Sierra Leone
Bei den ersten Wahlen nach dem Bürgerkrieg herrschte Aufbruchstimmung. Hält sie an?
Durch dichten Dschungel, entlang verschlungener Bergpfade und auf den Flüssen des Landes wurden die Stimmzettel transportiert. Per Kanu, Kleintransporter und Lastenträger - erstmals nach zehn Jahren Bürgerkrieg organisierte Sierra Leone seine Präsidenten- und Parlamentswahlen ohne internationale Hilfe und scheute dabei keine Mühen.
An der Spitze der Unabhängigen Wahlkommission steht Christiana Thorpe, eine bekannte Frauenrechtlerin. Ihre Augen leuchten: "Wir hatten eine riesige Wahlbeteiligung, in allen Teilen des Landes", sagt sie. Den Angaben der Kommision zufolge gaben 75 Prozent der Wahberechtigten ihre Stimmen ab. Thorpe machte sich allein in 50 Wahllokalen der Hauptstadt Freetown selber ein Bild. "Die Sicherheitslage war entspannt und ruhig, es gab keinen Grund zur Panik."
Nach Putschen und Gegenputschen, einem Bürgerkrieg um Blutdiamanten und schließlich der rettenden Intervention der Vereinten Nationen möchte das kleine westafrikanische Land seine Demokratie wieder selbst in die Hand nehmen. Die Wahlen vom 11. August waren ein erster Test. Und die knapp sechs Millionen Sierra Leoner haben ihn bestanden.
In Schlangen standen sie in Freetown vor den Wahllokalen um ihre Kreuze zu machen, und auch in den abgelegenen Gebieten kam es nur zu geringen Verzögerungen. Die Massen drängten auch auf dem Land, nach teilweise kilometerlangen Fußmärschen, an die Urnen. Selbst die zermürbende Regenzeit Westafrikas konnte sie nicht abhalten. "Die unabhängige Wahlkommission hat die Wahlen so organisiert, dass die Menschen Vertrauen fassen konnten", sagt Joseph Johnbull, Pastor in Kenema, einer kleinen Stadt im Osten des Landes. "Wir haben drei große Parteien, die erstmals wirklich um die Gunst der Wähler konkurrierten." Noch vor fünf Jahren mussten die Vereinten Nationen Polizei- und Sicherheitskräfte entsenden und die Wahlen durchführen, zu schwach war der von mehr als 40 Jahren Chaos und politischer Instabilität gebeutelte Staat.
Denn das einst von britischen Abolutionisten gegründete und befreiten Sklaven zur Verfügung gestellte Land geriet seit seiner Unabhängigkeit 1962 in einen Strudel aus Korruption, Diktaturen und Staatsstreichen, die in einen Bürgerkrieg zwischen 1991 und 2001 mündeten. Schätzungsweise 50.000 Menschen kamen ums Leben, zehntausende Männer wurden mit Macheten verstümmelt, Frauen vergewaltigt, Kinder als Soldaten zwangsrekrutiert.
Der Bürgerkrieg entzündete sich an der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem autoritären Einparteiensystem, mit einer korrupten Elite und mangelnden Perspektiven für die Jugend, ging dann allerdings in eine Auseinandersetzung um die Kontrolle über die Diamanten- und Rohstoffvorkommen zwischen Staat und Rebellen über.
Nun ringen sieben Parteien mit friedlichen Mitteln um die Gunst der Menschen, drei Spitzenkandidaten liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um das Präsidentenamt. Vize-Präsident Solomon Berewa von der regierenden Volkspartei (SLPP), Earnest Bai Koroma von der größten Oppositionspartei Allgemeiner Volkskongress (APC) und Charles Margai von der Volksbewegung für Demokratischen Wandel (PMDC). Alle drei sind erfahrene Politiker und haben sich zu den friedlichen Verfahrensregeln der Unabhängigen Wahlkommission bekannt.
"Ich habe Hoffnung", sagt Ernest Gborie (21), der zwar noch keine Arbeit gefunden hat, aber ehrenamtlich in einem Rehabilitationszentrum für ehemalige Kindersoldaten arbeitet, "zwar beschweren sich noch immer viele Menschen. Aber der Bürgerkrieg ist erst sechs Jahre her, und wir haben schon viel geschafft". Gborie lebt in Bo, einer Kleinstadt im Süden des Landes, wie ihm geht es der Mehrheit der jungen Bevölkerung. Sie hat zwar Vertrauen, braucht aber dringend Beschäftigung und eine Vision für die Zukunft.
Zwar wächst die Wirtschaft um 3,5 Prozent im Jahr, die Rebellen konnten erfolgreich entwaffnet und das Land entschuldet werden. Der Schulbesuch ist deutlich gestiegen, Straßen wurden befestigt und Krankenstationen neu errichtet. Aber noch immer sind 80 Prozent der Menschen ohne feste Arbeit, die Hauptstadt Freetown verfügt nicht über ein Stromnetz, die Analphabetenquote liegt bei 60 Prozent. Wahlbotschaften wurden vor allem über Lieder transportiert.
Andreas Mehler vom Institut für Afrika-Kunde warnt daher vor falschem Optimismus: "Die Probleme, die mit zum Bürgerkrieg geführt haben, sind nach wie vor da." Von dem nächsten Präsidenten wird ein glaubwürdiges Reformprogramm erwartet und Erfolge, die auch auf der Straße spürbar sind. Ansonsten ist die Gefahr groß, dass die Jugendlichen resignieren.
Sierra Leone hat den Sprung vom gescheiterten zum zerbrechlichen Staat geschafft. Dabei kann sich auch die internationale Gemeinschaft auf die Schulter klopfen, denn nur der UN-Einsatz konnte die Bürgerkriegsparteien zu Verhandlungen zwingen, das Land stabilisieren und den Frieden zurückbringen. Charles Margai ist der jüngste Spitzenkandidat, seine neue PMDC hatte sich von der Regierungspartei abgespalten und eine Verjüngung des Wahlkampfes bewirkt. Nun wird unter Spannung ausgezählt - ganz öffentlich.
Die Wahlzettel können von jedem in Augenschein genommen werden. Allerdings bittet die Unabhängige Wahlkommission um Zeit. "Wir fordern die Politiker dringend auf, sich nicht schon zum Sieger zu erklären", bat Christiana Thorpe einige Tage nach den Wahlen. Die oppositionelle APD konnte dennoch der Versuchung nicht widerstehen und erklärte sich am 15. August bereits zum Wahlsieger. Sie habe 61 der 112 Mandate gewonnen. Auch der APD-Kandidat auf das Präsidentenamt habe die Nase vorn.
Mit dem offiziellen Endergebnis wird aber nicht vor dem 23. August gerechnet. Und sollte keiner der Kandidaten mehr als 55 Prozent der Stimmen auf sich vereinen können, wird es im September zur Stichwahl kommen. Hoffentlich wieder so friedlich.