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Wer „Bundestag“ hört und dabei an Debatten im Plenum des Reichstagsgebäudes denkt, liegt natürlich richtig. Aber selten ist der Öffentlichkeit bewusst, dass diese Sitzungen im Grunde nur das Tüpfelchen auf dem „i“ darstellen. Die wirkliche Arbeit wird in den Ausschüssen geleistet. Auf jede Bundestagssitzung kommen im Schnitt zehn Ausschusssitzungen. Der Bundestag ist zwar beides, Redeparlament und Arbeitsparlament, aber so gesehen arbeitet er mehr, als er redet. In den Ausschüssen wird zur Sache gearbeitet, hier geht es richtig „rund“. Und das ist seit dem Umzug der Bundestagsausschüsse ins Paul-Löbe-Haus neben dem Reichstagsgebäude, in die runden Sitzungssäle mit ihren runden Sitzordnungen, durchaus wörtlich zu nehmen.
Jeder neu gewählte Bundestag ist im Grunde frei darin, wie viele und welche Ausschüsse er bildet. Vier sind von der Verfassung vorgeschrieben: der Auswärtige Ausschuss, der Verteidigungs- und der Petitionsausschuss sowie der Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union. Aus anderen Vorschriften ergibt sich, dass auch ein Haushaltsausschuss und ein Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung immer dazugehören. Bei anderen wartet der Bundestag, bis klar wird, welche Geschäftsbereiche die sich in Koalitionsverhandlungen abzeichnende Regierung für ihre Ministerien schaffen will. Denn es hat sich als vorteilhaft für die parlamentarische Kontrolle der Regierung herausgestellt, wenn es parallel zu jedem Ministerium mindestens einen Bundestagsausschuss gibt.
Als sich CDU, CSU und SPD darauf einigten, für diese Wahlperiode statt des bisherigen Ministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung eines für Gesundheit zu schaffen, das Wirtschafts- und Arbeitsministerium zu teilen und eines für Wirtschaft und Technologie und eines für Arbeit und Soziales einzurichten, zog der Bundestag mit dem Zuschnitt seiner ständigen Ausschüsse nach. Auch alle anderen Ministerien spiegeln sich in ihren Zuständigkeiten auf Bundestagsseite in mindestens einem ständigen Ausschuss wider. Manche auch in mehr, wenn der Bundestag etwa die Bedeutung bestimmter Politikbereiche besonders unterstreichen will. Den Sport zum Beispiel oder die Kultur, den Tourismus und nicht zuletzt die Menschenrechte.
Auf diese Weise verständigten sich die Fraktionen im Vorältestenrat auf die Bildung von 22 ständigen Ausschüssen für die 16. Wahlperiode. Der Vorältestenrat bringt wichtige Dinge in Gang, bevor sich der Ältestenrat für die neue Wahlperiode konstituiert hat und die anderen Strukturen des neuen Bundestages eingerichtet sind. Denn wegen des Prinzips der Diskontinuität wird nach jeder Wahl im Parlament alles auf Anfang gestellt, Gremien konstituieren sich neu, Gesetzesvorhaben müssen neu eingebracht werden. Die Vertreter der neuen Fraktionen einigten sich bei ihren Beratungen auch auf die vorgesehene Größe der einzelnen Ausschüsse, was vor allem von der zu erwartenden Arbeitsbelastung im jeweiligen Fachbereich abhängt, und regelten streng nach Proporz, welche Fraktion in welchem Ausschuss den Vorsitzenden und den stellvertretenden Vorsitzenden stellt.
Detailberatung
Auch im Detail geht alles nach Proporz. Große Fraktionen bekommen mehr Sitze als kleine — streng nach der Rangfolge, die sich aus dem Kräfteverhältnis der unterschiedlich großen Fraktionen zueinander ergibt. So greift die Wählerentscheidung bis in jeden Ausschuss durch. Dazu werden nach dem Berechnungsverfahren von Sainte-Laguë/Schepers für die Gremienbesetzung Rangordnungen festgelegt: Wer bekommt den ersten Sitz, wer den zweiten, den dritten, den vierten und so weiter, bis die Besetzung für jedes einzelne Gremium feststeht. In Ausschüssen mit 41 Mitgliedern stehen etwa Union und SPD je 15 Sitze zu, FDP und der Fraktion Die Linke. jeweils vier und Bündnis 90/Die Grünen drei Sitze. Bei Ausschüssen mit 36 Mitgliedern lautet die Verteilung 13-13-4-3-3, bei Ausschüssen mit 31 Mitgliedern ist sie 11-11-3-3-3 und bei Ausschüssen mit 16 Mitgliedern kommt die Verteilung 6-6-2-1-1 heraus.
