Die Slowenen sind wieder da. Im vorsichtigen, kriegserfahrenen Bosnien fallen die munteren nördlichen Nachbarn sofort auf, auch wenn sie die Landessprache ziemlich perfekt beherrschen. "Das mit dem Krieg, Leute", sagt der Ingenieur aus Maribor mit entwaffnender Offenheit, "habe ich auch nicht verstanden." Die Rückkehr der Slowenen ist ein gutes Zeichen. Wo sie auftauchen, riecht es nach Geschäft statt nach Gefecht. Die drei Reisenden in Sarajevo sind Straßenbauer. Sie kennen alle Durchgangsrouten, wissen, wie hierzulande die Kurven gezogen werden und welchem Gestein man trauen kann, können mit korrupten Beamten Klartext reden und, besonders wichtig, die komplizierten Machtverhältnisse in Unternehmen und Banken entschlüsseln.
Sloweniens Wirtschaft hat sich für ihre Verluste durch den jugoslawischen Krieg längst schadlos gehalten. Schon 1996, als kaum die Waffen schwiegen und im zentralbosnischen Zenica erstmals wieder eine Messe stattfand, kamen von 320 Ausstellern 92 aus Slowenien. Das erste Managertreffen zum Wiederaufbau des zerstörten Landes fand statt, als der Waffenstillstand gerade zwei Wochen alt war. Albanische Firmen aus dem Kosovo wickeln ihre EU-Geschäfte am liebsten über Slowenien ab - dort denkt man europäisch, versteht aber auch die Probleme in Prishtina. Ljubljana präsentiert sich als Drehscheibe, und die Balkanstaaten springen gerne auf. Als alle noch Teilrepubliken Jugoslawiens waren, trieben sie naturgemäß besonders intensiven Handel miteinander: Der Bundesstaat verfügte schließlich, auch wenn jede Statistik separat für die Teilstaaten geführt wurde, über so etwas wie eine arbeitsteilige Binnenwirtschaft. Slowenien, der am meisten entwickelte Teil, war das Land der Endfertigung und der Markenproduktion, der weniger entwickelte Süden lieferte Rohstoffe und Halbfertigprodukte. "Die Slowenen", pflegte man in Jugoslawien zu sagen, "melken die serbischen Kühe und machen Alpenmilch daraus." Vom zwischenstaatlichen Austausch ist nach Krise und Krieg kaum etwas geblieben: Von drei Milliarden Dollar im letzten Vorkriegsjahr ging das Handelsvolumen bis 1994 fast auf ein Fünfzigstel zurück. Das Land orientierte sich ganz nach Westen und kam nach fünf Jahren zurück auf die balkanischen Märkte - wie der Vetter, der in der Emigration reich geworden ist: Er kommt gern mit den Daheimgebliebenen ins Geschäft, will aber die neu erworbenen Standards nicht mehr preisgeben.
Einiges hätte er vielleicht anders gemacht, sagt Joze Mencinger, 1990/91 erster nichtkommunistischer Wirtschaftsminister Sloweniens und heute Rektor der Universität Ljubljana. Aber wenn er sich das Ergebnis anschaue, dann hätte es besser kaum laufen können. Die kleine Republik steht nach 13 Jahren am Ende einer gelungenen Transformation. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt heute bei 71 Prozent des EU-Durchschnitts, über den Werten von Griechenland und Portugal. Die Arbeitslosigkeit, die lange hoch war, geht seit zwei Jahren zurück und unterschreitet inzwischen den Durchschnitt der Gemeinschaft. Der Oppositionspolitiker Lojze Peterle, damals Premierminister, mag seinen Widersachern in der Regierung nicht gar so viele Rosen streuen. Aber was in Slowenien anders wäre, wenn er mit seinen Christdemokraten und nicht die Nachfolgeparteien der KP die Regierung gestellt hätte, kann auch Peterle nicht recht sagen. Spontan fällt ihm ein, dass es mehr Privatschulen gäbe, mehr katholische Kindergärten und mindestens eine konservative Tageszeitung - nicht gerade Essentials einer demokratischen Marktwirtschaft.
Wichtigster Faktor des Erfolgs ist nach einhelliger Meinung die gute Ausgangslage. Jugoslawien sei schließlich seit 1952 nicht mehr planwirtschaftlich organisiert gewesen, die Firmen im "sozialen Eigentum" hätten sich seit langem schon "fast wie normale Unternehmen" verhalten. Konsens ist aber auch, dass es gut war, den "big bang", den wirtschaftlichen Schock, möglichst zu vermeiden - die Privatisierung und Sanierung aller großer Unternehmen Hals über Kopf, begleitet von Massenentlassungen. "Glücklicherweise hat der Weltwährungsfonds unsere Pläne für einen gleitenden Übergang damals nicht gut geheißen", sagt Mencinger, "unter der Regie des IWF wäre es weniger glimpflich abgegangen." Die Form der Privatisierung, die sich lange hinzog und die Management und Belegschaft stark bevorteilte, hat zwar wenig Kapital ins Land gebracht, aber auch wenig Unruhe erzeugt.
