Bundeswehr
Das gewandelte Selbstverständnis des deutschen Militärs im Spiegel der Geschichte einer Soldatenfamilie
Es ist eine seltene Generationsgeschichte, die der Journalist Joachim Käppner vorstellt: die Geschichte einer Familie, deren männliche Angehörige seit dem Mittelalter traditionell im Militär dienen und gleich drei Generale der Bundeswehr aus ihren Reihen hervorbrachte, und - so will es der Untertitel - gleichsam eine deutsche Geschichte darstellen soll. Allerdings stehen eher militärgeschichtliche, militärische und soldatische Erwägungen im Mittelpunkt des Buches über die Soldaten von Butler. Zwangsläufig, wenn man vor allem die Lebensabschnitte von Peter und Ruprecht von Butler liest, die als ehemalige Wehrmachtoffiziere dann Karriere in der Bundeswehr machten.
Der eine - Ruprecht - brachte es bis zum Generalmajor und Kommandeur eines Wehrbereichskommandos, der andere - Peter - bis zum Generalleutnant als Vertreter des Generalinspekteurs beim Militärischen Rat der NATO.
Ihre Geschichte in der Wehrmacht birgt kaum andere Hintergründe als die anderer und bereits erzählter Lebensgeschichten deutscher Soldaten jener Zeit. Jedoch ist bemerkenswert, wie eingehend sie sich mit den neuen deutschen Streitkräften auseinandersetzen, in die sie nach vielfältigen Reflexionen über das Soldatsein an sich und besonders vor dem Hintergrund eigener Erlebnisse in der Wehrmacht eintreten. Erkennbar ist eine tiefe Identifikation mit den neuen Aufgaben dieser Bundeswehr. Darüber hinaus gehören beide Generale zu denen, die früh und dann uneingeschränkt die Innere Führung und den Soldaten als Staatsbürger in Uniform anerkennen, begreifen und auch im dienstlichen Alltag leben.
In diesem Zusammenhang bietet das Buch einen gerafften Überblick über die verschiedenen Stadien der Entwicklung der Bundeswehr und ihrer Einbindung in die Nordatlantische Allianz. Auch werden die Wechsel der militärstrategischen Grundüberzeugungen - von der Massiven Vergeltung bis zur Flexiblen Antwort - deutlich, die vor allem die Rolle der nuklearen Waffen betreffen.
Heute steht die Bundeswehr vor ganz ande-ren Herausforderungen. Art und Umfang wie auch Gestaltungsmöglichkeiten werden im abschließenden Teil dieses Buches herausgestellt. Im Zusammenhang mit den Lebensläufen der von Butler tritt nun der jüngste Vertreter der Familie in Generalsuniform auf: Carl-Hubertus von Butler.
Dieser inzwischen zum Generalmajor und Kommandeur einer Division avancierte Sol-dat trat nach einer angemessenen Ausbil-dung und Verwendung als Generalstabsoffizier in die öffentliche Wahrnehmung, als er als Brigadegeneral und Kommandeur das erste deutsche Kontingent 2002 in Kabul führte. Hier wird ein Offizier erkennbar, der, so Käppner, als ein Vertreter der neuen Bundeswehrgeneration angesehen werden muss: nüchtern, ohne Pathos, mit klaren geistigen und gesellschaftlichen Vorgaben für seinen Soldatenberuf. Gleichzeitig lasse der General keinen Zweifel an der veränderten Aufgabenstellung an die Bundeswehr heute. Dafür seien jedoch auch unmissverständliche politische Vorgaben und gesellschaftlicher Rückhalt Voraussetzung.
Butler hat die Aufgabe in Kabul unter denkbar schlechten Bedingungen antreten müssen. Zum Abschluss wurden ihm von allen Seiten Lob und Anerkennung zuteil: Er gewann sowohl das Vertrauen der Afghanen, die Achtung des multinationalen Kommandos als auch die uneingeschränkte Zustimmung seiner Vorgesetzten. Die Anerkennung seiner Soldaten erfuhr er ohnehin durch die Art und Weise seines Führungsverständnisses während des Einsatzes.
Eine heike Mission musste von Butler ein zweites Mal im Jahr 2003 antreten: Er wird der Nachfolger des geschassten Brigadegenerals Günzel als Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK). Auch diese Aufgabe löst er mit viel Fingerspitzengefühl.
In seinem abschließenden Teil stellt Joachim Käppner den Wandel der Aufgaben der deutschen Streitkräfte und der damit verbunden Herausforderungen vor und verbindet sie mit den persönlichen Daten und Leistungen des Generals. Dadurch erhält der Leser einen Überblick über die aktuellen verteidigungs- und militärpolitischen Anforderungen an die Bundeswehr. Sie können auch den Spannungsbogen zwischen Anspruch und Wirklichkeit ausmachen, wenn es darum geht, die Chancen und Risiken eines über die übliche Landesverteidigung hinausreichenden Aufgabenspektrums zu bestimmen und dafür Ressourcen bereit zu halten.
Insgesamt lädt das Buch ein, sich mit der Tradition der deutschen Streitkräfte und ihrem Leben und Wirken auseinanderzuset-zen und zu verstehen, dass die Wehrmacht nicht Vorbild für die Bundeswehr sein kann. Gleichzeitig erlaubt es einen Einblick in das Denken und Leben einer Familie, deren Geschichte so eng mit der des deutschen Militärs verbunden ist. Erfreulich ist, dass dabei ein General der aktuellen Führungsgeneration ohne Umschweife seine Handlungskoordinaten vorstellt, die beispielhaft genannt werden dürfen. Von diesen Generalen hat die Bundeswehr noch mehr - aber leider nicht nur.
Die Familie der Generäle. Eine deutsche Geschichte.
Berlin Verlag, Berlin 2007; 416 S., 22 ¤