Anpassung an die Klimagefahren, Vorsorge vor den Risiken des Klimas sind historisch gesehen normale Vorgehensweisen, die wir alle irgendwie praktizieren. Diese Praxis richtet sich nach einer wahrgenommenen Normalität, die aber oft den Rahmen der tatsächlichen Risiken nicht ausschöpft. In der Annahme, dass die Natur in begrenzter Weise praktisch beherrschbar sei, werden Abweichungen von dieser Normalität als Beweis der Veränderung der Natur und als Wirkung schuldhaften Verhaltens interpretiert. Dieses Verhalten ist zu überwinden, und wir sind auch bereit, unsere eigenen kleinen Beiträge zu leisten. Die alternative Reaktion, nämlich auf eine Unterschätzung des gegenwärtigen Risikos zu schließen und daher mehr in die Strategie der Vorsorge zu investieren, wird sehr viel seltener gewählt.
Diese Einstellungen und Verhaltensweisen lassen sich auch im öffentlich-politischen Raum in Bezug auf Reaktionen auf den anthropogenen Klimawandel beobachten. Im Vordergrund stehen überzogene Abstrafungen der "Skeptiker" sowie gebetsmühlenartig wiederholte Versicherungen, dass sich alles zum Guten entwickelt werde, die Katastrophe abgewendet werden könne, sofern wir nur alle fest genug daran arbeiten. Nur am Rande, wenn überhaupt, wird erwähnt, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten nur zu vermindern, aber nicht mehr zu vermeiden ist. Wie die erforderlichen Anpassungs- und Vorsorgemaßnahmen aussehen können, wird ebenso selten öffentlich thematisiert wie die Frage der nationalen und internationalen Verteilung der Lasten oder die Frage nach gesellschaftlichen Entscheidungsmechanismen des Klimafolgenmanagements.
Solange die Frage der Vorsorge trotz erster, aber weitgehend unbeachteter Forschungsbemühungen nicht ernsthaft öffentlich erörtert wird, solange die natürlichen Klimagefahren als beherrscht abgetan und die möglichen zukünftig wachsenden Risiken vor allem als Warnung vor den verheerenden Folgen der herrschenden gesellschaftlichen Praxis instrumentalisiert werden und so die Klimafrage weitgehend als Mittel zum Zweck, als mahnender Aufruf zur Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen degradiert oder als Motivation zum umweltgerechteren Leben verstanden wird, lässt sich absehen, dass keine praktischen Antworten auf die unmittelbaren Gefahren des Klimas und des Klimawandels gefunden werden.
Klimaanomalien, also anhaltende Häufungen von außergewöhnlichen Wettersituationen mit für Mensch und Gesellschaft negativen Folgen, gab es in historischer Zeit immer wieder. Traditionell wurden sie als Hinweise verstanden, dass der Mensch etwas "angestellt" hat, was den Zorn Gottes oder der Natur hervorgerufen hat, zumal die naturwissenschaftlich basierte Erklärung, nach der es eine natürliche Klimavariabilität gebe, mit unserem anthropozentrischen Denken schlecht vereinbar ist. So wurden im 19. Jahrhundert Klimaanomalien als Reaktion der Natur auf die massive Entwaldung interpretiert. Die gesellschaftliche Reaktion, dass die Ursachen des Klimawandels bekämpft werden müssen, ist eine seit mindestens 150 Jahren kulturgeschichtlich in unseren Denk- und Wahrnehmungsstrukturen verankerte Vorgehensweise.
Daneben gibt es auch die allgegenwärtige und meist weniger spektakuläre Vorsorge, die sich in Bauvorschriften und Grundsätzen wie "Wer nicht diecken will, mutt wieken" ausdrückt. Vorsorge erkennt Restrisiken an. Das Klima, also die Statistik des Wetters, ist nicht so zuverlässig, wie unsere Überlieferung es uns nahe legt. Die beispiellose Ostseesturmflut vom 12./13. November 1872, deren Intensität weit über jede andere jemals beobachtete Sturmflut an der deutschen Ostseeküste hinausging, demonstrierte drastisch die Unzuverlässigkeit des Klimaverlaufs und der Einschätzung unvermeidlicher Restrisiken. "Anpassung" an solche extremen Klimagefahren bedeutet, dass jeder für sich, seine Gemeinde, sein soziales Umfeld Vorsorge treffen muss: Deiche bauen und pflegen, auf die Ausweisung von Flußauen als Bauland verzichten, die Bauvorschriften beachten bzw. deren Verschärfungen hinnehmen.
