Logo Deutscher Bundestag Blickpunkt Bundestag online

> Parlament > Hintergrund


zurück

Zusammenarbeit auf allen Ebenen

Der Sejm, die erste Kammer des polnischen Parlaments.
Der Sejm, die erste Kammer des polnischen Parlaments.

Reichstagsgebäude.
Der Bundestag will seine Beziehungen zum polnischen Parlament vertiefen.

Im November tagen die Präsidien der beiden Parlamente in der Jugendbegegnungsstätte Schloss Kreisau.
Im November tagen die Präsidien der beiden Parlamente in der Jugendbegegnungsstätte Schloss Kreisau.

Plenum des Sejm.
Plenum des Sejm.

Gemeinsame Präsidiumssitzung im Saal des Ältestenrats im Reichstagsgebäude.
Gemeinsame Präsidiumssitzung im Saal des Ältestenrats im Reichstagsgebäude.

Bundestagspräsident Norbert Lammert begrüßt seinen polnischen Amtskollegen Marek Jurek.
Bundestagspräsident Norbert Lammert begrüßt seinen polnischen Amtskollegen Marek Jurek.

Deutsch-polnische Parlamentsbeziehungen

Nach dem Vorbild der engen Beziehungen des Deutschen Bundestages und der französischen Nationalversammlung wollen auch die Parlamente Deutschlands und Polens zu einer fest gefügten Zusammenarbeit kommen. Zu den ersten Schritten auf diesem Weg gehören gemeinsame Sitzungen der Präsidien beider Parlamente. Nach ihren Begegnungen in der Grenzstadt Slubice im Oktober 2004 und jetzt Anfang März in Berlin wollen die beiden Gremien sich künftig regelmäßig einmal im Jahr treffen.

Mit der regelmäßigen Zusammenarbeit verbindet sich nach den Worten von Bundestagspräsident Norbert Lammert die gemeinsame überzeugung, dass für die künftige Entwicklung der Europäischen Union das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen eine ähnliche Schlüsselrolle spielen wird wie das deutsch-französische Verhältnis für den westeuropäischen Integrationsprozess. Lammert und sein polnischer Kollege Marek Jurek sind fest entschlossen, ihre Kontakte auszubauen und auch dabei zu helfen, den jeweiligen Nachbarn besser zu verstehen. Unausgesprochen steht dahinter der Gedanke: Wenn es auf der Ebene der Regierungen einmal knirscht, dann müssen die Parlamente der beiden Nachbarstaaten sich umso intensiver um einen engeren Austausch bemühen.

Die Parlamentspräsidenten geben sich dabei alle Mühe: Drei Mal innerhalb von nur drei Wochen sind sie in diesem Frühjahr zusammengekommen. Schon Mitte Februar hatte der Bundestagspräsident bei einem offiziellen Besuch in Warschau neben Treffen mit Präsident Lech Kaczynski und Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski ein Gespräch mit seinem Amtskollegen Marek Jurek, dem Marschall des Sejm. Dabei ging es auch um die gemeinsame Sitzung der Präsidien am 6. März in Berlin. Zwischen diesen beiden Terminen hatten sich die beiden Politiker in Stettin bei einer Fotoausstellung zu Skulpturen des deutschen Bildhauers Bernhard Heiliger getroffen, der in dieser ehemals deutschen und heute polnischen Stadt geboren ist.

Die gemeinsame Vergangenheit bietet viele solcher Berührungspunkte. Doch in jüngster Zeit hat sie erneut für Spannungen gesorgt. Deshalb stellt sich nach den Worten Lammerts als zentrale Frage: „Wie sehen wir, Deutsche und Polen, jeweils unsere gemeinsame Geschichte? Und: Haben wir die Fähigkeit, auch den Blick des anderen wahrzunehmen, ihn vielleicht sogar in die eigene Orientierung aufzunehmen?”

Genau diesem Thema soll sich das erste Projekt der Zusammenarbeit der Parlamente beider Länder widmen: Noch in diesem Herbst wollen Mitglieder der beiden Parlamente zusammen mit Historikern und Publizisten auf einer Tagung im niederschlesischen Dorf Kreisau (Krzyzowa) über gemeinsame Geschichte und Versöhnung debattieren. Dahinter steht, wie Lammert formuliert, die gemeinsame Einsicht: „Erstens, dass es bei gleichen Ereignissen unterschiedliche Wahrnehmungen gibt, und zweitens, dass wir darüber dringend reden müssen.”

Vielfältige Kontakte

Der vom polnischen Parlamentspräsidenten vorgeschlagene Tagungsort weckt Erinnerungen: Hier hatte 1940 Helmuth James Graf von Moltke eine wichtige Widerstandsgruppe gegen Hitler ins Leben gerufen, hier hatten sich 1989 nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa die beiden Regierungschefs Tadeusz Mazowiecki und Helmut Kohl in einem gemeinsamen Gottesdienst zum Zeichen der Versöhnung umarmt. Heute begegnen sich im ehemaligen Gutshof der Familie von Moltke, der zu einer internationalen Begegnungsstätte und einer Akademie umgebaut wurde, Menschen aus verschiedenen Ländern. Kein schlechter Ort für deutsch-polnische Beschäftigung mit der gemeinsamen Geschichte.

