glaubte man früher, ein angstvoller Gesichtsausdruck sei für diese "Infektion" entscheidend, so zeigen neuere Untersuchungen mittels Kernspintomographie, dass entsprechende Körperbewegungen ausreichen, um Angst zu transportieren. Man geht davon aus, dass zehn Prozent der Menschen einer Gefahrensituation zunächst ruhig begegnen, weitere zehn Prozent reagieren hoch sensibel; der Rest wird als labil und beeinflussbar eingestuft. Die Situation entscheidet darüber, ob es zu einer Eskalation kommt. Ein wichtiger Aspekt ist, dass es nicht darauf ankommt, ob eine wirkliche oder nur eine gefühlte Gefahr als Auslöser existiert; in vielen Fällen entwickeln sich viel zu hohe Dichten aus dem Wunsch der Menschen, sich wegzubewegen, aus welchem Grund auch immer. Moderat sind Dichten unterhalb von zwei Personen pro Quadratmeter, darüber wird es eng, in einer Disco etwa bei drei bis vier, bei besonderen Anlässen sogar bei fünf Personen pro Quadratmeter. Es gibt Situationen, die noch deutlich darüber hinausgehen; bis zu 12 Personen pro Quadratmeter sind schon gemessen worden.
Wird dann, weil es nicht schnell genug vorwärts geht, von hinten gedrückt, üben 50 Menschen vorne schon einen Druck von einer Tonne aus; das überlebt niemand. Kommen Menschen zu Fall, ist das alleine noch nicht entscheidend. Aber der Druck von hinten lässt weitere über sie stürzen, bis mehrere Menschen übereinander liegen und die untersten ersticken.
"Unkontrollierbare Reaktionen" panischer Menschenmassen sind in Wirklichkeit von der Evolution festgelegt, Handlungsspielräume gibt es kaum. Das Schema ist vorgegeben und hat das Überleben in vielen Jahrtausenden gesichert. Der menschliche Geist ist zu träge, um in Paniksituationen "rational" zu entscheiden, die Zeit ist zu kurz, um eine Analyse der Situation vorzunehmen. Verhaltenscharakteristiken als "Kurzschlussreaktionen" zu bezeichnen, ist sehr vereinfachend. Einige wichtige Merkmale lassen sich festhalten: Als erstes ist der Herdentrieb zu nennen. Gerne schließt man sich einer Masse an, geht man doch davon aus, dass diese einen Plan und damit eine persönliche Perspektive hat, das heißt, man läuft dahin, wohin die meisten anderen auch laufen. Das birgt automatisch das Problem in sich, dass gerade dort gar nichts mehr geht, man also besser nach Alternativen suchen würde. Menschen in Panik versuchen dahin zu gelangen, wo sie hergekommen sind, denn das kennen sie. Notausgänge sind häufig wenig attraktiv, da schlecht beleuchtet und unbekannt. Man muss schnell Vertrauen gewinnen in die Entscheidung, die zu fällen ist. Dunkle Treppenabgänge mit eventuell verschlossenen Türen am Ende sind keine akzeptable Lösung. Bei Dunkelheit vertrauen Menschen am ehesten ihrer rechten Hand und versuchen damit festen Halt zu finden. Neue akustische Systeme setzen Töne (directional sound) über den Ausgängen ein, um dieses Problem zu umgehen und eine direkte Bewegung zum Ausgang ohne Sicht zu erleichtern.
Der entscheidende Faktor bei Massenpaniken ist der Tunnelblick. Das Blickfeld engt sich markant ein, man konzentriert sich nur noch auf eine Alternative, das aber ganz und gar. Die Geschichte des Menschen scheint ihr Übriges zu tun: Hände und Füße werden feucht. Das war früher zum Erklettern der Bäume von Nutzen, heute ist dies eher nicht mehr als produktiv einzuschätzen. Das Blut wird aus Bauch und Kopf in die Bewegungsmuskulatur gepumpt, um das Weglaufen zu erleichtern. Weiterhin verdickt sich das Blut, eine Vorsichtsmaßnahme der Natur bei der Flucht. So hätten dabei erlittene Wunden keine so große Auswirkung. Zudem setzt Ungeduld ein: Geht es über einen Zeitraum von mehr als 15 Sekunden nicht weiter, wird gedrückt oder eine andere Richtung eingeschlagen. Aber es passiert noch mehr. Die sozialen Bindungen verlieren sich, andere sind uns egal, nur Verwandte, insbesondere aber Kinder werden geschützt. Zehn Prozent der Bevölkerung, so schätzt man, neigen zur Apathie in solchen Situationen, ein auf das Individuum bezogenes Relikt des "Sich-tot-Stellens", aus dem Tierreich weidlich bekannt. Wie auch immer die Reaktion ausfällt, es ist schwer, eine Veränderung herbeizuführen. Die Menschen sind nicht ansprechbar. Es gibt nur wenige Beispiele, wo eine Rückführung in den "Normalzustand" funktioniert hat.
