Darüber, dass die Pressefreiheit ein "hohes Gut" ist, waren sich die Fraktionen am 20. September zwar einig - dazu aber, wo ihre Grenzen verlaufen, bestehen unterschiedliche Auffassungen. Während Grüne und Liberale Journalisten vor strafrechtlichen Ermittlungen schützen wollen, liegen Union und SPD die innere Sicherheit und die Wahrung von Geheimhaltungspflichten am Herzen. Wenig überraschend lehnte der Bundestag daher am vergangenen Donnerstag zwei Anträge von Bündnis 90/Die Grünen ( 16/6326 ) und FDP ( 16/6217 ) ab, die beide zum Ziel hatten, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) aufzufordern, seine Ermächtigung zur Strafverfolgung von Journalisten umgehend zurückzunehmen.
Lammert hatte Anfang April eine solche Ermächtigung erteilt, die es den Strafverfolgungsbehörden erlaubt, Ermittlungsverfahren wegen der Verletzung von Dienstgeheimnissen einzuleiten. Anlass dazu war ein Beschluss von Union, SPD und FDP im 1. Untersuchungsausschuss, nachdem verschiedenen Medien über als vertraulich eingestufte Dokumente der Bundesregierung berichtet hatten, mit denen auch der 1. Untersuchungsausschuss befasst war - es bestand also der Verdacht, dass geheime Informationen unbefugt an Dritte herausgegeben worden waren. Infolge der Ermächtigung hat die Staatsanwaltschaft Berlin Ermittlungen gegen unbekannte Abgeordnete und Mitglieder des Untersuchungsausschusses eingeleitet. Gleichzeitig haben die Staatsanwaltschaften Berlin, Hamburg, Frankfurt/Main und München auch Ermittlungsverfahren gegen, so Christian Ströbele in der Debatte, 17 Journalisten eingeleitet, "und zwar nicht gegen irgendwelche, sondern unter anderem die besten investigativen Journalisten in diesem Land".
Ströbele forderte für seine Fraktion, der Bundestagspräsident solle seine Ermächtigung zurücknehmen. Inzwischen seien zwar einige der Verfahren eingestellt worden, aber einige liefen weiter. Die Grünen forderten, dass Journalisten nicht allein deshalb wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat verfolgt werden dürfen, "weil er in der Zeitung schreibt, dass ein Skandal passiert ist und ihm dazu eine bestimmte Information aus geheimen Quellen gegeben worden ist". Die Ermittlungsverfahren seien "Quatsch" und müssten sofort eingestellt werden.
Auch die FDP plädierte dafür, die Ermächtigung zur Strafverfolgung "auf die eigentlichen Täter zu beschränken und die Journalisten davon auszunehmen". Man sei, so Max Stadler, der Auffassung, dass sich Journalisten nach geltendem Recht "ohnehin nicht" wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat strafbar machten. Es seien allein die "Täger zu verfolgen, die den Geheimnisverrat begangen haben". In diesem Punkt sei auch das Strafgesetzbuch zu ändern.
Diese Forderung wurde von der Koalition als "falsches Signal" bewertet. Carl-Christian Dressel (SPD) erinnerte daran, dass die Verantwortung für Ermittlungen ausschließlich bei den zuständigen Staatsanwaltschaften läge. Man müsse immer an das Prinzip der Gewaltenteilung denken: "Der Deutsche Bundestag ist nicht dazu da, Recht auszulegen, sondern Recht zu setzen." Ausschussvorsitzender Siegfried Kauder (CDU) wies darauf hin, dass die Pressefreiheit "nicht in einem rechtsfreien Raum über der Demokratie" schwebe, sondern "ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze findet". Die innere Sicherheit sei neben dem Grundrecht der Pressefreiheit ein grundrechtsgleiches Recht, das gleichrangig zu schützen sei. Ob sich Journalisten noch im Rahmen der Pressefreiheit oder "aufgrund einer Verstrickung" schon im strafrechtlich relevanten Raum bewegten, "bleibt der sehr detaillierten Beurteilung im Einzelfall" vorbehalten. Zudem hätten sowohl Grüne als auch Liberale der ersten Entscheidung vom Juni 2006, den Bundestagspräsidenten zur Ermächtigung anzuregen, noch zugestimmt. Die Anträge seien als "nicht ganz unpopulistisch abzulehnen".