Von George W. Bush weiß man in der Hauptstadt Sloweniens vor allem, dass er das Land in öffentlicher Rede schon einmal mit der Slowakei verwechselt hat. Die Plakate hingen im vorigen Jahr, als die Slowenen außer über den EU- auch über den NATO-Beitritt abstimmen sollten, und wurden allgemein freudig beschmunzelt. "Wenn wir gegen die NATO stimmen, verwechselt uns wenigstens niemand mehr", hofften die Kritiker des atlantischen Bündnisses damals. Aber so etwas hätten die Slowenen nie getan. Exakt zwei Drittel stimmten Ende März 2003 trotz drohenden Irak-Kriegs für den NATO-Beitritt. Gegen die 90 Prozent Zustimmung zur Europäischen Union war das immerhin eine klare Abwertung. Ein typisch slowenisches Ergebnis: Man verschafft sich Gehör, aber tut es vorsichtig. Der Spott über die Welt, die Reserve gegen Werbung von außen, die Koketterie im Umgang mit eigener Kleinstaatlichkeit, der Trotz und der Realismus - alles, was Slowenien ausmacht, ließ sich in der Kampagne und ihrem Ergebnis ablesen. Man setzt sich durch, meidet aber Debatte und offene Feldschlacht um jeden Preis. Wenn ein kleines Land etwas erreichen will, muss es die Gelegenheit suchen. Die Slowenen sind Meister in dieser Disziplin.
Das war schon so, als das Ländchen vor 85 Jahren zum erstenmal ins Licht der politischen Geschichte Europas trat. Der Erste Weltkrieg neigte sich seinem Ende zu. Die Böhmen desertierten schon kompanieweise, und der junge Kaiser in Wien musste fürchten, dass ihm seine schöne Monarchie auseinanderfallen würde. Es war höchste Zeit, die verbliebenen Bundesgenossen zu sammeln, und so bestellte Kaiser Karl sich eines Tages im September des Jahres 1918 Hochwürden Korosec in die Hofburg zu Wien, einen kaisertreuen und gottesfürchtigen Mann, der ihm als Vertreter der Slowenischen Volkspartei bekannt war. Der Kaiser hatte eine gute Nachricht und eröffnete Anton Korosec, dass aus Österreich nun endlich der von den Slowenen so lange schon geforderte Bundesstaat werden solle. "Majestät", sagte der fromme Herr mit von Ehrfurcht zitternder Stimme und schaute dann beschämt zu Boden. "Es ist zu spät."
Das war eine Überraschung, denn die Slowenen galten damals in Wien als kaisertreu. Nur wusste man eben nicht viel von ihnen. Die vier Wörter, die der Priester Korosec am Ende des Ersten Weltkriegs dem Kaiser zur Antwort gab, könnten als Motto an allen Weggabelungen der slowenischen Geschichte stehen. Immer hatte sich in dem kleinen Volk etwas getan, was in den fernen Zentren keiner richtig mitbekommen hatte. "Es ist zu spät" - das eröffnete Sloweniens KP-Chef Milan Kucan vor dem endgültigen Auseinanderfallen Jugoslawiens in Belgrad seinem serbischen Kollegen Borisav Jovic. Eine ganz ähnliche Antwort hatten schon 1848 die deutschen Liberalen bekommen, als sie ihre Genossen in Laibach nach Frankfurt in die Paulskirche einluden, damit sie dort an einer gesamtdeutschen Verfassung mitwirkten. Die Slowenen wollten erst keine Deutschen, dann keine Österreicher, dann keine Jugoslawen mehr sein. Immer verfügten sie gerade nur über die Macht, sich dem Werben der größeren Mächte zu entziehen.
