Geschichte
Für den christlich-islamischen Dialog gibt es einen guten Lehrmeister: das oft als verknöchert geltende Preußen
An diesem Ort finden die Götter ihren Gefallen: Wer an einem Freitag den alten preußischen Garnisonsfriedhof in Berlin-Neukölln besucht, der kann Zeuge eines merkwürdigen Schauspiels werden. Irgendwo zwischen den Familiengruften der Trützschker von Falkensteins und der von Zelewski-Hackenbecks, zwischen Todesdaten und memorierter Geschichte, weht ein ferner Singsang zwischen den Kreuzen hindurch. Ein Klang wie aus einer anderen Welt: Mal auf Türkisch, mal auf Arabisch verkündigt der Gesang das islamische Shahada: La ilah illa Allah - kein Gott außer Allah. Wer sich auf die Suche nach dem Ursprung dieses Gesangs macht, der entdeckt am Rande des Gottesackers bald eine türkische Moschee. Diese hätte man vielleicht überall erwartet - in Kreuzberger Hinterhöfen oder in Kölner Industriegebieten. Am Wenigsten jedoch inmitten eines preußischen Gräberfeldes.
Dabei muss man diese Orte zusammendenken. Denn seit 1798 üben sich die Berliner hier in postmortalem Kulturdialog. In jenem Jahr nämlich veranlasste Friedrich Wilhelm III. die Gründung eines muslimischen Friedhofs auf Märkischem Sand. Auslöser war der Tod des türkischen Gesandten Ali Aziz Effendi. Seither liegen hier die Gebeine preußischer Soldaten neben denen orientalischer Prinzen und osmanischer Dichter.
In Preußen hat das Militär schon immer den Takt vorgegeben - selbst was Multikulti angeht. Und so waren auch Berlins erste "Türken" keine anatolischen Gemüsehändler; sie waren preußische Uniformträger. Lange bevor Mitte der 60er- Jahre des letzten Jahrhunderts die ersten Gastarbeiterzüge aus Istanbul in der geteilten Spreemetropole eintrafen, hatten die Hohenzollern ein Faible für etwas entdeckt, was sie "ihre Mohammedaner" nannten.
Am Anfang standen 20 Männer. Der fromme Friedrich Wilhelm I. hatte sie 1731 vom Herzog von Kurland geschenkt bekommen: Osmanische Gardesoldaten, die sich ihrer körperlichen Größe wegen ideal in des Königs Lieblingsspielzeug einfügten: die "Langen Kerls". Dass es sich dieses Mal nicht um niederländische Calvinisten oder englische Anglikaner, sondern um "orientalische Heiden" handelte, kümmerte den Soldatenkönig herzlich wenig. Im Gegenteil: Stets war er darauf bedacht, dass sie ihren islamischen Pflichten nachgingen. 1732 ließ er ihnen gar im Langen Stall in Potsdam einen Saal zur Moschee herrichten. So wurde aus einem preußischen Zweckbau die erste Hinterhofmoschee und aus Friedrich Wilhelm der Vater der Türken in Preußen.
Glaubt man dem Historienautor Jochen Klepper, dann forderte der König lediglich eine Integrationsleistung: Seine 20 osmanischen Gardisten sollten fortan ihr Freitagsgebet auf den christlichen Sonntag verlegen. In Potsdam nämlich, so hatte er sich in den Kopf gesetzt, sollte Gott "in allen Zungen und in jedem Glauben der Erde zur gleichen Stunde angebetet werden". Das klingt vielleicht nach Leitkultur, offenbart aber auch Preußens eigentliche Stärke: die unanfechtbare Toleranz.
Vater dieser neuen Freizügigkeit sollte Friedrich der Große werden. Als diesem 1740 ein Brief mit der Frage vorgelegt wurde, ob einem Katholiken das Bürgerrecht gewehrt werden dürfe, notierte er an den Rand des Schreibens einen revolutionären Satz: "Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sich zu ihnen bekennen, ehrliche Leute sind. Und wenn Türken und Heiden kämen und wollten hier im Land wohnen, dann würden wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen."
Es dauerte nicht lange und die Türken und "Heiden" kamen tatsächlich. Was mit 20 Gardisten begann, steigerte sich zu einem Korps von zehn Eskadronen (kleinste taktische Einheit der Kavallerie). Überläufer muslimischer Soldaten aus der russischen Armee und in Polen erworbene Tartaren machten die "preußischen Mohammedaner" zu einer festen Größe in der königlichen Armee. Aber der Kulturaustausch verlief auch andersherum. Seit dem Jahr 1835 pflegten die Hohenzollern intensive Militärbeziehungen zum osmanischen Großwesir. Tragischer Höhepunkt dieser Verbindung war das Jahr 1898. Damals erklärte Kaiser Wilhelm II. am Grabe Saladins den "dreihundert Millionen Mohammedanern", dass er "zu allen Zeiten ihr Freund sein wird". In jenen Jahren indes ging es dem Kaiser schon nicht mehr um echte Freundschaft, sondern um Bündnisse für kommende Kriege. So hielt man in Berlin auch still, als 17 Jahre später der Freund am Bosporus damit begann, seine armenische Bevölkerung auf Todesmärschen umzubringen. Vielleicht bis heute der Tiefpunkt christlich-islamischer Zusammenarbeit.
Ein letztes Glanzlicht erblickte Berlin im Jahr 1922. Damals beschloss der indische Imam Maulana Sadr-du-Din von der Bewegung Ahmadiyya in Charlottenburg eine Moschee zu bauen. Der Berliner Architekt Karl August Herrmann vollendete diese zwei Jahre später nach dem Vorbild des Tadj Mahal mit einer Kuppel von 26 Metern und Minaretten, die bis heute 32 Meter in den Himmel ragen. Lange Jahre war dieses Gotteshaus Vollendung preußischer Toleranz und Schmuckstück Berliner Architekturgeschichte. Im Zuge der "Moscheestreitereien" von Berlin-Pankow bis nach Köln-Ehrenfeld indes scheint dieser Bau in Vergessenheit geraten zu sein. Der hehre Wunsch des Soldatenkönigs, "Gott in allen Zungen zugleich anzubeten", ist für viele, die sich nur zu gerne auf deutsche Geschichte berufen, längst zum unaussprechlichen Zungenbrecher geworden.
Der Autor ist freier Journalist in Berlin.