Ähnlich gehen die Fraktionsführungen auch beim Aushandeln der Ausschussvorsitze vor. Wenn sich die Fraktionen nicht einig werden, wie in der Vergangenheit schon geschehen, gehen die Parlamentarischen Geschäftsführer (PGF) nach dem auf Sainte-Laguë/Schepers beruhenden Zugriffsverfahren vor. Wer also den ersten Zugriff hat, sagt als Erster, in welchem Ausschuss er den Vorsitz stellen will, dann benennt derjenige seinen Wunschausschuss, der als Zweiter an der Reihe ist. Wegen der unterschiedlichen Größenverhältnisse kann es dauern, bis die kleineren Fraktionen ihren ersten Ausschuss „greifen“ können. Und insbesondere bei knappen Mehrheitsverhältnissen sind auch immer wieder Überraschungen möglich. Zu Beginn dieser Wahlperiode testeten die PGF, ob sie das auch einvernehmlich regeln können — und wurden sich nach einigem Aufeinanderzugehen, Vorempfinden möglicher Wünsche und wiederholtem Blick auf die Chancen, die das Zugriffsverfahren geboten hätte, schließlich einig, ohne das Verfahren selbst anwenden zu müssen.
Die Besetzung der Ausschüsse legen die Fraktionen intern fest. Das ist ein mitunter sehr kräftezehrendes Unterfangen, sowohl die Neigungen der Abgeordneten als auch die Vertretung verschiedener Strömungen, die regionale Verteilung und die Fachkompetenz unter einen Hut zu bringen. Das gelingt nur mit intensivem Verhandeln, Zureden, Überzeugen. Ein fraktionsloser Abgeordneter, vom Bundestagspräsidenten als beratendes Mitglied für einen Ausschuss benannt, kann Anträge stellen und das Wort ergreifen, stimmt aber nicht mit ab.
Wie aber „funktionieren“ Ausschüsse? Ihre erste Aufgabe besteht darin, Gesetzentwürfe, die in den Bundestag eingebracht worden und in der sogenannten ersten Lesung grundsätzlich debattiert worden sind, im Detail zu beraten. Zu diesem Zweck steht am Ende jeder Beratung im Bundestag ein Beschluss, in welche Ausschüsse der jeweilige Entwurf überwiesen werden soll. Meistens ist von der Materie mehr als nur ein Fachgebiet betroffen. Dann wird ein Ausschuss mit der Federführung beauftragt, während andere Ausschüsse um Mitberatung gebeten werden. Der federführende Ausschuss ist bei Regierungsentwürfen in der Regel derjenige, dessen korrespondierendes Ministerium den Entwurf erarbeitet hat. Neben Gesetzentwürfen der Bundesregierung werden natürlich auch solche der Fraktionen und des Bundesrates behandelt, aber auch Anträge aus der Mitte des Hauses, Berichte der Bundesregierung oder EU-Dokumente.
Öffentliche Anhörung
Wie schnell die Detailberatung verläuft, hängt von den Umständen ab. Der Bundestag hat es schon fertiggebracht, einen Beschluss zur Entsendung deutscher Truppen am Morgen in erster Lesung zu debattieren, am Mittag in den Ausschüssen zu behandeln und am Nachmittag darüber endgültig zu entscheiden. In der Regel vergehen jedoch Wochen und Monate zwischen der ersten Lesung und der Entscheidung. Das hängt auch davon ab, wie umfangreich die Materie ist. Oft halten die Ausschüsse öffentliche Expertenanhörungen ab, in denen die möglichen Auswirkungen von verschiedenen Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis unter die Lupe genommen werden.