Mit Slowenien kommt ein weithin unbekanntes Land in die Europäische Union. Nur draußen in Brüssel, da kennt und lobt man zumindest die Wirtschaftsdaten: "Slovenia Incorporated", wie das Land mit seinen ökonomisch hoch professionellen Unterhändlern bei der EU-Kommission genannt wird, hat Portugal und Griechenland im Pro-Kopf-Einkommen schon lange überholt und müsste eigentlich als einziges Beitrittsland vom ersten Tag seiner Mitgliedschaft an zu den Nettozahlern gehören. Das allerdings hätte sich auf die Stimmung der Slowenen verheerend ausgewirkt, und da sie sich, wie wir schon wissen, gern zieren und manchmal ganz entziehen, hat man ein Übergangsarrangement gefunden. Die Skepsis gegen Europa, die von den Unterhändlern so bravourös genutzt wurde, ist nicht grundsätzlich, aber sehr konkret - europäisch eben: Es geht um die Agrarsubventionen - das obwohl die Landwirtschaft nur vier Prozent des Sozialprodukts ausmacht -, um die Quellensteuer, die Geschwindigkeit von Banküberweisungen.
Dass es zu einem Nein hätte kommen können, hat in Slowenien allerdings nie jemand geglaubt. "Wo sonst sollen wir hin?", fragten sich öffentlich selbst prominente EU-Skeptiker. Um zum eigenen Kosmos zu werden, ist Slowenien mit seinen zwei Millionen Einwohnern zu klein. Dafür verfügt das Land über eine reiche Erfahrung, wenn es darum geht, eine Zentralgewalt auszutricksen. Die zuständigen Referenten bei der EU-Kommission in Brüssel können davon schon ein Lied singen. Vor allem wenn es um technische und Umweltstandards ging, versteckten die Beamten in Ljubljana in ihren Gesetzen und Verordnungen immer wieder gern protektionistische Absichten. Bei der Privatisierung der 1.500 Betriebe aus "gesellschaftlichem Eigentum" hatten Ausländer praktisch keine Chance: Wer kaufen wollte, musste gleich 100 Prozent erwerben und kam nur zum Zuge, wenn der Arbeiterrat zustimmte. Erst als die Filetstücke in slowenischen Händen waren, wurde das Gesetz geändert. Bei Vorhaltungen bekamen die Brüsseler Beamten zu hören, man habe kaum die Verwaltungskapazität anderer Beitrittsländer; schließlich hätten sie 1991 im Finanzministerium mit 20 Mann angefangen. Um Ausreden ist man in Ljubljana nie verlegen.
Dass man das Land, wo die Liberalen "links" und die Sozialdemokraten "rechts" stehen, als Ausländer nicht begreift, hat seinen logischen Grund: Es ist zu klein. Große Staaten gehorchen nachvollziehbaren, erlernbaren Regeln. Die Slowenen dagegen kennen sich alle von Kind auf. Die gesamte politische Klasse von heute hat gemeinsam in den Oberseminaren derselben Jura-, Volkswirtschafts- und Politologie-Ordinarien an der Uni Ljubljana gesessen und jeder weiß vom anderen, was der vor 20 Jahren für einen Unsinn geredet hat. Wenn man den Premierminister Anton "Tone" Rop kennen lernen will, so kann man sich in gepflegtem Englisch seine Visionen vortragen lassen. Will man aber über Rops Regierung eine Prognose wagen, sollte man wissen, dass er mit dem Fußball-Nationaltrainer Srecko Katanec im Kindergarten war, zusammen mit dem einflussreichsten Ökonomen des Landes, Vlado Dimovski, Seminararbeiten geschrieben hat und wer in den 80er-Jahren bei der Planungsbehörde in Ljubljana seine Zimmergenossen waren: nämlich der heutige Europaminister Janez Potocnik und der spätere Premier Lojze Peterle. Wer das alles nicht weiß, kann einpacken. Einmal, im Jahr 2000, hat mit Andrej Bajuk ein Emigrant die Regierung geführt. Nach drei Monaten war er am Ende.
Dass sich alle kennen, bedeutet nicht, dass sie sich auch vertrügen. Im Gegenteil: In der politischen Klasse des Landes herrschen bittere Feindschaften. Die innerparteilichen kommen aus persönlichen Verletzungen - so hat in den 90er-Jahren ein einziger Politiker der Volkspartei, Marjan Podobnik, mit ein paar gelungenen Intrigen das Klima im ganzen bürgerlichen Lager nachhaltig vergiftet. Die großen Feindschaften aber haben eine historisch ernste Ursache: Im Zweiten Weltkrieg haben Slowenen auf Slowenen geschossen, und ein Bürgerkrieg in einem so kleinen Volk wirkt noch viel schlimmer nach als in einem großen.
