BILDUNG
Soll sich der Bund aus der Hochschulpolitik zurückziehen? Experten sind sich uneins - die Koalition auch.
Am Ende hatte wieder einmal jeder Recht. Als die öffentliche Anhörung zur Abschaffung des Hochschulrahmengesetzes (HRG) am 12. November pünktlich um 13 Uhr beendet war, herrschte bei allen Fraktionen Zufriedenheit. Jeder sah sich in seiner Sichtweise bestätigt: Laut CDU/CSU und FDP hatte die Mehrheit der 14 Sachverständigen gesagt, ohne HRG hätten Hochschulen mehr Freiheit. Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen hatten gehört, eine beachtliche Regellücke entstünde, die gravierende Nachteile für Studenten hätte. Auch die SPD sah sich in ihren Zweifeln bestätigt, ob das Gesetz vollständig abgeschafft werden solle.
"Man darf das HRG nicht noch schlechter machen und die Länder quasi dazu zwingen, eigene Vorgaben zu machen", sagte Cornelia Hirsch, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, dazu dieser Zeitung. "Die Beibehaltung des Hochschulrahmengesetzes heißt nicht automatisch, dass alles gut wird, aber der andere Weg ist auch nicht besser." Sie sieht unter anderem die Mitbestimmung der Studenten gefährdet. Bisher hätten Studierendenvertretungen dort, wo sie eingerichtet seien, das Recht gehabt, sich selbst zu organisieren. Das habe das HRG mit Regeln zur Rechtsform der Universitäten festgelegt. Auch der hochschulpolitische Sprecher der Grünen, Kai Gehring, zeigte sich skeptisch, ob Studenten ohne ein bundeseinheitliches Hochschulrahmengesetz besser gestellt wären. "Bund und Länder müssen sich auf Mindeststandards für Hochschulzulassungen und -abschlüsse einigen", forderte er.
"Das HRG war bei der Einführung richtig und notwendig, aber inzwischen hat sich unsere Gesellschaft weiterentwickelt", sagte dagegen Uwe Barth, hochschulpolitischer Sprecher der FDP, und sprach sich für die Abschaffung aus. "Das, was nach dem Wegfall an Vorschriften übrig bleibt, kann man auch anders regeln."
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ( 16/6122 ) sieht vor, das Hochschulrahmengesetz zum 1. Oktober 2008 aufzuheben. Der Bund würde damit den Einfluss auf die letzten beiden ihm verbliebenen Einflussfelder, Hochschulzulassung und -abschlüsse, verlieren. 1976 eingeführt, regelte das HRG zunächst sehr detailliert die Aufgaben der Hochschulen wie Studium, Lehre und Forschung, enthielt aber auch Paragrafen über die Zulassung zum Studium sowie Organisation und Verwaltung der Hochschulen. Seitdem ist es mehrfach geändert worden. Die letzte Novelle trat 2005 in Kraft und erlaubte den Hochschulen, einen Teil ihrer Studienplätze selbst zu vergeben. Mit der Föderalismusreform im vergangenen Jahr gab der Bund seine Rahmengesetzgebungskompetenz im Bildungsbereich zugunsten einer konkurrierenden Gesetzgebung mit den Ländern auf. Die Regierung sieht die Abschaffung des HRG als Beitrag zu mehr Freiheit für die Hochschulen.
Viele Experten machten während der Anhörung deutlich, dass sie es nicht für nötig halten, das Hochschulrahmengesetz beizubehalten. Einige von ihnen stellten aber auch klar, dass sie die Föderalismusreform im Bildungswesen insgesamt für verfehlt halten. Professor Peter Frankenberg vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg lehnte Bundesregeln generell ab. In der Frage der Abschlüsse seien ohnehin Akkreditierungsagenturen an die Stelle staatlicher Regulierung getreten. Die Mobilität der Studenten werde durch Länderregeln nicht behindert, sondern durch mehr Wettbewerb angetrieben. "Außerdem wird es in Oxford niemanden interessieren, ob ein Bewerber einen staatlich anerkannten Bachelor hat, da wird gefragt, welches Renommé die Uni hat", sagte Frankenberg. Die Föderalismusreform habe das Hochschulsystem nicht verbessert, kritisierte Professor Bernhard Kempen vom Deutschen Hochschulverband. In der jetzigen Situation habe aber das HRG keine Grundlage mehr. "Nostalgisierung verbietet sich, man muss nicht an Überflüssigem festhalten", so Kempen.
Vertreter der Gewerkschaften und Studenten stellten sich gegen eine Abschaffung. Andreas Keller, von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, fürchtet, dass Studenten sich nicht mehr auf einheitliche Zulassungs- und Abschlussstandards werden berufen können. Schon heute hätten Studierende wegen unterschiedlicher Studienordnungen Schwierigkeiten, eine Universität während des Studiums zu wechseln. "Was jetzt noch relativ gut funktioniert, sind die Abschlüsse", so Keller. "Es wäre in keiner Weise gesichert, ob man mit einem Bachelor von einem Bundesland ins andere für ein Masterstudium wechseln könnte oder ob man mit einem Master bundesweit im öffentlichlichen Dienst angenommen würde", sagte auch Regina Weber vom "freien zusammenschluss von studentInnenschaften".
Wann der Gesetzentwurf im Bundestag diskutiert wird, ist unsicher. Die Koalitionsfraktionen sind sich nicht einig. Es sei schon immer Position der CDU in den Ländern gewesen, das HRG abzuschaffen, sagte Monika Grütters (CDU). Die Länder seien kompetent genug, sich über Standards zu einigen. Hochschulpakt und Exzellenzinitiative brächten genug Dynamik. "Wichtiger finde ich es, Standards in Schulen, etwa beim Abitur zentral zu regeln", hob Grütters hervor
Nach Ansicht von Ernst-Dieter Rossmann (SPD) müsse der Bund verhindern, dass "bei den Abschlüssen tausend unterschiedliche Blumen blühen". Die Sozialdemokraten dächten daher über ein Bundeshochschulgesetz nach. Die Situation in der Regierungskoaltition, bezeichnete Rossmann, als "völlig offen".