Dachverband
Der Anspruch des »Koordinierungsrates der Muslime« ist umstritten
Für die einen gleicht der Versuch der "Quadratur des Kreises", für die anderen bleibt er ein frommer Wunsch: die Schaffung eines repräsentativen muslimischen Dachverbandes als fester Ansprechpartner der Politik. Dabei hatte alles im Frühjahr 2007 mit dem Zusammenschluss der vier muslimischen Verbände zum "Koordinierungsrat der Muslime" (KRM) hoffnungsvoll begonnen. Dem Wunsch der Bundesregierung nach einem einheitlichen Gremium der Muslime hatten der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), der Islamrat, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) und der Verband der islamischen Kulturzentren (VIKZ) mit der Gründung des Koordinierungsrates entsprochen.
Der Dialogbeauftragte der DITIB und neue Sprecher des Koordinierungsrates, Bekir Alboga, sprach gar von einem "historischen Tag", weil der Rat von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble als Verband akzeptiert worden sei. In zwei bis drei Jahren könnten alle Hindernisse zur vollen Gleichstellung aus dem Weg geräumt werden, so Albogas optimistische Prognose.
Doch bis dahin dürfte es noch ein recht hürdenreicher Weg werden. Zwar begrüßt die Bundesregierung grundsätzlich die Schaffung eines muslimischen Sprachrohrs zur Verbesserung des Dialogs mit dem Islam in Deutschland. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, machte jedoch auch deutlich, dass die Gründung des Koordinierungsrates noch längst nicht dafür garantiere, dass der Dialog mit den Muslimen auch wirklich gelingt. Und Minister Wolfgang Schäuble betonte, dass die rechtlichen Voraussetzungen zur Anerkennung des Koordinierungsrates als Religionsgemeinschaft oder Körperschaft des öffentlichen Rechts noch nicht gegeben seien.
Die Gründe für diesen gedämpften Optimismus aus den Reihen der Politik liegen auf der Hand: Tatsächlich kann der Rat nur für eine Minderheit der deutschen Muslime sprechen, da nur bis zu 15 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime in einem der Verbände organisiert sind, die den Koordinierungsrat letztlich aus der Taufe gehoben haben.
Nicht vertreten sind dagegen die muslimischen Glaubensgemeinschaften der Ahmadiya oder der Aleviten. "Wir Aleviten werden vom Koordinierungsrat als nicht koscher angesehen, weil wir eine andere religiöse Auslegung, eine andere Theologie vertreten als die Sunniten und Schiiten", empörte sich etwa Ali Toprak, Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Deutschland, "deswegen wollen einige Teilnehmer nicht, dass wir für die Muslime sprechen."
Auch wird dem Koordinierungsrat von Politikern und Kirchenvertretern vorgehalten, nur eine religiös-konservative Minderheit der Muslime zu repräsentieren und liberal-muslimische Organisationen außen vor zu lassen. Zudem verfüge das Gremium über keine verlässlichen und dauerhaften Strukturen, die einen Alleinvertretungsanspruch rechtfertigten. Ebenfalls mutet es für viele Kritiker des Gremiums als überaus problematisch an, dass bestimmte Gruppierungen im Koordinierungsrat vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Dies gilt insbesondere für den Islamrat der Bundesrepublik Deutschland, der von der als extremistisch eingestuften, islamistischen Gruppierung "Milli Görüs" dominiert wird.
Droht angesichts dieser Zweifel an dem Gremium der viel beschworenen - und immer wieder von der Politik geforderten institutionalisierten "Einheit in der Vielfalt", nun womöglich doch noch das Aus oder zumindest das Abgleiten in die Bedeutungs- losigkeit?
