Left, left", schreit Rainer in sein Funkgerät. "And now right, right", setzt er hinzu und fuchtelt wild mit den Händen, als würde er am Steuer sitzen. "Der hat gut reden, da passt doch kein Auto durch", murmelt Frauke und versucht dennoch, den Jeep durch die zwei Sandhügel zu steuern. Magnus schafft es nicht. Der Wagen sitzt fest. Die anderen halten an und steigen aus. Einer fotografiert, die übrigen feuern ihn an: "Gib Gas!"
Die Stimmung wirkt gelöst an diesem grauen Wintertag. Es ist nasskalt, und die Kälte kriecht langsam die Beine hoch, wenn man steht. Doch außer einer Raucherpause soll man nicht stehen, sondern fahren. Off-Road-Training nennt sich das, was die 24 Frauen und Männer im märkischen Sand mit Fahrlehrer Rainer probieren.
Sie sind Teilnehmer an einem zweiwöchigen Trainingskurs, den das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, kurz ZIF genannt, durchführt. Zwei Wochen täglich acht Stunden. Finanziert vom Auswärtigen Amt.
Das ZIF gibt es seit knapp zwei Jahren. Seine Gründung geht zurück auf das Jahr 1998 und den Beschluss, zivile OSZE-Beobachter in den Kosovo zu schicken, um den Konflikt mit den Serben zu entschärfen. Auch die Bundesrepublik wollte sich mit 200 zivilen Kräften beteiligen und stellte fest: Ein derart großer Bestand an zivilen Mitarbeitern für Friedenseinsätze existiert nicht. "Gerade die Qualität der zivilen Komponente eines Friedenseinsatzes entscheidet am Ende darüber, ob dieser zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden kann", begründet ZIF-Direktor Winrich Kühne seine Institution.
Kühne selbst war Ende der 80er-Jahre an internationalen Friedenseinsätzen beteiligt und gehörte zu einer internationalen Beratergruppe der UNO, die sich mit dem Defizit an Personal für Friedenseinsätze beschäftigt hatte. UN-Generalsekretär Kofi Annan machte Anfang 1999 die bedrückende Feststellung, dass 1997/98 erstmals mehr ziviles als militärisches Personal bei internationalen Friedenseinsätzen ums Leben gekommen ist. Vielleicht, weil die Vorstellungen über Konfliktprävention, Vermittlungstechniken oder das Völkerrecht zu abstrakt sind.
"Die meisten Toten bei internationalen zivilen Friedenseinsätzen", begründet Kühne das Fahrtraining, "gibt es bei Autounfällen." Doch gehören zum Kursangebot ebenfalls Hintergründe über die Ursachen von Konflikten, über den politischen und sozialen Rahmen, über kulturelle oder religiöse Regeln, die bei einem Einsatz in dem entsprechenden Land zu berücksichtigen sind. Aber auch auf bestimmte Fähigkeiten kommt es an: Was tun, wenn man in ein Minenfeld geraten ist? Wie sich verhalten, wenn man als Geisel genommen wird? Wie arbeitet man mit dem Militär zusammen? Wie sind die international tätigen Organisationen strukturiert, wo sind Anknüpfungspunkte?
Einen zivilen Friedenseinsatz hat Marie noch nicht mitgemacht. Deshalb hat sie Urlaub genommen, um sich an dem Trainingskurs zu beteiligen. Unerfahren ist sie nicht, kann immerhin auf drei Einsätze in Sarajevo verweisen. Die 45-jährige Kriminalkommissarin kommt aus Nordrhein-Westfalen, arbeitet beim Landeskriminalamt in Düsseldorf und ist 1997 im Rahmen der Ausschreibungen für Polizeieinsätze als erste Frau nach Sarajevo gegangen. "Ich bin die Bosnien-Oma", sagt sie scherzhaft. Ihr Motiv für derartige Auslandsverwendungen ist zusammen mit ihren Erlebnissen auf einer Web-Site des LKA von Nordrhein-Westfalen nachzulesen: "Mut zur Entscheidung für den Frieden ist auch Mut zu sich selbst."
Das ZIF sieht seine Aufgabe darin, eine Einsatzreserve für zivile Friedenseinsätze aufzubauen, diese Leute auszubilden und sie vor, während und nach einer zivilen Friedensmission zu betreuen. Die Bereiche für einen internationalen Friedenseinsatz sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von der Durchführung und Überwachung von Wahlen, humanitäre Hilfe für den Aufbau von zivilen Verwaltungen und unabhängigen Medien bis hin zur politischen und rechtlichen Beratung, ja sogar Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration.