Diese Hearings gehören zu den Minderheitenrechten der Opposition. Sie müssen immer dann durchgeführt werden, wenn mindestens ein Viertel der Ausschussmitglieder dies verlangt. Zumeist einigen sich die Obleute der verschiedenen Fraktionen aber unstreitig auf Anhörungen, da jede Seite aus diesen vertiefenden Veranstaltungen zusätzliche Erkenntnisse gewinnt. Zunächst schlagen die einzelnen Fraktionen Wissenschaftler und Verbandsvertreter vor, die sie gern zu dem geplanten Gesetz hören wollen. Auch diese Einladungsliste wird nach Proporz zusammengestellt. Natürlich trachtet jede Seite danach, ihre Konzepte auch von externem Sachverstand bestätigt zu finden. Häufig besprechen die Fraktionen im Vorfeld, welche Gesichtspunkte sie ganz besonders interessieren. Sie werden dann in einem Fragenkatalog ausformuliert und den Sachverständigen vorab zugesandt — versehen mit der Bitte, schon einmal eine schriftliche Stellungnahme zu diesen Fragen abzugeben, so dass sich der Ausschuss noch besser auf die eigentliche Anhörung vorbereiten kann.
Die meisten Anhörungen sind öffentlich, und gerade bei spektakulären Themen lösen sie ein intensives Medienecho aus. Der oder die Vorsitzende des Ausschusses achtet darauf, dass alle Fraktionen mit ihren Fragen der Reihe nach zum Zuge kommen. Am Ende jeder Anhörung steht ein korrigiertes Wortprotokoll, das Interessenten zur Verfügung gestellt werden kann und auf dessen Grundlage der Ausschuss die Anhörung nachbereitet. Nicht selten ergibt die Auswertung, dass die vorgesehenen Gesetze in Details noch einmal geändert werden sollten. Wie organisiert der Ausschuss seine Arbeit? Für den reibungslosen Ablauf trägt der Vorsitzende die Verantwortung. Er lädt, oft vor oder nach einer Ausschusssitzung, die Obleute zu einer Besprechung über die Tagesordnung der nächsten Sitzung(en) ein. In dieser Runde wird deutlich, wie weit die Vorberatung bestimmter Entwürfe in den Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen innerhalb der Fraktionen gediehen ist, wo der Entscheidungsbedarf größer wird, wie weit die mitberatenden Ausschüsse sind. Auf dieser Grundlage erstellt der Vorsitzende die Tagesordnung für die nächste Sitzung. Die Zeit bis dahin nutzen die Experten in den einzelnen Fraktionen, sich über das Abstimmungsverhalten klar zu werden und gegebenenfalls Änderungsanträge in der Fraktion zu besprechen, die dann rechtzeitig auch dem Ausschuss übermittelt werden. Bei der Koordination und Sitzungsvorbereitung kommt dem Sekretariat des Ausschusses eine wichtige Rolle zu: Denn jeder Ausschuss wird durch eine Verwaltungseinheit unterstützt, geleitet von einem Ausschusssekretär oder einer -sekretärin. Er oder sie ist Experte des Sachgebiets und Kenner der parlamentarischen Verfahren. Mit den Mitarbeitern begleiten sie die Ausschussarbeit und sorgen für reibungslose Abläufe.
Selbstbefassungsrecht
Eine wichtige Rolle spielen die Berichterstatter im Ausschuss. Für wichtige Vorhaben können es auch zwei oder mehr Berichterstatter sein, die sich besonders tief in die Materie einarbeiten und für den Ausschuss bereits wichtige Vorklärungen, etwa mit den Fachleuten in den Ministerien, vornehmen und die zu Beginn der Beratung im Ausschuss einen Überblick über den Sachstand und noch zu entscheidende Punkte abgeben. Ähnlich wie der Bundestagspräsident achtet der Ausschussvorsitzende bei den Beratungen darauf, dass jede Fraktion angemessen zu Wort kommt und auch das Prinzip von Rede und Gegenrede funktioniert. Meist nimmt in einer Beratung auch ein Regierungsvertreter Stellung.
