In Deutschland leben 2,9 Millionen türkischstämmige Migranten. Diese große Migrantengruppe ist aber in keinem Bereich der deutschen Gesellschaft ihrem Bevölkerungsanteil gemäß vertreten. Warum ist das so?
Es ist natürlich unbefriedigend, dass türkischstämmige Migranten in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen bei uns unterrepräsentiert sind. Andererseits muss man feststellen, dass eine sehr große Gruppe dieser Migranten sich auf "ethnische Inseln" zurückziehen.
Welche Gründe machen Sie dafür verantwortlich?
Zum einen fehlt besonders den Menschen der ersten Generation die Sprachkompetenz. Zum anderen erleben wir die mangelnde Offenheit der deutschen Bevölkerung gegenüber den türkischen Migranten. Wenn wir diese "ethnischen Inseln" langfristig an das Festland anbinden wollen, dann müssen wir mehr als in der Vergangenheit Brücken bauen. Beide Seiten sind gefordert.
Und die Politik?
Wir haben mittlerweile einen breiten Konsens, dass wir uns intensiver um die Migranten kümmern müssen. Aber insgesamt hat die Politik lange viele übersehen.
Türkischstämmige Migranten leiden viel stärker als die Angehörigen der deutschen Mehrheitsgesellschaft unter Arbeitslosigkeit und einer schlechten Bildungssituation. Warum?
Zunächst einmal sind 700.000 türkischstämmige Migranten seit 1972 eingebürgert worden. Das ist ein Riesenerfolg. Und seit dem 1. Januar 2000 haben wir 275.000 Kinder, die zwar einen türkischen Hintergrund haben, aber seit ihrer Geburt bis zu ihrer Volljährigkeit die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Da hat sich einiges getan. Die türkischstämmigen Migranten sind selber in den ersten Jahren ihres Hierseins davon ausgegangen, dass sie irgendwann in ihre Heimat zurückgehen werden. Das hat sich Mitte der 80er-Jahre gewandelt. Spätestens da hätte die Politik reagieren müssen. Und da kam die Diskussion zwischen unterschiedlichen politischen Ausrichtungen auf: Wie behandeln wir die Migranten? Die Lager haben sich inzwischen aufgelöst. Jetzt finden wir zu konstruktiven Lösungen zusammen. Das war ein Prozess, der zu lange gedauert hat. Ich bin froh, dass er jetzt stattfindet.
Was muss jetzt passieren?
Wir müssen intensiver darauf achten, dass wir die Sprachkompetenz der Migranten fördern und die Kinder noch vor der Einschulung die deutsche Sprache beherrschen, sonst erleben wir einen Teufelskreis. Denn wer in die Schule geht und die Sprache im Unterricht dort nicht versteht, wird abgehängt und ohne Abschluss aus der Schule entlassen. Auf dem Arbeitsmarkt wird er dann Probleme haben.
Das Interview führte Mona Naggar. Sie ist Redaktionsleiterin des Islamportals "Qantara.de".