Deutsche Islamkonferenz
Der Dialog ist eröffnet - am Ende soll es einen Gesellschaftsvertrag geben. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Wer Ergebnisse hören wollte, war zum Pressetermin der letzten Islamkonferenz im Mai 2007 vergeblich erschienen. Statt Resultate präsentierte der Gastgeber, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), in ungewohnter Bescheidenheit lediglich seine Freude darüber, dass das Treffen überhaupt zu Stande gekommen sei. Schon das sei ein Erfolg, sagte Schäuble, der Dialog nützlich, die Entschlossenheit weiterzumachen groß. Kein Wort über eine Einigung in einer der Fragen, die die Öffentlichkeit bewegen und die auch Anlass zur Gründung der Deutschen Islamkonferenz (DIK) im September 2006 waren: über islamischen Religionsunterricht , das Kopftuch im Schuldienst, den Bau von Moscheen oder die Bildungschancen von muslimischen Jugendlichen.
Tatsächlich ist die Islamkonferenz aber auch gar nicht auf kurzfristige Ergebnisse aus. Über mehrere Jahre sollen in ihr je 15 Vertreter deutscher Behörden und von Muslimen zu etwas zusammenkommen, was gemeinhin als Dialog oder Prozess bezeichnet wird. Zweimal im Jahr trifft sich die 30-köpfige Gesamtkonferenz. Etwa doppelt so häufig tagen die Arbeitsgruppen, die sich den drängendsten Themen der Ver- ständigung zwischen Mehrheitsgesell- schaft und muslimischer Minderheit widmen sollen.
Die erste Arbeitsgruppe "Deutsche Gesellschaft und Wertorientierung" widmet sich unter anderem Fragen der Gleichberechtigung von Mann und Frau und der Vielfalt demokratischer Kulturen. Eine zweite Gruppe bearbeitet unter dem Titel "Religionsfragen im deutschen Verfassungsverständnis" die Trennung von Kirche und Staat sowie Fragen rund um Islam und Schule. Arbeitsgruppe drei und vier befassen sich damit, inwieweit Wirtschaft und Medien zur Integration beitragen können - und wie weit sie davon entfernt sind.
Daneben trifft sich noch der Gesprächskreis "Sicherheit und Islamismus", der die seit 2001 immer virulenter werdenden Fragen nach terroristischer Bedrohung stellt und Antworten sucht.
Ein umfangreiches Programm also - erst recht, wenn am Ende eine gemeinsame Position stehen soll. Zunächst hat die Islamkonferenz zwar das erklärte Ziel, Diskurse und Denkprozesse in der muslimischen Gemeinde wie auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft in Gang zu setzen und auf beiden Seiten Ängste und Hemmschwellen abzubauen. Am Ende des Dialogs soll aber doch eine Art "Gesellschaftsvertrag" stehen. An diesen, so fern er noch ist, formulieren deutsche Teilnehmer bereits jetzt neben dem klaren Bekenntnis zum Grundgesetz eine Reihe von Mindestanforderungen: Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) wünscht sich zum Beispiel, dass der regelmäßige Schulbesuch für alle, inklusive Sport und Schwimmen auch von Mädchen, festgehalten wird und so die Autorität des deutschen Bildungssystems gestärkt wird. Die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) will die Gleichheit von Mann und Frau als "nicht verhandelbare Werte" verankern.
Inwieweit so ein Vertrag mehr als Symbolkraft haben kann ist offen. Etwa die Hälfte der Muslime in der Islamkonferenz repräsentieren Gemeinden, religiöse oder säkulare, türkische oder arabische. Die andere Hälfte sind Einzelpersonen wie die Schriftsteller und Kulturschaffenden Feridun Zaimoglu und Navid Kermani oder die Frauenrechtlerinnen Necla Kelek und Seyran Ates.
Der Kieler Feridun Zaimoglu hat als erster bereits kundgetan, dass er den Sinn seiner Nominierung nicht erkennen kann und offen gelassen, ob er im kommenden Jahr noch dabei ist. Statt seiner, forderte er, solle jemand teilnehmen, der tatsächlich eine Gruppe repräsentiert: nämlich eine bisher fehlende Kopftuchträgerin.
Auch in der jetzigen Zusammensetzung ist die Islamkonferenz von Einigung weit entfernt - und darüber überhaupt nicht überrascht. "Die Bundesregierung hat 50 Jahre lang keinen Dialog mit Muslimen angestrebt", konstatiert Kenan Kolat, in Berlin lebender Vorsitzender der nicht-religiösen Türkischen Gemeinde, "da ist tatsächlich schon das Stattfinden einer solchen Zusammenkunft ein Riesenschritt. Der Dialog ist nicht immer leicht - aber immerhin sind wir nun im Dialog."
Missverständnisse und Streit gibt es bei den Treffen mitnichten nur zwischen den Behörden- und den Muslim-Vertretern: Die härtesten Argumente werden unter den zum Teil seit Jahrzehnten zerstrittenen Muslimen ausgefochten. So scheiterte eine liberale Fraktion um Kolat in der Arbeitsgruppe eins schon mit ihrem ersten Versuch eines gemeinsamen Bekenntnisses: Der Textentwurf sah eine "vollständige Beachtung der deutschen Rechts- und Werteordnung" vor - und wurde vom konservativen "Koordinierungsrat der Muslime" (KRM) prompt abgelehnt. Der Begriff der Wertordnung sei ungenau, kritisierte der damalige Sprecher des KRM Ayyub Axel Köhler, gekontert von einem bissigen Kommentar der Frauenrechtlerin Necla Kelek: "Wie kann es sein, dass sich jemand in 40 Jahren nicht damit beschäftigt hat, was deutsche Werte sind?"
Die Debatte macht deutlich, wie inhomogen die 3,4 Millionen große muslimische Minderheit in Deutschland ist. Die liberal-säkularen Vertreter könnten von den konservativ-religiösen kaum weiter entfernt sein. In der muslimischen Bevölkerung sind die Konservativen klar in der Mehrheit. Aber, sagt Kenan Kolat: "Sie sind auch deswegen in der Mehrheit, weil es für die anderen kaum Repräsentanten gibt. So entsteht ein Gruppendruck, der der Integration ausgesprochen unzuträglich ist."
Und natürlich ist auch in der Islamkonferenz jede Positionsbestimmung ein Kampf um Pfründe und Mächte. Am deutlichsten wurde das, als sich die vier konservativen Organisationen Zentralrat der Muslime, Islamrat, Verband der islamischen Kulturzentren sowie die türkische DITIB im März zum Koordinierungsrat der Muslime zusammentaten. Als KRM, der insgesamt nicht mehr als zehn bis 15 Prozent der Muslime in Deutschland repräsentiert, wollten sie der Bundesregierung künftig als der islamische Ansprechpartner dienen. Dass ein solcher in der Praxis fehlt, liegt in Fragen wie islamischem Religionsunterricht oder Imamausbildung tatsächlich seit Jahren auf der Hand. Dessen ungeachtet lehnte Wolfgang Schäuble den Alleinvertretungsanspruch des KRM rundweg ab - und erwies der Integration schon damit einen Dienst. Es darf ruhig noch ein paar Jahre weiter gestritten werden. Der Dialog ist eröffnet.