Geschlechter
Homophobie in Einwanderermilieus
Stellen Sie sich vor, ihr volljähriger Sohn kommt zu Ihnen und sagt, er wolle mit einem Mann zusammenleben? Wie reagieren Sie? Wie stehen Sie dazu, dass in Deutschland Homosexuelle hohe politische Ämter innehaben?
Mit solchen Fragen wollte die baden-württembergische Landesregierung im letzten Jahr Einbürgerungswilligen zu Leibe rücken, um ihre Haltung zur deutschen Gesellschaft zu überprüfen. Der als "Muslim-Test" bezeichnete Einbürgerungsfragebogen wurde nach heftigen Protesten modifiziert. Und das ist auch gut so. Es gehört sich für einen freiheitlichen Staat nicht, Einstellungen über intimste Dinge abzufragen.
Der verunglückte Fragebogen-Entwurf hat aber ein Thema auf die politische Tagesordnung gebracht, das durchaus Aufmerksamkeit verdient: Schwulenfeindlichkeit ist zwar kein ethnisch und kulturell klar abzugrenzendes Problem. Doch in der größten Einwanderergruppe Deutschlands, der türkischstämmigen Community, stellt es sich besonders drastisch. Eine Untersuchung der Uni Kiel ergab, dass unter Jugendlichen ohne Migrationshintergrund ein Viertel schwulenfeindliche Einstellungen hegt. Unter Jugendlichen aus Einwandererfamilien aber waren drei Viertel der Meinung, es sei abstoßend, wenn Männer sich in der Öffentlichkeit küssen. Die Studie ergab, dass die Homophobie bei den russisch- und türkischstämmigen Jungen zunimmt, je religiöser sie sind und je mehr sie sich selbst diskriminiert fühlen.
Man hat es hier also nur teilweise mit einem religiösen Problem zu tun. Wohl wahr: Die Religion wirkt verstärkend, weil es auch im Mainstream-Islam starke homophobe Lehrmeinungen gibt. Aber ein ebenso wichtiger Faktor ist die traditionelle Machokultur, gepaart mit einem Gefühl des Opferseins. Auf den schwulen Mann als symbolisches Opfer herabzuschauen, ist für männliche Migranten auch eine übersprungshafte Kompensation der eigenen unsicheren Männlichkeit.
Es ist richtig, dass Homophobie in Einwanderermilieus bei uns zum politischen Thema geworden ist. Es kommt freilich darauf an, nicht vom hohen Ross politische Korrektheit zu predigen - wozu die deutsche Gesellschaft, die noch bis in 1969 mit dem Nazi-Paragrafen 175 gelebt hat, auch wahrlich keinen Anlass hat. Nur wenn die Schwulenfeindlichkeit in Migrantenkreisen als ein Symptom der Krise der Männlichkeit gesehen wird - unter anderen solchen Krisenzeichen wie Bildungsversagen, Arbeitslosigkeit und Gewalt in der Familie bis zum Ehrenmord - kann sie richtig angegangen werden.