Trotz der massiven Einwände hält der Koordinierungsrat bislang jedenfalls an seiner Sicht der Dinge fest: Die vier im KRM vertretenen Dachverbände stünden für 80 bis 85 Prozent der Moscheegemeinden, so der ehemalige Ratssprecher Ayub Axel Köhler. Der eingeschlagene Weg sei bisher positiv verlaufen, eine Einheit der muslimischen Verbände erreicht, erklärte auch der DITIB-Vorsitzende Sadi Arslan. Vertreter des Rates fordern nun von der Politik klarere Perspektiven, eine "Roadmap" wie es weiter gehen soll. Jetzt sei die Politik am Zuge, den Muslimen Rechte einzuräumen, die ihnen bislang verwehrt worden seien. Dazu zähle vor allem die Einführung von islamischem Religionsunterricht an Schulen.
Tatsächlich greift der Rat damit auf eine jahrelange Forderung der Politik selbst zurück - nämlich, dass eine einheitliche Vertretung der Muslime als Voraussetzung für die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts her müsse. Der neue Sprecher des Koordinierungsrates, Bekir Alboga, kündigte im vergangenen Oktober an, in seiner Amtszeit die Grundlage für neue Strukturen zu schaffen, einen Rat in jedem Bundesland zu gründen und bereits in einem halben Jahr die staatliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft zu beantragen.
Genau wie die Kirchen könnten dann die muslimischen Verbände als Körperschaft des öffentlichen Rechts Kindergärten, Schulen, Jugendeinrichtungen errichten und islamischen Religionsunterricht erteilen. Ohne finanziellen Mehraufwand könnten sie zudem über den Schulunterricht sehr viel mehr muslimische Jugendliche erreichen als in ihren eigenen Moscheegemeinden.
Doch die Einwände der Politik gegen die jüngste Initiative des Koordinierungsrates klingen auf Bundes- wie auf Landesebene stets gleich: Die Gründung eines Rates, wie er auf Bundesebene besteht, könne für den Dialog in den Ländern zwar den Ausgangspunkt bilden. Allerdings müsse ein solcher Zusammenschluss offen für die Aufnahme weiterer Moscheegemeinden sein.
Für den Staat ergibt sich jedoch ein viel grundlegenderes Problem, als das der Berücksichtigung aller muslimischen Glaubensrichtungen. Einerseits ist es zwar berechtigt, die umfassende Integration muslimischer Gruppen zu einem Dachverband als glaubwürdige Alleinvertretungsinstanz zu fordern und damit deren Anspruch nach Gleichstellung mit den Kirchen und der jüdischen Gemeinde zu entsprechen. Andererseits wird von den Muslimen eine Struktur gefordert, die ursprünglich gar nicht im islamischen Kontext existiert, das heißt, es gibt keine Mitgliedschaft in dem Sinne, wie es etwa hierzulande die Mitgliedschaft in den christlichen Kirchen gibt.
Doch damit nicht genug: Nicht mehr als 30 Prozent der 3,5 Millionen Muslime in Deutschland sollen regelmäßig eine Moschee besuchen, also sehr bewusst ihren Glauben leben. Folgerichtig schreibt die Islamwissenschaftlerin und ehrenamtliche Vorstandsvorsitzende der Muslimischen Akademie, Riem Spielhaus: "Eine Vertretung in religiösen Fragen kann lediglich diejenigen Menschen mit muslimischen Hintergrund repräsentieren, die sich als gläubige Muslime verstehen und zudem auch auf eine solche Vertretung wert legen."
Abgesehen von der Relevanz und Einordnung der Religion als Faktor für eine Alleinvertretung der Muslime in Deutschland, ergeben sich noch zahlreiche Fragen nach Berücksichtigung der ethnischen Zusammensetzung. Denn ein Großteil der Muslime in Deutschland ist türkischstämmig und geprägt von einem Islamverständnis, das der dem türkischen Staat nahe stehenden DITIB entspricht.
Obwohl die Politik bereits wichtige Impulse für eine Normalisierung des Rechtsstatus muslimischer Organisationen gegeben hat, sind also noch viele kleine Dialoge nötig, um ausgewogene Strukturen für eine einheitliche Repräsentanz zu schaffen und der Vielfalt muslimischen Lebens in Deutschland zu entsprechen.