Die Optionen "Anpassung an" bzw. "Vermeiden von Klimagefahren" sind keineswegs neu. Eine Episode aus der Mitte des 19. Jahrhunderts mag als weiteres Beispiel dienen. Damals gab es in der Schweiz schwere Überschwemmungen, die als neuartiges Wetterextrem wahrgenommen wurden. Die Wissenschaft, damals die Forstwirtschaft, verband diese Veränderungen mit der neuen Praxis des Schlagens von Bäumen im Hochgebirge. Die Reaktion auf die Häufung von Überschwemmungen führte zu beidem, einer Vermeidungspolitik (heute: Klimaschutz) und einer Anpassungspolitik. Das schweizerische Waldpolizeigesetz erzwang eine Klimagefahren abwehrende Regulation menschlichen Handelns (Verbot des Holzschlagens im Hochgebirge). Die Anpassung bestand in einer Vielzahl von wasserbaulichen Maßnahmen zur besseren Bewältigung der Wassermassen. Das Waldpolizeigesetz hatte zweifellos nützliche Wirkungen, aber keine signifikante Auswirkung auf die Niederschläge und damit auf Überschwemmungen. Das gesellschaftliche Problem der Überschwemmungen wurde durch wasserbauliche Maßnahmen gelöst: durch Anpassung.
Generell beobachten wir heute, dass Klimarisiken nicht mehr als solche gesehen werden. Es liegt nicht mehr in der Verantwortung des Einzelnen oder der Gemeinde, sich vor diesen Gefahren zu schützen. Die Klimarisiken werden vergesellschaftet. Der Staat soll für Sicherheit vor solchen Risiken sorgen. Wenn dennoch Überraschungen auftreten wie im Fall der Flutkatastrophe an der Elbe im Jahr 2002 (die eigentlich nur im Lichte einer kollektiven Vergesslichkeit als Neuartigkeit gelten kann), dann hat entweder der Staat versagt, oder aber das Risiko hat sich (für den Einzelnen vorher nicht erkennbar) geändert. Dass der Einzelne keine Vorsorge betrieben hat, wird als unerheblich eingestuft. Und ein neues Haus wird nach der Flut noch schöner, aber prinzipiell ebenso gefährdet wie vorher, an der selben Stelle wieder errichtet.
Heute ist die Situation natürlich anders als im 19. Jahrhundert, als die schweizerische Forstwissenschaft postulierte, dass unvernünftige Profitgier hinter den bis dato angeblich nie da gewesenen Überschwemmungen stehe. Wir beobachten seit Jahrzehnten, dass die atmosphärische Konzentration von Kohlendioxid (und anderen Treibhausgasen) ansteigt; wir wissen, dass dahinter die ständig zunehmende Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Erdöl und Erdgas steht. Weitgehend parallel zu dieser Akkumulation von strahlungsaktiven Gasen in der Atmosphäre steigen die Temperaturen der bodennahen Luftschichten und der Oberfläche des Ozeans.
Vor wenigen Jahren waren noch komplexe statistische Erkennungsmethoden erforderlich, um im Rahmen eines statistischen Hypothesentests nachzuweisen, dass die jüngsten Zunahmen der globalen Jahresmitteltemperatur nicht mehr als zwar seltene, aber natürlich verursachte Schwankungen im Klimasystem verstanden werden können. Heute reicht ein einfaches Argument: Von den vergangenen 126 Jahren, für die wir zuverlässige Jahresmitteltemperaturen haben, fallen die zwölf wärmsten Jahre in den Zeitraum nach 1990. Wie wahrscheinlich ist es, dass wir ein Phänomen dieser Art in einer stationären langzeit-korrelierten Datenreihe finden? Die Wahrscheinlichkeit liegt bei einem Promille - bei konservativer Auslegung. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit können wir also davon ausgehen, dass das Klima sich derzeit aufgrund nicht-natürlicher Entwicklungen ändert. Die weitaus beste Erklärung, die wir für diese Veränderung haben, ist die erhöhte Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre durch menschliche Freisetzung dieser Substanzen.
