EUROPÄISCHE UNION
Im Verhältnis zu Russland wachsen die Probleme. Das Nachdenken darüber auch.
Frostig wie nie seit Ende des Kalten Krieges ist das Verhältnis zwischen Russland und der EU. Kosovo-Status, NATO-Erweiterung, Energieversorgung, amerikanische Raketenpläne und ein Abrüstungsvertrag, jetzt auch noch Streit um eine internationale Wahlbeobachter-Mission - der Problemhaufen wächst. Um in der Beziehung zu Russland voran zu kommen, versucht die EU nun, sich auf praktische Zusammenarbeit zu konzentrieren.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte Europa es noch einfach. Demokratie fördern und an den Westen anbinden, so hieß die Strategie für das schwache und verschuldete Riesenreich im Osten. Das heutige Russland unter Präsident Wladimir Putin aber kümmern liberale westliche Werte wenig. Steigende Öl- und Gaspreise haben den Kreml in den vergangenen Jahren mächtig und selbstbewusst werden lassen. Moskau will nicht in gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnissen stecken, sondern völlig souverän auftreten. Dieses Russland hat sich zu einem Härtetest für die außenpolitischen Fähigkeiten der auf 27 Mitglieder gewachsenen EU entwickelt. Funktioniert hat bisher weder die Strategie, Russland Stück für Stück integrieren zu wollen, noch die Versuche, das Land als Gefahr auszugrenzen. Zudem haben die Energiegeschäfte einzelner Staaten mit Moskau sowie Streitereien zwischen Russland und den zur EU gehörenden Ex-Ostblockstaaten ein geschlossenes Auftreten der Europäer gegenüber Moskau verhindert. Was der Kreml wiederum als Beweis dafür sieht, dass man die EU ohnehin nicht ernst zu nehmen braucht. In Brüssel werden die Rufe nach einem Kurswechsel in der Russland-Politik lauter. "Angesichts der politischen Realität müssen wir endlich realistisch sein und unsere hohen Erwartungen herunter schrauben", sagt ein erfahrener EU-Diplomat und Russland-Kenner. Das bedeute: Abschied nehmen vom Ideal einer gemeinsamen Weltsicht. Stattdessen gelte es, sich auf praktische Zusammenarbeit in den dringendsten Problemen zu konzentrieren.
Vor allem im Bereich Energie könnten die EU und Russland Fortschritte machen; schließlich sind sie dort aufeinander angewiesen. Fast ein Drittel des Erdgases und ein Viertel des Öls bezieht die EU aus Russland, das bringt Moskau wiederum den Löwenanteil an Auslandsdevisen ein. Aktuelle gegenseitige Anschuldigungen über das Abschotten der Energiemärkte aber zeigen, dass das Vertrauen fehlt, um Russlands Ressourcenreichtum mit den weiterhin nötigen Wirtschaftsinvestitionen aus dem Westen verbinden zu können.
Schwieriger dürfte die Zusammenarbeit in der gemeinsamen Nachbarschaft aussehen. Im Streit um die Stationierung von Teilen eines US-Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien wird der Kreml immer lauter. Russland fürchtet, von der NATO umzingelt zu werden und hat das westliche Militärbündnis wiederholt für die Aufnahme osteuropäischer Staaten kritisiert.
Die NATO wolle Russland keinesfalls abschotten, sagt der Europa-Abgeordnete Elmar Brok (CDU). "Moskau muss aber akzeptieren, dass die ehemaligen Ostblockstaaten eigenständig und westorientiert sein wollen."
Beim Thema Kosovo steht die Handlungsfähigkeit der EU und die Stabilität des gesamten Balkan auf dem Spiel. Russlands hält fest zu Serbien und will die Unabhängigkeit der Provinz verhindern. Für Moskau ist das Kosovo eine Karte, die der Kreml innen- wie außenpolitisch spielen kann. Um Moskau zum Einlenken in der Kosovo-Frage zu bewegen, sollte die EU Washington daher dazu drängen, die Pläne für den Raketenschutzschild auf unbestimmte Zeit in die Schublade zu stecken, argumentiert Charles Grant, Direktor des Londoner Centre for European Reform. Auch wenn die EU sich auf Dauer ein liberales und demokratisches Russland als Nachbarn wünscht, muss sie zunächst eine von allen 27 Mitgliedsstaaten getragene Russland-Strategie entwerfen. Denn darin sind sich die europäischen Kreml-Beobachter einig: Nur wenn die Europäer mit einer einzigen, klaren Stimme sprechen, wird die EU in Moskau überhaupt gehört.