Die Beziehungen der beiden Parlamente sind aber nicht auf Präsidiumssitzungen und Konferenzen beschränkt. Vor allem die Parlamentariergruppen pflegen intensiv die nachbarschaftlichen Beziehungen. Markus Meckel (SPD), der Vorsitzende der bereits 1987 gegründeten Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe, berichtet, sie träfen sich mit der Polnisch-Deutschen Freundschaftsgruppe des Sejm in der Regel einmal im Jahr, wenn keine Wahltermine dazwischenkommen. Außerdem hätten sie seit 1994 mit ihren Partnern vier Konferenzen in Grenznähe abgehalten, das letzte Mal zusammen mit den Tschechen in Zittau.

Dass solch reger Kontakt politische Früchte trägt, zeigen gemeinsame Erklärungen auch zu umstrittenen Themen. So beschlossen beide Gruppen bei ihrem letzten Treffen im Dezember 2006 ein Papier, das von deutschen Entschädigungsforderungen über das Verhältnis der EU zu Russland und die Energiesicherung bis hin zum Plan der Europäischen Kommission reichte, die Wodkaherstellung in der EU zu vereinheitlichen. Meckel ist sich aber bewusst, dass solche gemeinsamen Erklärungen nur eine sehr begrenzte Reichweite haben. In ihrer Erklärung forderten die beiden Parlamentariergruppen auch, die parlamentarischen Kontakte sollten gerade auch auf der Ebene der Fachausschüsse verstärkt werden, „besonders da, wo es Schwierigkeiten zwischen beiden Ländern gibt”.

Regelmäßige institutionalisierte Kontakte, wie sie mit Ausschüssen der französischen Nationalversammlung gepflegt werden, sind aber mit dem Sejm noch nicht zustande gekommen. Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, versucht, dies durch persönliche Kontakte auszugleichen. Seine erste Auslandsreise nach seiner Wahl zum Ausschussvorsitzenden führte ihn nach Polen. Er pflegt gute Kontakte zu seinem Kollegen im Sejm, Pawel Zalewski, der der PiS, der Partei „Recht und Gerechtigkeit” der beiden Kaczynski-Brüder, angehört. Polenz sagt, weil Polen unser wichtigster Partner im Osten sei, sei auch der Bundestag gut beraten, sich um möglichst intensive Beziehungen zu seinen Kollegen im Sejm zu bemühen.

Europa voranbringen

Genauso sieht das Matthias Wissmann, vorsitzender des Bundestagsausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union. Er betont, Deutschland und Polen seien wichtige Partner im Rahmen der europäischen Integration. „Leider ist in mancher Aufgeregtheit der letzten Monate die Stimme leiser geworden, die uns sagt, dass beide Länder eine gemeinsame Entwicklung in Europa wollen und gemeinsame Ziele verfolgen. Vielleicht können wir als Dreigespann Frankreich-Deutschland-Polen Europa wieder einen entscheidenden Schritt voranbringen. ”

Wissmann erinnert daran, dass die Europaausschüsse der Assemblée Nationale und des Bundestages in regelmäßigen Abständen zu gemeinsamen Sitzungen zusammenkommen und auch gemeinsame europäische Initiativen auf den Weg bringen. „Ein ähnlich gutes Verhältnis möchten wir zukünftig mit unseren polnischen Partnern erreichen.”

Die regelmäßigen Kontakte, die die Präsidien nun begonnen haben und die die Ausschüsse noch anstreben, gehören bei den Mitarbeitern von Bundestag und Sejm bereits seit 15 Jahren zur Tagesordnung. Seit 1992 reisen jeweils zwei bis drei von ihnen für eine Woche zum Nachbarn, um dort die parlamentarischen Abläufe kennenzulernen.

Bereits seit 1990 läuft das Stipendiatenprogramm des Bundestages mit Polen, an dem schon 77 Hochschulabsolventen aus dem Nachbarland teilgenommen haben. Jeweils fünf Monate lang lernen sie die Arbeitsweise des deutschen Parlaments und seiner Abgeordneten sowie das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben der Bundesrepublik Deutschland kennen.

Dieses vom Bundestag ins Leben gerufene Internationale Parlaments- Stipendium (IPS) steht Gästen aus 25 Ländern offen. Aber in nur zwei Ländern wurde nach seinem Vorbild ein vergleichbares Programm aufgelegt. Die Assemblée Nationale vergibt seit 1991 solche Stipendien für deutsche Hochschulabsolventen. Und seit diesem Jahr können sie sich auch um ein vergleichbares Stipendium des Sejm bewerben. Die ersten fünf jungen Akademiker aus Deutschland sind schon nach Warschau abgereist.

Text: Klaus Lantermann
Bilder: Deutscher Bundestag, Picture-Alliance
Erschienen am 22. März 2007

Weitere Informationen:

Der Sejm bildet zusammen mit der zweiten Kammer, dem Senat, das polnische Parlament. Der Sejm hat 460 Sitze und wird alle vier Jahre neu gewählt. Seine Abgeordneten verabschieden Gesetze, die vom Senat angenommen, geändert oder abgelehnt werden können, wobei der Sejm den Senat mit absoluter Mehrheit überstimmen kann.

Website: www.sejm.pl


Artikelanfang Leserbrief schreiben Druckansicht