Das Klima ändert sich also - diesmal wirklich aufgrund menschlichen Tuns. Das bedeutet aber nicht, dass alle klimatischen Änderungen, die wir derzeit beobachten können, darauf zurückzuführen sind. Der Anstieg der Temperaturen und des Wasserstandes, das Vermindern des Meereises, die polwärtige Wanderung von Pflanzen und Tieren, all dies ist sicher Teil des anthropogenen Klimawandels. In Bezug auf die Häufigkeit und Intensität der Stürme in unseren Regionen der Welt sehen wir dagegen keine systematischen Veränderungen in den vergangenen 100 Jahren, obwohl dies immer wieder behauptet wird. Die wenigen Daten, die bis in napoleonische Zeiten zurückreichen, zeigen eine bemerkenswerte Regelmäßigkeit, die von jahrzehntelangen Aufs und Abs begleitet werden. Auch in Bezug auf Niederschlagsereignisse werden immer wieder Behauptungen aufgestellt, wonach es gegenwärtig eine bedrohliche Entwicklung gebe. Über solche Behauptungen besteht aber in Anbetracht der komplizierten Datensituation kein Konsens in der Klimawissenschaft, sondern vielmehr ein breiter Dissens; ebenso verhält es sich mit strittigen Aussagen über die Veränderung der Eisschilde Grönlands und der Antarktis oder die atlantischen Wirbelstürme.
Die wichtigste Quelle zur Spezifikation möglicher Klimazukünfte, die Klimamodelle, verweisen darauf, wie sich Klimarisiken verändern können; einige werden sich räumlich verlagern (zum Beispiel werden sich die Stürme in unseren Breiten etwas nach Norden verlagern), andere werden sich auch abschwächen (beispielsweise Kältewellen), andere wieder werden sich verschärfen (zum Beispiel Hitzewellen, Sturmfluten); es spricht zudem einiges dafür, dass Starkniederschläge in unseren Breiten an Intensität zunehmen werden. Wie stark diese Veränderungen sein werden, darüber wird noch diskutiert, aber es herrscht Übereinstimmung in der Klimawissenschaft, dass diese Veränderungen im Laufe dieses Jahrhunderts deutlich werden.
Die Erwartungen von möglichen Veränderungen beruhen auf Annahmen über zukünftige Emissionen - also schlussendlich auf Annahmen beispielsweise darüber, wie viele Chinesen mit welchen Fahrzeugen in den kommenden Jahrzehnten wie oft und wie weit in einen Supermarkt fahren, um Gemüse oder Fleisch einzukaufen, das zuvor wie weit mit welchen Lastwagen herangeschafft wurde. Je weniger fossile Brennstoffe verwendet werden, je weniger Methan-emittierende Tiere gehalten werden, desto geringer fällt der Klimawandel aus. Es gibt also die Möglichkeit, den Grad des Klimawandels zu begrenzen. Ob diese Möglichkeit praktisch realisiert werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Seit der UN-Klimakonferenz von Rio 1992, wo erstmals die große Sorge vor einem veränderten Klima global anerkannt wurde, ist in dieser Hinsicht nicht viel Ermutigendes geschehen, wenn man von heroischen Erklärungen, symbolischen Akten und bejubelten Rockkonzerten absieht.
