Rückkehrer
Die Suche nach der Heimat in der Türkei
Mehr als 2,4 Millionen Menschen mit türkischer Herkunft wohnen in Deutschland. Viele davon schon ihr ganzes Leben: Sie haben oft sogar die deutsche Staatsbürgerschaft - und dennoch entscheiden sie sich, in die Türkei zurückzugehen. Mehr als 30.000 Türken verlassen im Schnitt Deutschland jährlich in Richtung Bosporus mit einem Oneway-Ticket. Manche als Rentner, manche im erwerbstätigen Alter. Die Heimkehr jedoch gestaltet sich oft anders als erwartet. Nicht allen gelingt es nämlich, sich einzuleben. So wie Dilek Acan und Cigdem Akkaya, zwei Türkinnen aus Deutschland, machen viele Rückkehrer sehr unterschiedliche Erfahrungen. Für die einen ist es Heimat, was sie in der Türkei finden, für die anderen die Fremde.
Ob Deutschland oder die Türkei ihre Heimat ist, kann Dilek Acan zwar nicht beantworten. Doch dass Köln ihre "Heimatstadt" ist, weiß sie sicher: Hier ist sie geboren und aufgewachsen, auch die deutsche Staatsbürgerschaft hat sie längst. Die Türkei dagegen ist für die 32-Jährige vor allem das Herkunftsland ihrer Eltern. Als Kind reiste sie mit ihnen zwar dorthin, um die Verwandtschaft zu besuchen. Doch der Kontakt war nicht eng, die Besuche selten. Nach dem Ende ihres Studiums der Soziologie und Volkswirtschaft kaufte Dilek Acan deshalb ein Flugticket nach Istanbul. Sie wollte ein paar Wochen reisen - "so wie andere Touristen auch". Doch aus Wochen wurden Monate: Dilek verliebte sich in Alanya in einen jungen Türken. Die beiden heirateten bald, gingen aber zurück nach Köln. Doch für ihren Mann Salih qualifizierte Arbeit zu finden, war schwer. Es gab nur Aushilfsjobs: als Kellner oder Reinigungskraft. Mit der Zeit wurde das Geld knapp und die Verzweiflung größer: "Da habe ich gesagt: Lass uns in die Türkei gehen!", erzählt Dilek. "Unser Leben habe ich mir so nicht vorgestellt."
Doch auch die Türkei hatte sie sich anders vorgestellt: Die Menschen, als gastfreundlich gepriesen, empfand sie plötzlich als "oberflächlich": "Ich bin so oft auf Versprechungen hereingefallen", sagt sie bitter, "dass man meine Bewerbungsunterlagen weiterreicht, mir hilft oder sich mal verabredet". Dilek, in Köln einen großen Freundeskreis gewohnt, tat sich schwer, Kontakte zu knüpfen. Oft wurde sie auf ihre deutsche Herkunft angesprochen, musste sich gegen Vorurteile wehren, etwa: dass Frauen aus Deutschland "schamlos" seien. Auch Arbeit zu finden, war schwer. Als sie schließlich eine Stelle als Import-Export-Verantwortliche fand, stieß sie auf neue Schwierigkeiten: Die Hierarchien in türkischen Unternehmen empfand sie starrer als in Deutschland: "Putzen Sie mir die Schuhe! Wo ist mein Obstsalat? Mein Chef war ein echter Pascha", ärgert sich Dilek. Erst das Angebot eines Cousins zwei Jahre später wurde für beide zum Ausweg: Er bot ihrem Mann eine Stelle in seinem Unternehmen an - in Deutschland. 2006 kehrten beide schließlich nach Köln zurück. Für Dilek ist heute klar: Hier fühlt sie sich am wohlsten.
Cigdem Akkaya hat solche Geschichten schon oft gehört. Mit ihrer eigenen Rückkehr haben diese Erfahrungen jedoch kaum zu tun: Die 44-Jährige ist vor drei Jahren in die Türkei zurückgekommen - nach fast 25 Jahren in Deutschland. Bereut hat sie das nicht: Auch wenn sie über Verkehrschaos und Bürokratie schimpft. Sie liebt die Stadt am Bosporus wegen ihrer Heterogenität: "Istanbul ist Europa genauso wie Ostanatolien", sagt sie und lacht.
Aufgewachsen in der Türkei, folgte sie als 17-Jährige ihrer Mutter nach Deutschland, die dort arbeitete. Cigdem Akkaya lernte deutsch und begann in Bochum Volkswirtschaft zu studieren. Als Mitarbeiterin am Essener Zentrum für Türkeistudien forschte sie später zum Thema Migration. Immer wieder beschäftigten sie auch die Integrationsproblemen der Türken - kein leichtes Thema, schließlich ging es auch um die eigene Geschichte. So sehr sich Cigdem Akkaya in Deutschland wohl fühlte, begann sie irgendwann über eine Rückkehr in die Türkei nachzudenken: "Ich war müde geworden, erklären zu müssen, warum ich eigentlich in Deutschland bin", erinnert sie sich. "Ich wollte wieder dort leben, wo meine Existenz selbstverständlich ist." Schließlich entschied sich die Familie, nach Istanbul überzusiedeln. Ein Schritt, der leicht fiel: Cigdem und ihr Mann hatten den Kontakt zu Freunden und Familie gehalten. Als sie nun ganz zurückkamen, bestand ein festes soziales Netz, das sie auffing: Seit drei Jahren führt Cigdem nun mit einer früheren Kollegin aus Deutschland eine Agentur, die Veranstaltungen in Deutschland und der Türkei organisiert. Cigdem fühlt sich Deutschland verbunden, doch die türkische Kultur hat sie sich trotz der vielen Jahre in der Ferne bewahrt. Nicht umsonst heißt die Devise ihrer Agentur: "Deutsch denken, türkisch umsetzen".
Die Autorin ist freie Journalistin in Berlin.