Bis heute ist die Szene von zwei unversöhnlichen Lagern geprägt: dem linken und dem rechten. Das "linke" Lager besteht, merkwürdig genug, aus den Liberaldemokraten, die auch Mitglied der gar nicht linken Liberalen Internationalen sind, einer Vereinigten Liste der Sozialdemokraten und der Rentnerpartei Desus. Die drei Parteien haben gemeinsam, dass sie aus verschiedenen Strömungen und Untergliederungen des Bundes der Kommunisten hervorgegangen sind, dass sie die gleiche Sicht der Geschichte pflegen und dass sie mit radikal-liberalen Konzepten nach US-Muster nichts im Sinn haben. Das rechte Lager setzt sich aus der schon erwähnten Volkspartei, einer christdemokratischen Partei namens Neues Slowenien und, als stärkster Kraft, den Sozialdemokraten unter Janez Jansa zusammen. Koaliert wird seit langem über die Lagergrenzen, sagt aber jemand ein historisches Reizwort, sammeln sich alle wieder bei ihren jeweiligen Fähnlein.
Die Lager sind im 19. Jahrhundert entstanden. In der politischen Landschaft Österreich-Ungarns gehörten die Slowenen klar nach rechts, zu den Kaisertreuen, Katholischen. Der Fortschritt war deutsch. Deutsch sprach man auch in den Städten Laibach und Marburg, die erst damals ihre slowenischen Namen Ljubljana und Maribor bekamen. Slowenisch war von gestern. So redeten die Bauern und die Landpfarrer, die ihnen aufs Maul zu schauten. Dem Thron in Wien kam der damals erwachende slowenische Nationalismus entgegen, denn er bot ein Gegengewicht gegen die deutschen Liberalen. Die Slowenen fürchteten den Ungeist der Städte und die Eisenbahn von Graz nach Triest, die das moderne Denken in ihr heiliges Land zu bringen drohte. Sie blieben dem Hofe treu.
Eine richtige Nation wurden die Slowenen erst, als sich nicht mehr nur Landpfarrer, sondern auch städtische Liberale zum Slowenentum bekannten. Das linke Lager Sloweniens entstand im Laibach der 40er-Jahre des 19. Jahrhunderts, typisch slowenisch, mit dem Bruch einer Freundschaft. Der junge Graf Auersperg, der sich Anastasius Grün nannte, und der etwas ältere France Preseren übten sich gemeinsam an Lyrik in der originellen Volkssprache ihrer Heimat. In der 48er Revolution musste Grün entsetzt feststellen, dass sein Freund Franz sich lieber mit den volkstümelnden Pfaffen gemein machte als mit den deutschen Liberalen. Indem Preseren, heute als größter Dichter des Landes verehrt, die nationale Zugehörigkeit über die politische stellte, war aus einer konservativen Bewegung eine Nation geworden, die von Anfang an bedroht war: Im späten 19. Jahrhundert wurde den Deutsch-Österreichern klar, dass sich das Reich gegen den Nationalismus der slawischen Völker nicht mehr lange würde halten lassen; da wollte man wenigstens für das eigene Volk einen möglichst großen Batzen herausschneiden. Friedliche und völlig politikfreie slowenischsprachige Dörfer erschienen den Deutschtümlern auf einmal als Bedrohung. Eine "Brücke" aus "deutschen" Gebieten sollte Graz und Triest verbinden. Ein Verein Südmark wurde gegründet, dessen Ziel es war, slowenische Gebiete zu germanisieren - es gibt ihn übrigens immer noch, und er residiert noch immer unter derselben Grazer Adresse wie damals. Man kaufte verlassene Höfe zwischen Graz und Maribor auf, um sie an Bauern aus dem Deutschen Reich weiterzugeben. Zwischen 1906 und 1914 brachten die "Umvolker" es auf 64 Siedlerfamilien mit 368 Personen.
