Nordirland
Die Briten sind abgezogen - die Region hofft nun auf wirtschaftlichen Aufschwung und dauerhaften Frieden
Sie kamen als Friedensstifter und blieben als Feinde, fast 40 Jahre lang. Ihre militärische Repräsentanz war überall in Nordirland sichtbar. Belfast ohne bewaffnete Patrouillen und starke Militärpräsenz in den Straßen, in den Geschäften oder vor der eigenen Wohnungstür war fast undenkbar. Im August 1969 schickte der damalige englische Premierminister Harold Wilson Soldaten in die "Unruheprovinz", um gegenseitige Übergriffe von Katholiken und Protestanten einzudämmen.
38 Jahre lang dauerte die "Operation Banner" - der längste Kampfeinsatz in der Geschichte der britischen Armee nach dem Zweiten Weltkrieg. Für die Sichercheit der Region ist seit Anfang August die nordirische Polizeibehörde zuständig, die Police Service of Northern Ireland (PSNI). Sie ist eine Nachfolgeorganisation der Royal Ulster Constabulary (RUC), die im Zuge des Karfreitagsabkommens von 2001 grundlegend umstrukturiert wurde.
Der Rückzug des britischen Militärs war durch die Demontierung aller Wachtürme an den Grenzen zur Republik Irland vorbereitet und ist eine Folge der noch jungen gemeinsamen Regionalregierung von Protestanten und Katholiken unter Leitung des 81-jährigen DUP-Vorsitzenden und presbyterianischen Pfarrers, Ian Paisley, und seines Stellvertreters von der Sinn Fein, Martin McGuinness. Sie hatten am 8. Mai ihre Arbeit aufgenommen. Zwar bleiben rund 5.000 britische Soldaten in Nordirland zurück, doch sind sie für internationale Einsätze vorgesehen, zur Entsendung in den Nahen Osten oder in den Irak.
Der Abzug der britischen Truppen, von denen zeitweise bis zu 300.000 Mann stationiert waren, ist ein längst überfälliger Schritt zur Normalisierung des Alltags in Nordirland. Die Region mit seinen 1,8 Millionen Einwohnern gilt zunehmend als ein beliebtes Touristenziel. Allein 2006 haben zwei Millionen Menschen Nordirland bereist, in diesem Jahr rechnen die Tourismusbehörden mit einem sprunghaften Anstieg der Besucher. Die Arbeitslosenquote ist auf dem bislang niedrigsten Stand und Investitionen werden nun attraktiv. Die britischen Behörden hatten im Zuge der politischen Einigung allein eine Milliarde Pfund zur Verfügung gestellt.
Die meisten Nordiren wollen so schnell wie möglich den Anschluss an ein Wirtschaftswachstum wie es die Republik Irland in den vergangenen Jahren vorzuweisen hatte. Besonders die jüngere Bevölkerung ist auf Zukunft und Innovation ausgerichtet und nicht auf Bomben oder Terror.
Doch der Frieden lässt auch die Narben der Gewalt aufbrechen. Sozialarbeiter oder Therapeuten rechnen mit einem Anstieg von Anfragen nach psychotherapeutischer Begleitung. Erst jetzt ist es für viele Betroffene möglich, über traumatische Ereignisse zu sprechen, die sie in den vergangenen Jahrzehnten erlebt haben. Insgesamt starben während der Unruhen in dieser Zeit mehr als 3.600 Menschen.
Inzwischen haben rund 5.000 Polizeiangehörige der PSNI ihre Vorgesetzten auf eine Entschädigung für erlittene psychische Schäden und die damit verbundene Anerkennung der Berufsunfähigkeit verklagt - und sie haben gewonnen. Es war einer der längsten Zivilprozesse in der britischen Justizgeschichte und für Menschen wie Terry Spence, Vorsitzender der nordirischen Polizeigewerkschaft, ist er noch nicht zu Ende: "Wir können erst dann das Kapitel schließen, wenn wir eine angemessene Entschädigung für unsere traumatischen Erlebnisse während der Ausübung unserer Arbeit erhalten haben." Derzeit erwägt seine Gewerkschaft in Revision zu gehen. Zwar ist Spence "überglücklich", dass die schlimmsten Zeiten vorbei sind, doch warnt er vor Euphorie, denn nach wie vor seien vereinzelt loyalistische Splittergruppen aktiv. "Solange Polizisten noch immer attackiert werden, herrscht für uns kein Friede."
Der Polizeichef der PSNI in der 12.000 Seelengemeinde Strabane hat sich derweil etwas Besonderes einfallen lassen, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizeibehörde zu vertiefen: Künftig sollen katholische und protestantische Geistliche mit der Polizei auf Streife gehen.