Es ist noch Zeit, für sich ändernde Klimabedingungen Vorsorge zu treffen - außer in jenen Fällen, wo heutige Investitionen die Bedingungen für viele Jahrzehnte im Voraus festschreiben. Für die Verminderung der Klimaveränderungen - nur darum geht es, nicht um Vermeidung - besteht allerdings dringender Handlungsbedarf, da es die akkumulierte Summe der Freisetzung von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen in die Atmosphäre ist, die für diese Veränderungen im Laufe des Jahrhunderts verantwortlich ist. Einmal gebaute Kohlekraftwerke wollen über viele Jahrzehnte amortisiert werden.
Wir haben es in der Klimapolitik also wieder mit dem altbekannten Paar "Vermeidung" (mitigation) und "Anpassung" (adaptation) zu tun. In Deutschland, in Skandinavien, aber auch in Großbritannien und vielen Staaten der USA hören wir in der öffentlichen Debatte fast nur von der ersten Option, dem Klimaschutz, dem "Schutz des Klimas vor den Menschen", der Verminderung der Emissionen. Energie- wird zur Klima-, Klima- zur Energiepolitik; diese wird zur Industrie-, zur Umwelt- und schließlich zur Gesellschaftspolitik. Man hofft, dass Technologien entwickelt werden, die effektiv und attraktiv sind, so dass sich das Hochtechnologieland Deutschland nicht nur ein vorbildliches Umweltmanagement, Klimamanagement inklusive, zulegt, sondern auch bei der Bewältigung der Herausforderungen der Globalisierung die Nase vorn hat.
Die andere Vermeidungsoption, nämlich die Neutralisierung der erhöhten Produktion von Kohlendioxid durch Abscheidung, Ablagerung, Absaugen aus der Luft oder durch künstliche Reflektion in der Stratosphäre wird fast nur in akademischen und technischen Zirkeln besprochen und ist in der öffentlichen Diskussion chancenlos.
Der Bedarf an Anpassung an veränderte Klimata, an Vorsorge vor veränderten Risiken wird kaum öffentlich erörtert, aber durchaus in Ämtern und Unternehmen gedacht, geplant und teilweise umgesetzt. Allerdings wird ein Bürgermeister bei seinen Wählern mehr Anerkennung ernten, wenn er sich an die Spitze der Klimarettung stellt, als wenn er schon jetzt öffentlich darüber nachdenkt, wie die städtische Kanalisation bemessen werden müsste, wenn die Szenarien der Klimaforscher wahr werden. Mit dem "Schutz des Menschen vor dem Klima" gewinnt man derzeit wohl keine Wahlen, wohl aber mit dem "Schutz des Klimas vor dem Menschen".
Im Extremfall könnte die Welt unbewohnbar werden, aber darauf deutet derzeit nichts hin. Wenn der Wasserstand in diesem Jahrhundert um sieben Meter steigt, würde dies für viele Küstenregionen höchstwahrscheinlich das Aus bedeuten; wenn der Meeresspiegel aber 800 Jahre für diesen Anstieg braucht, dann wird man einer Veränderung dieses Ausmaßes entspannter entgegensehen. In vielen Teilen der Welt werden sich die Lebensbedingungen wandeln, aufgrund der Folgen der ökonomischen Globalisierung, des zu erwartenden Wirtschaftswachstums, des sozialen Wandels und neuer Technologien. Die Welt von 2050 wird sich von der des Jahres 2007 mindestens so sehr unterscheiden wie diese von jener des Jahres 1964 oder diese wiederum von der Welt im Jahre 1931. Es ist erforderlich, den Wandel zu begrenzen, aber diese Begrenzung ist zu "bezahlen" - mit einem Verzicht auf andere Chancen und Möglichkeiten.