Das Hauptaugenmerk muss auf der Prävention liegen, damit der Zustand der Panik gar nicht erst entsteht. Es gibt eine Reihe von Untersuchungsmöglichkeiten, die zur Verbesserung der Sicherheitsstandards genutzt werden können. Dazu gehören Evakuierungstests: Die Einbeziehung des schwer abzuschätzenden menschlichen Faktors bei einer Evakuierung ist durch einen Test oder eine Übung zumindest teilweise möglich. Doch hier muss man die Grenzen der zu erwartenden Ergebnisse aufzeigen; dies ist zum einen die Verfügbarkeit einer Menschenmenge in der entsprechenden Größenordnung. Es ist schwer vorstellbar, mit vielen Tausend Personen im Freizeitbereich (Stadien, Vergnügungsparks) nur testweise eine Evakuierungsübung sinnvoll durchzuführen. Zum anderen mangelt es an der Ernsthaftigkeit, die in einem "echten" Fall gegeben wäre. So sind Betreiber glücklich, wenn sie aus geringfügigem Anlass (der bekannte "Mülleimerbrand") eine reale Evakuierung durchführen können. Allerdings ist hier auch das Risiko der Evakuierung selbst mit einzubeziehen. Hat man es dagegen mit Personen zu tun, die sich berufsbedingt in einem Gebäude aufhalten, das sie zwangsläufig gut kennen, ist ein solcher Test durchführbar. Aber auch hier ist nicht immer mit der gewünschten Ernsthaftigkeit zu rechnen. Gerade die häufige Wiederholung führt zu einem Abstumpfungseffekt, der sich auf eine Verlängerung der Reaktionszeit auswirkt. Diese Übungen, gerade auf Schiffen, haben oft Happeningcharakter und stellen bisweilen auch eine willkommene Unterbrechung der Arbeitszeit dar.
Eine Reihe von Unglücken mit einer großen Anzahl Beteiligter ist sehr gut dokumentiert. Anhand einer Analyse der Aufnahmen können Rückschlüsse auf Fehlverhalten und/oder mangelnde Sicherheitsmaßnahmen gezogen werden. Dies bleiben aber immer Spezialfälle, deren Übertragbarkeit auf andere Umgebungen und Anlässe häufig nur schwer möglich ist. Trotzdem sind dies wichtige Quellen, da es sich um real durchlebte Situationen handelt und keine zusätzlichen Annahmen eingehen. In den vergangenen Jahren sind - hauptsächlich zu akademischen Zwecken - verstärkt Experimente mit (Klein-) Tieren (Ameisen, Mäuse) in räumlich beschränkten Umgebungen durchgeführt worden. Die Ergebnisse lassen sich naturbedingt nur begrenzt auf menschliches Verhalten übertragen. Allerdings nähert sich menschliches Verhalten, das weniger auf rationalen Entscheidungen und mehr auf Instinkt basiert, in dieser Situation dem tierischen deutlich an. Dies bezieht sich insbesondere auf Extremsituationen mit großer "gefühlter" Gefahr. Ein wesentlicher Vorteil dieser Methodik ist, dass man die Randbedingungen fast ohne Skrupel (Gefährdung von Menschen) weitgehend frei wählen kann.
Eine immer wichtiger werdende Methode ist die der Simulation. Hier besteht kein Risiko für beteiligte Personen wie in Realexperimenten, und es ist noch nicht einmal das Gebäude oder die Einrichtung notwendig. In Simulationen werden alle Menschen mikroskopisch mit ihrer Bewegung und ihrem Verhalten im Computer abgebildet. Man kann so jede Geometrie im Vorhinein prüfen und entsprechend verändern. Die Maßnahmen können getestet werden, bevor sie ergriffen worden sind. Heutige Simulationsmodelle sind in der Lage, über eine Million Menschen mit ihrer Dynamik zu berechnen. Die Entwicklung immer besserer und effizienterer Modelle ist ein intensives Feld der Forschung. Allerdings muss man die Relevanz der Ergebnisse realistisch einschätzen. Sehr viel hängt von der Qualität des eingesetzten Modells ab. Häufig enthalten die Modelle mehrere Parameter, die erst an Situationen und Szenarien angepasst werden müssen. Für den Nutzer (z.B. Betreiber oder Behörden) ist es jedoch kaum möglich, den Wert der Ergebnisse richtig einzuschätzen.
Ein besseres Verständnis der Phänomene Stau und Panik und ihres Verhältnisses zueinander ist unabdingbar, um für die Herausforderungen an die Verkehrspolitik im 21. Jahrhundert gerüstet zu sein.
1 Für diesen
Text wurde folgende Literatur verwendet: Hermann Engl/Frank
Lämmel, Highway Deutschland, Holzkirchen 1996; Sigmund Freud,
Massenpsychologie und Ich-Analyse, Leipzig 1924; Clauss-Siegfried
Grommek (Hrsg.), Panik - Ein vernachlässigtes Phänomen?,
Rothenburg/Oberlausitz 2005; Hans Hitzer, Die Straße. Vom
Trampelpfad zur Autobahn, München 1971; Dietmar Klenke,
"Freier Stau für freie Bürger" - Die Geschichte der
bundesdeutschen Verkehrspolitik, Darmstadt 1995; Tobias Kretz,
Pedestrian Traffic - Simulation and Experiments, Diss.,
Universität Duisburg-Essen 2006; Maxwell G. Lay, Die
Geschichte der Straße, Frankfurt/M.-New York 1994; Michael
Schreckenberg/Som Deo Sharma, Pedestrian and Evacuation Dynamics,
Heidelberg 2002; Rainer Stommer (Hrsg.), C.G. Philipp,
Reichsautobahn - Pyramiden des Dritten Reiches, Marburg 1982;
Walter Tiedemann, Panik - Erkennen-verhüten-abwehren,
Lübeck 1968; Nathalie Waldau, Massenpanik in Gebäuden,
Diplomarbeit, TU Wien 2002; dies./Peter Gattermann/Hermann
Knoflacher/Michael Schreckenberg, Pedestrian and Evacuation
Dynamics 2005, Heidelberg 2007. Vgl. auch www.rimea.de;
www.ped-net.org und www.autobahn.nrw.de.