Nach Jahrzehnten der betonierten Spaltung Europas treten am 1.Mai 2004 neben Zypern und Malta acht mittel- und osteuropäische Staaten der Europäischen Union (EU) bei. Ungarn, Polen, Tschechien, die Slowakei, Estland, Lettland und Litauen gehörten bis zur Zeitenwende 1989/90 zum sowjetischen Machtbereich, Slowenien war Teil des Vielvölkerstaates Jugoslawien. Für 2007 ist der Beitritt Bulgariens und Rumäniens vorgesehen.
Der historische Erweiterungsschritt zum Europa der 25 scheint die EU nicht nur quantitativ, sondern vor allem qualitativ tief greifend zu verändern. Doch die Stimmung in den bisherigen Mitgliedstaaten wie in den Beitrittsländern ist gedämpft. Einen Vorgeschmack auf künftige Verteilungskonflikte lieferte im Dezember vergangenen Jahres der ergebnislos abgebrochene Brüsseler Gipfel der Staats- und Regierungschefs, als der Verfassungsentwurf des Europäischen Konventes am Einspruch Spaniens und Polens gegen die Stimmenverteilung im Ministerrat scheiterte. Das Dokument sollte Werte und Ziele der vergrößerten EU kodifizieren. Schon werden wieder Stimmen laut, die ein "Kerneuropa" fordern - eine EU gewissermaßen in den Grenzen, wie sie vor dem Fall der Mauern bestand.
Die irische Ratspräsidentschaft, die am 1. Januar den Stab von Italien übernommen hat, steht vor einem Scherbenhaufen. Zudem dürften die Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni die Arbeit der EU-Kommission bis in den Herbst hinein lähmen. Die Hoffnung, die EU könne künftig außenpolitisch mit einer einheitlichen Stimme sprechen, war bereits während des Irak-Krieges zerstoben. Damals weigerte sich das vom amerikanischen Verteidigungsminister so gescholtene "alte Europa", der Koalition der Kriegswilligen, in der sich Polen und Ungarn besonders hervortaten, beizutreten.
In diesem Heft wird versucht, trotz der unüberhörbaren Unkenrufe eine nüchterne Einschätzung der Risiken und Chancen der EU-Osterweiterung zu geben. Der Erfolg des Projektes wird nicht zuletzt davon abhängen, ob es gelingt, den Bürgerinnen und Bürgern der Beitrittsländer ein Gefühl der Zugehörigkeit zu vermitteln, wie András Bozóki hervorhebt: Eine (Zwangs-)Mitgliedschaft ohne echte Zugehörigkeit wie in den dunklen Jahrzehnten des Warschauer Paktes bzw. des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe sei in Ungarn noch allzu präsent.
Wolfgang Ismayr und Michael Dauderstädt liefern Basisdaten des beeindruckenden Transformationsprozesses, der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der ehemaligen Ostblockstaaten seit 1990 erfasst hat und der noch längst nicht abgeschlossen ist. Albrecht Rothacher ist skeptisch, was die Handlungsfähigkeit der "EU 25" betrifft. Weil eine Mehrzahl der Beitrittsländer die Prämissen der europäischen Integration bis heute nur unzureichend teile, sieht er eine Zeit "krisenhafter Verstärkung der Budgetdispute" voraus. Anu Toots und Raivo Vetik liefern Innenansichten einer jungen Demokratie: Zwar sei in Estland die achtjährige Beitrittsphase zur EU innenpolitisch umkämpft gewesen, aber nicht nur die meisten Politiker und Wissenschaftler, sondern auch die Bevölkerung unterstützten die Rückkehr ihres Landes nach Europa.
In Deutschland wird von der Osterweiterung weithin ein Anstieg der legalen wie illegalen Einwanderung befürchtet. Barbara Dietz belegt, dass alle existierenden Studien auf eine Zunahme der Ost-West-Migration nach Deutschland hindeuten. Ein Bedrohungsszenario werde durch die Zahlen jedoch nicht belegt. Abschließend betont Helmut Fehr, welch reiches Erbe die Beitrittsstaaten zum Prozess der europäischen Integration beisteuern werden: die Erfahrung, friedlich und mit den Mitteln der Zivilgesellschaft einer Diktatur nicht nur getrotzt, sondern sie schlussendlich auch zu Fall gebracht zu haben.