Die Forderung nach unbedingtem Vermeiden von Klimaveränderungen manifestiert auch eine Verbindung zum in der Wissenschaft diskreditierten Klimadeterminismus. Dieser ist jene uralte Denkschule, wonach das Klima die Menschen, die Gesellschaften, den Erfolg ganzer Zivilisationen stark beeinflusst, wenn nicht sogar steuert und bestimmt. Danach sind die Bewohner in den maritim beeinflussten mittleren Breiten besonders erfolgreich, weil sie einem stimulierenden Klima ausgesetzt sind, während Tropenbewohnern und den Menschen in gleichmäßigen Klimata die ökonomischen und intellektuellen Möglichkeiten mangels klimatischer Anregung fehlen. Heute spricht keiner mehr davon, dass das Klima bestimmend sei. Aber hinter der Sorge über ein verändertes Klima steht die Vorstellung, dass Mensch und Gesellschaft dann nicht mehr "im Gleichgewicht" mit ihrem Klima sein werden. (Dies wird auch für Ökosysteme so gesehen, wobei die Frage, ob es derzeit überhaupt "Gleichgewichte" gibt, in Anbetracht von Einflussfaktoren wie Luft- und Wasserverschmutzung, Import fremder Arten, Überfischung, Landwirtschaft nicht einfach zu beantworten ist). Wenn es so etwas wie eine natürliche Balance (und eine damit verbundene Beeinflussung menschlichen Verhaltens) zwischen Klima, Mensch und Gesellschaft gibt, dann, so muss man folgern, ist jede Klimaveränderung eine schwere Störung für Mensch und Gesellschaft, die es zu vermeiden gilt.
Wir glauben, dass derartige vorwissenschaftliche Überlegungen im Spiel sind, wenn heute über die Bedeutung von Klimawandel und Klimaschutz diskutiert wird. Die Prüfung dieser Hypothese, die uns angesichts der vorherrschenden öffentlichen Argumentation plausibel erscheint, bedarf eines systematischen Einsatzes der Sozial- und Kulturwissenschaften, um die sozialen Konstruktionsprozesse auszuleuchten und ihre Dimension für die politischen Willensbildungsprozesse herauszuarbeiten. Leider sind Sozial- und Kulturwissenschaftler bisher kaum bereit, diese Themen aufzunehmen - zum einen wegen der schwierigen transdisziplinären Gemengelage, aber zum anderen wohl auch wegen der weitgehenden Politisierung der postnormalen Klimawissenschaft.
Bei der Diskussion der Reaktionen auf den Klimawandel spielen normative Positionen eine wichtige Rolle. "Wir haben die Welt nur von unseren Kinder geborgt", heißt es; zum eigenen Wohlergehen müssen wir im Einklang mit der Natur leben. Wir müssen "Vorreiter" sein, was ja nichts anderes bedeutet, als dass wir der moralische Kompass der Welt sein sollten. Im Sinne dieser Moral ist ein weiterer Wandel unserer natürlichen Umwelt, soweit es sie noch gibt, weitmöglichst zu vermeiden. Hierbei muss unser Bemühen für uns nicht kosteneffektiv sein, denn es geht um höhere Werte, um das Wohlergehen der Welt selbst. Dabei wird übersehen, dass es auch andere Moralvorgaben gibt, die zum Beispiel davon sprechen, den Menschen von den Begrenzungen einer einengenden Natur zu befreien, von Hunger und Not. Das war das Programm der vergangenen zwei Jahrhunderte in Europa und den USA, es ist das Programm in China und Indien heute und wird hoffentlich das Programm von Afrika in den kommenden Jahrzehnten sein.
Aus der Sicht der sich entwickelnden Welt sind Klimawandel und Klimaschutz Projekte des postmodernen Westens, ein erneuter Versuch der intellektuellen Kolonisierung. Ein Versuch, der in der "Dritten Welt" Schaden anrichtet, wenn Touristen beispielsweise nicht mehr zu den Seychellen fliegen und deren Geld somit dort ausbleibt, oder wenn mit ineffizienten Mitteln die Luftbelastung in Schanghai verbessert werden soll, indem man zwar die CO&ta;2&te;-Emissionen vermindert, aber damit nur indirekt die wirklichen Schadstoffbelastungen bekämpft.