Das ZIF setzt auf eine Datenbank von über 1.000 Personen, die in dieser oder jener Mission aktiv werden könnten. Bewerbungen gibt es genug, bis zu 100 im Monat. Aber nicht jeder ist für jede Mission geeignet. "Die Motivationslage", meint Kühne, "ist nicht bei jedem Bewerber problemfrei. Natürlich spielt Abenteuerlust eine Rolle. Aber auch Friedenstourismus ist nicht gefragt."
Auch Magnus, der im märkischen Sand Steckengebliebene, gesteht, dass bei ihm schon ein wenig Abenteuerlust im Spiel sei. Aber eigentlich das Gefühl, so eine Ausbildung sei sinnvoll, auch, wenn man später in internationalen Organisationen arbeiten möchte. Sein Interesse an Auslandseinsätzen wurde in Afrika geweckt. Von einer Freundin, die zur Wahlbeobachtung in Kosovo war, erfuhr er vom ZIF und hat sich beworben. Er ist Jurist, arbeitet derzeit bei einer Agentur für politische Strategieberatung.
Als Voraussetzungen für Leute, die sich für einen Friedenseinsatz bewerben, gelten vor allem eine abgeschlossene Berufsausbildung, Erfahrungen im Job, Sprach- und oft auch regionale Kenntnisse. Auch ein stabiles persönliches Umfeld und eine realitätsnahe Einschätzung der künftigen Tätigkeit zählen zu den Auswahlkriterien. Ebenso wie die physische Belastbarkeit. "Bei so einem Kurs," meint Irene Eich, "erkennt man schnell die menschlichen Ecken und Kanten." Irene ist ZIF-Mitarbeiterin, in der Einheit Training. Sie begleitet den Kurs und übt schon mal selbst mit. Wie bei diesem Fahrtraining.
Seit 1999 war sie selbst an internationalen Missionen beteiligt. In Ost-Timor, aber auch in Simbawbe, der Elfenbeinküste. Das ZIF, meint sie, sei eine neue Welt für sie, wo sie Erfahrungen einbringen kann.
Einerseits sind zwei Wochen viel zu kurz für ein so komplexes Training, andererseits haben Bewerber oft nicht länger frei. Während in anderen Ländern, vorwiegend in Skandinavien oder auch in Großbritannien und Kanada, Leute, die sich bei internationalen Friedenseinsätzen beteiligt haben, wesentlich früher als berufen gelten, Führungsposten in Politik und Wirtschaft einzunehmen, scheint man in Deutschland derartige Einsätze eher als Karrierehindernis zu betrachten. Vielleicht gibt es auch hier einen Reformbedarf? Marie erzählt sogar von einer finnischen Kollegin, die mit zwei Kindern, zwei und vier Jahre alt, sowie Mann nach Sarajevo zum Einsatz gekommen war. "In Deutschland? Undenkbar", kommentiert sie.
Frauke hat alle Hügel bequem durchfahren, lutscht zufrieden Salbei-Bonbons und begründet ihre Teilnahme am ZIF-Kurs mit einer Geschlechteranalyse. Wieso? Auch sie ist bei der Polizei, beim Bundeskriminalamt. Sie glaubt, dass Demokratie und Frieden einen höheren Wert haben als eine Vierzimmerwohnung. Deshalb will sie an Friedenseinsätzen teilnehmen. Aber im höheren Dienst als Frau in einer Polizeimission? "Nein," meint die 36-Jährige, "das wäre in Ländern wie Afghanistan, wo die Frau eine untergeordnete Rolle spielt, ein Geschlechterproblem."
Mit der Ausbildung jedoch endet nicht die Tätigkeit des ZIF. Das so genannte "Debriefing", die Betreuung nach einem Einsatz, richtet sich an jene, die unter Umständen mit traumatischen Erlebnissen fertig werden müssen, denen brutale Gewaltanwendung während ihrer Einsätze begegnet ist, die Völkervertreibung und Völkermord miterleben mussten. Ohnehin bringt die Rückkehr von internationalen Friedensmissionen eine totale Umstellung der Lebensgewohnheiten mit sich. Bundeswehr oder Polizei führen eine intensive Nachbereitung ihrer aus dem Ausland kommenden Kräfte durch. Notwendig? Ja. Marie hatte den Hubschrauberabsturz einiger Kollegen im September 1997 zu verkraften. Keiner weiß, was die 24 Männer und Frauen bei einem internationalen Friedenseinsatz erwarten wird. Vielleicht werden sie wehmütig an den grauen Wintertag im märkischen Sand zurückdenken.