Die Urangst vor der Verdrängung durch deutsche Sprache und Kultur hat sich bis heute gehalten. Aufs höchste alarmiert reagierte das ganze Land, als vor ein paar Jahren die Regierung in Wien einen Grazer Professor schickte, der nachweisen sollte, dass es in Slowenien eine "deutschsprachige Minderheit" gebe. Der Mann fand tatsächlich ein paar alte Leute, die in ihrer Kindheit deutsch gesprochen hatten. Den Gedanken, dass es sich um eine Volksgruppe handelte, konnten die Slowenen nicht akzeptieren: Wenn einer hier ein Deutscher ist, sind wir es am Ende alle, war die Furcht. Der "Volkstumsstreit" um Slowenien wurde nicht zwischen ethnischen, sondern politischen Gruppen geführt. Wer sich als "Slowene" bekannte, sprach meist genauso gut deutsch wie sein "deutscher" Nachbar, der sich mit seinen Großeltern nur auf Slowenisch unterhielt. Nicht "Nemci" nannten die Slowenen die Deutschen im eigenen Land, sondern "nemcuri" - solche, die nur so tun als ob. Weil es ein Familienstreit war, fiel die Abrechnung 1945 besonders brutal aus. Nirgends in Jugoslawien wurden so viele "Deutsche" ermordet wie in Slowenien.
Solange Slowenien zu Österreich gehörte, blieb die katholische Rechte dominant. Als die Monarchie zerbrach, waren es erst die Liberalen und dann die Klerikalen, die sich für den Anschluss an den neuen Staat Jugoslawien entschieden. Für sie gab schließlich den Ausschlag, dass in Belgrad immerhin ein frommer König regierte, während in Wien die roten Horden tobten. Umgedreht haben die politischen Verhältnisse erst die Nazis, die die Slowenen mehrheitlich nicht für "slawische Untermenschen", sondern für "eindeutschungsfähige" Germanen hielten und ihnen unter der Besatzung ein vergiftetes Angebot machten: Wer "deutsch" wurde oder "windisch", also slowenisch sprach und deutsch fühlte, durfte bleiben, wer nicht wollte, dem drohte Vertreibung.
Die katholische Kirche arrangierte sich mit den deutschen und italienischen Besatzern, die Linke nicht. Am Ende kämpften "Domobranen", die kirchentreuen Truppen der deutschfreundlichen Marionettenregierung, gegen Titos Partisanen, die in Slowenien mehr Zulauf hatten als im übrigen Jugoslawien. Seither gilt die Kirche in den Augen nationaler Slowenen als kompromittiert. Bis heute vergisst kein Journalist in einem Zeitungsportrait zu erwähnen, ob der Beschriebene aus einer Partisanen- oder einer Domobranenfamilie kommt.
Für die praktische Politik spielt die Unterscheidung keine Rolle. Sind aber Reflexe und Ressentiments gefragt, lässt sie sich trefflich nutzen. Der Christdemokrat Lojze Peterle erinnert sich heute noch mit Bitterkeit, wie die Linke ihn abmeierte. Die Rechtsregierung in Italien veranstaltete damals ein Lamento über die Grundstücke, die Italiener bei ihrer Aussiedlung nach dem Zweiten Weltkrieg in Slowenien hatten aufgeben müssen. Peterle taktierte geschickt mit Rom und erreichte schließlich einen günstigen Kompromiss. Als er dann aber mit seinem Ergebnis ins Parlament nach Ljubljana ging, brach der heilige Zorn der Linken über ihm zusammen: Verrat sei das, Ausverkauf nationaler Interessen! Peterle musste gehen. Sein Nachfolger, ein Linker, verhandelte nach und stieg deutlich schlechter aus. Diesmal blieb das Parlament ruhig. Peterle war Christdemokrat. Warf ihm jemand nationale Unzuverlässigkeit vor, wurde das in ganz Slowenien geglaubt.
Auch die Rechte pflegt ihre Komplexe: Nie haben es die Antikommunisten verwunden, dass es die Kommunisten waren, die das Land in die Unabhängigkeit führten. Noch immer erfüllt sie es mit Staunen, dass die Slowenen in ihrer Mehrheit gar nicht das Gefühl haben, sie hätten 1991 von ihren Kommunisten "befreit" werden müssen - schon in den 80er-Jahren hatten pragmatische Leute wie Kucan die Dissidenten in der Republik nach Kräften gegen Belgrad in Schutz genommen und die berüchtigten nationalen "Meetings" des Slobodan Milosevic in Ljubljana verhindert.
Norbert Mappes-Niediek lebt als freier Journalist und Buchautor in der Nähe von Graz.