In diesem moralischen Nebel einer Überflussgesellschaft verschwinden die wirklichen Herausforderungen. Eine gilt der Industrie, der technischen Entwicklung, eine Wende mit neuen, wirtschaftlich effizienten Produkten und technischen Verfahren zu schaffen. Wesentliche Verminderungen von Emissionen gelingen nicht durch den Einsatz von Energiesparlampen im deutschen Reihenhaus. Nicht der massenartige Einsatz von Fahrrädern, sondern der Einsatz effizienter Automobile in China wird einen Unterschied machen; eine bessere Technologie bei der Verwertung der Kohle würde helfen. Gerade hier kann und sollte Europa wesentliche Beiträge leisten.
Auf der individuellen Ebene macht jede Steigerung der Effizienz von Energienutzung Sinn, aber sie "rettet" das Klima nicht, wie immer wieder suggeriert wird. Beim Einzelnen, bei den Gemeinden und Städten liegt die Verantwortung, die Verletzlichkeit gegenüber Klimagefahren - auch der gegenwärtigen - zu mindern. Eine geringere Verletzlichkeit heute bedeutet auch eine geringere Verletzlichkeit morgen, wenn der Klimawandel deutlicher zu spüren sein wird. Für die Bundesregierung, für die Europäische Union heißt das, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit der ohnehin ablaufende Modernisierungsprozess dazu führt, dass die Gesellschaft weniger empfindlich gegenüber den Klimarisiken wird und dass Klimaextreme besser überstanden werden.
Die Lage ist ernst. Das, was maßgeblich für die Lebensqualität in den westlichen Ländern steht, verändert das Klima; der Rest der Welt hat sich aufgemacht, vergleichbare Lebensqualität zu erreichen, und trägt dazu bei, das Klima massiv zu verändern. Diesen Prozess anzuhalten, erscheint unmöglich; bisherige Anstrengungen zur Verminderung des Anstiegs der Freisetzung von Treibhausgasen in die Atmosphäre haben wenig Erfolg gezeigt. Dem Wunsch der Gesellschaft nach erheblichen, nachhaltigen Verminderungen sind bisher nur wenige vorzeigbare Ergebnisse gefolgt.
Wir sind dennoch nicht pessimistisch. Wir erwarten, dass sich die aus ökonomischen Gründen ohnehin fortschreitende Modernisierung von Technologien und gesellschaftlicher Organisation zu deutlich erhöhter Energieeffizienz entwickeln wird, umso mehr, wenn diese Modernisierung von entsprechenden Rahmenbedingungen begleitet wird, von politischen Strategien, die Energieeffizienz und kohlenstoffneutrale Prozesse fördern. Der Emissionshandel wird hilfreich sein, aber auch eine langfristige planungssichere Umweltpolitik, so dass Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen konsistent mit langfristigen Zielen dieser Art optimieren können. Wenn die Treibstoffkosten absehbar auf hohem Niveau liegen, dann rechnet es sich für einen Reeder, ein zusätzliches Schiff zu bauen, um dann acht Containerschiffe mit 22 Knoten über die Weltmeere fahren zu lassen anstatt der bisherigen sieben Schiffe mit 25 Knoten. So ließe sich der Treibstoffverbrauch um etwa ein Viertel reduzieren (dem stehen allerdings die Kosten für den Bau und Betrieb eines weiteren Schiffes entgegen).
Wir wissen aber auch, dass die bisherigen Klimarisiken in der Form von Gefahren durch Wetterextreme weiter existieren werden. Die Klimaforschung ist in der Lage, Perspektiven für die Veränderungen zu geben - nicht im Sinne von genauen Vorhersagen, aber im Sinne von Trends, die einen Planungsprozess ermöglichen. Mit Hilfe dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse kann eine bessere Anpassung an die gegenwärtigen und möglichen zukünftigen Klimagefahren erreicht werden; die Instrumente dazu sind sowohl industrieller (Materialien oder neue landwirtschaftliche Produkte) als auch rechtlicher (risikoadäquate Bauvorschriften) und landschaftsplanerischer Art (die Ausweisung von Retentionsräumen) sowie verbesserte Vorhersagen von Extremereignissen (etwa von Überschwemmungen oder Sturmfluten). Die deutsche Klima- und Klimafolgenforschung ist in der Lage, diesen Herausforderungen zu begegnen. Allerdings bedarf es der umfassenden Einbindung der Human- und Sozialwissenschaften sowie intensiver interdisziplinärer Zusammenarbeit.