Damit das Verfahren reibungslos funktioniert, kommt es auch auf ein gut aufgestelltes Ausschusssekretariat an. Neben der Organisation von Sitzungen, Vervollständigen der Unterlagen, Einladen von Sachverständigen und vielem mehr muss dem Plenum — manchmal noch am Tag der Ausschusssitzung — eine Beschlussempfehlung vorgelegt werden, die den Gang der Ausschussberatungen wiedergibt, die vorgeschlagenen Änderungen enthält und sich mit dem Problem, Alternativen und Kosten auseinandersetzt. Immer wichtiger für die Arbeit ist auch das 1969 eingeführte Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse geworden. Das bedeutet, dass die Gremien nicht mehr darauf warten müssen, dass ihnen bestimmte Angelegenheiten zur Beratung überwiesen werden. Sie können sich auf eigene Initiative mit allen Vorgängen und Problemen aus ihrem Fachgebiet beschäftigen. Das stärkt die parlamentarische Kontrolle, da nun jeder Ausschuss über Pläne und Arbeit „seines“ Ministeriums auf dem Laufenden sein will, regelmäßig Berichte abfragt und immer wieder kritisch nachfragt.
Text: Gregor Mayntz
Fotos: Deutscher Bundestag, studio kohlmeier
Grafik: Karl-Heinz Döring
Aktualisiert am 30. August 2007
Untersuchungsausschüsse
Nach Artikel 44 des Grundgesetzes kann und muss der Bundestag auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Dieser prüft hauptsächlich mögliche Missstände in Regierung und Verwaltung und mögliches Fehlverhalten von Politikern. Er kann Zeugen und Sachverständige vernehmen und sonstige Ermittlungen durch Gerichte und Verwaltungsbehörden vornehmen lassen. Das Ergebnis fasst der Untersuchungsausschuss in einem Bericht an das Plenum zusammen. Der 1. Untersuchungsausschuss in der 16. Wahlperiode hat sich im Frühjahr 2006 konstituiert, um Vorgänge im Zusammenhang mit dem Irakkrieg und der Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu untersuchen.
Ältestenrat
Der Ältestenrat ist das zentrale Lenkungsund Koordinationsgremium des Bundestages und unterstützt in dieser Eigenschaft den Bundestagspräsidenten bei der Führung der Geschäfte. Der Bundestagspräsident ist zugleich Vorsitzender des Ältestenrates und leitet dessen Sitzungen. Auch seine Stellvertreter gehören dem Ältestenrat an. Weitere Mitglieder entsenden die Fraktionen im Verhältnis ihrer Stärke. Sie achten darauf, dass die Parlamentarischen Geschäftsführer, die in ihren Treffen die Plenarsitzungen vorbereiten, ebenfalls im Ältestenrat sitzen und Empfehlungen zur Festlegung der Tagesordnung und der Redezeiten geben können. Neben der Besetzung der Vorsitze und stellvertretenden Vorsitze in den Ausschüssen zu Beginn einer Wahlperiode kommt dem Ältestenrat immer wieder eine Rolle als Schlichtungsinstrument zu.
Obleute
Obleute sind diejenigen Abgeordneten, die in den einzelnen Ausschüssen einerseits die Hauptansprechpartner für die Fraktionsführungen darstellen, andererseits aber auch den Kurs der Fraktionsführung in den jeweiligen Fachfragen mitbestimmen. Der Begriff stammt von den frühneuzeitlichen „Obermännern“, die mit zusätzlichen Aufsichts- und Leitungsfunktionen betraut waren. Mitunter kommen festgefahrene politische Prozesse dann wieder voran, wenn sich die Obleute der verschiedenen Fraktionen in einem Ausschuss zu ihren regelmäßigen Besprechungen zusammensetzen und gemeinsam nach Auswegen suchen.
Enquete-Kommissionen
Auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder ist der Deutsche Bundestag verpflichtet, zur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe Enquete-Kommissionen einzusetzen. Die Mitglieder der Enquete-Kommission werden im Einvernehmen der Bundestagsfraktionen benannt. Enquete- Kommissionen bestehen aus Abgeordneten und externen Sachverständigen. Sie legen dem Bundestag Berichte und Empfehlungen bis zum Ende der Wahlperiode vor. In der 16. Wahlperiode hat sich die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ konstituiert.