Zum Abschluss verweisen wir auf ein Beispiel, die Sturmfluten in Hamburg. Hundert Jahre lang war es ruhig gewesen an Hamburgs Deichen; seit 1850 waren sie nicht ernsthaft gefordert worden. Im Februar 1962 aber gaben die Deiche an vielen Stellen nach; es gab viele Opfer. Offenbar wurde das Risiko gerade im Stadtteil Wilhelmsburg, wo es besonders viele Tote gab, nicht erkannt. Hamburg war dem Risiko nicht angepasst. Der nächste Teil der Geschichte ist bekannt - der Küstenschutz wurde überall an der Nordseeküste einschließlich des Elbe-Ästuars (der Trichtermündung) massiv erhöht, und so wurde die noch höhere Flut von 1976 mit nur geringen Schäden und ohne Verluste an Leben überstanden. Danach massierten sich hohe Sturmfluten, so dass erste Warner Anfang der 1990er Jahre die Sturmfluten dem anthropogenen Klimawandel anlasteten. Seit einigen Jahren ist es deutlich ruhiger geworden, sowohl bei den Sturmfluten als auch unter den Warnern.
Was war geschehen? Erstens: Das Klima hat sich verändert. Nach einer Intensivierung der Sturmtätigkeit von 1960 bis 1990, die einen langen Abwärtstrend seit Anfang des 20. Jahrhunderts ungefähr ausglich, ist das Sturmklima wieder milder. Hinweise darauf, dass die Veränderungen mit dem anthropogenen Klimawandel zu tun haben, gibt es keine. Zweitens: Die Deichlinie längs der Unterelbe wurde verkürzt, um den Küstenschutz zu erhöhen. Drittens: Die Fahrrinnen wurden ausgebaggert, um dem Schiffsverkehr in den Zeiten der massiven Globalisierung Rechnung zu tragen. Die beiden letzten Faktoren haben bewirkt, dass die Tidewelle schneller und ungestörter die Elbe in Richtung Hamburg durchläuft - etwa eine Stunde schneller als in der Vergangenheit. Deshalb laufen auch Sturmfluten schneller und ungebremster stromauf mit der Folge, dass Sturmfluten in Hamburg jetzt etwa einen Meter höher ausfallen als an der Mündung der Elbe in Cuxhaven; vor 1962 belief sich diese Differenz auf nur etwa 30 Zentimeter.
Ein unerwünschter Nebeneffekt ist die Beschleunigung der Tidedynamik und damit verbunden eine erhöhte Sedimentation und folglich ein signifikant erhöhter Baggerbedarf. In den vergangenen Jahren wurde klar, dass die Tidedynamik durch neue wasserbauliche Maßnahmen gebremst werden muss, um ein Fahrwasser mit ausreichender Tiefe nachhaltig zu ermöglichen. Die Verlangsamung der Tidedynamik ist aber gleichzeitig eine Chance, den Folgen des anthropogenen Klimawandels zu begegnen. Aktuelle Studien legen nahe, dass gegen Ende des 21. Jahrhunderts die Sturmfluten in der Elbe nochmals um bis zu 70 Zentimeter höher ausfallen könnten. Wenn es gelingt, die durch die wasserbaulichen Maßnahmen intensivierte Tidedynamik teilweise oder zur Gänze zurückzunehmen, werden auch die Sturmfluthöhen geringer ausfallen, und die erwartete klimabedingte Erhöhung des Risikos könnte möglicherweise wesentlich abgedämpft werden.
Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie Modernisierung, Vorausschau, Vorsorge und Anpassung an veränderte Klimabedingungen konstruktiv kombiniert werden können. Es gibt viele Fälle und Möglichkeiten, die es wert sind, wissenschaftlich genauer geprüft zu werden. Ob diese Perspektive schlussendlich wirkungsvoll umgesetzt werden kann, erweist sich erst in der Zukunft. Aber darüber nachzudenken, lohnt in jedem Fall.