Vor allem von außen hat es dagegen kräftig Kritik gehagelt. Das kleine Land am Südrand der Alpen galt als protektionistische Festung, die sich geschickt gegen Konkurrenz und ausländische Direktinvestitionen abschloss. Die meisten Engagements internationaler Konzerne - Renault, Semperit, Henkel, Siemens - haben ihren Ursprung noch in jugoslawischer Zeit. Erst viel später kamen wieder in größerem Stil auch Ausländer zum Zuge. Die beiden wichtigsten Kreditinstitute, Nova Ljubljanska banka und die Nova kreditna banka Maribor, bekamen strategische Partner. Ein Mobilnetz ging an die Österreicher, mit der Telekom wird gewartet, bis die Preise sich wieder erholt haben. Im Medienbereich tobt ein Abwehrkampf gegen die benachbarten Österreicher. Vergeblich hatte sich der konservativ-katholische Styria-Konzern in Graz darum bemüht, die wichtigste Tageszeitung "Delo" in Ljubljana zu übernehmen, was einer Kulturrevolution und der ärgsten nationalen Erschütterung seit dem Zehn-Tage-Krieg des Jahres 1991 gleichgekommen wäre. Jetzt versuchen es die Österreicher von außen und verteilen eine Gratis-Zeitung.
Dass ausländische Investitionen - etwa im Vergleich zu Ungarn oder Tschechien - eine eher geringe Rolle spielen, hält etwa Joze Damijan vom Wirtschaftsforschungsinstitut jedoch nicht unbedingt für einen Vorteil. Anderswo hätten die Investoren immerhin neue Technologien gebracht, mit denen es in Slowenien noch eher schwach aussehe. Firmen mit ausländischer Beteiligung, so ein Vergleich in acht Übergangsländern, wachsen schneller, zahlen höhere Löhne und verfügen über das besser qualifizierte Management. Die Nachfrage nach slowenischen Betrieben war lange Zeit größer als das Angebot - ein Sonderfall unter den Übergangsländern der 90er-Jahre. Wo ausländische Investoren sich etablieren konnten, sind sie voll des Lobes über die Produktivität, die Arbeitsdisziplin, die sauberen Geschäftssitten. Bei Iskratel, einer großen Telekom-Firma mit Siemens-Beteiligung in Kranj, etwa liegt die Rendite deutlich höher als anderswo im Konzern. Die starke Identifizierung der Slowenen mit ihren Firmen, die früher alle "der Gesellschaft" gehörten und von der Belegschaft selbst verwaltet wurden, schätzt Sighart Seidel, stellvertretender kaufmännischer Direktor, als Vorteil: "Ganz Kranj ist stolz auf unser Telefonvermittlungssystem."
Während etwa das hoch verschuldete Ungarn schon deshalb seine wichtigsten Betriebe ins Ausland verkaufen musste, weil es sonst seine Haushaltsnöte nicht gemeistert hätte, schaffte es Slowenien, die Kontrolle über die wichtigsten Unternehmen zu behalten. Die größten Eigentümer im Land sind heute öffentliche Fonds, etwa der gesetzlichen Rentenversicherung. Als strategisch agierende Unternehmer treten diese Finanzfonds nicht auf. Sich über Investitionen, neue Märkte und Produkte Gedanken zu machen, ist nach wie vor Aufgabe des Firmenmanagements. Zumindest in dieser Hinsicht hat die Privatisierung also wenig geändert: Noch immer sind die wichtigsten Firmen de facto im öffentlichen Besitz. Nur dürfen die Arbeitnehmer ihre Manager nicht mehr wählen.
Mit der EU gibt es kaum Probleme. Die Landwirtschaft ist nicht konkurrenzfähig, macht aber auch nur vier Prozent des Sozialprodukts aus. Fast hätte das Land von Anfang an zu den Nettozahlern gehört: 75 Prozent des EU-Durchschnittseinkommens ist die Obergrenze für förderungsfähige Regionen, Slowenien liegt bei 71. Gerade weil der Abstand zu den Altmitgliedern kaum ins Gewicht fällt, wird zwischen Brüssel und Ljubljana mit jedem Euro, ja mit Tolar gerechnet. Der Wirtschaftsforscher Boris Majcen etwa hält es für einen Fehler, dass Slowenien in den letzten Jahren so viel in seine Infrastruktur investiert hat: "Das war zu früh. Hätten wir gewartet, zahlte vermutlich die EU." Bis zum Tag der Beitrittsentscheidung musste der Kandidat sich als reich und erfolgreich präsentieren, von da an nützt es ihm, sich arm und hilfsbedürftig zu geben. Die Debatte über Übergangsfristen bei der Freizügigkeit wird in Ljubljana leicht beleidigt kommentiert. Niemand rechnet mit Arbeitsemigration. Diesen Umstand aber dann den Slowenen gerade als Argument für lange Übergangsfristen vorzuhalten, nennt Europaminister Janez Potocnik eine "etwas perverse Logik". Politisch schließlich genießt das Land eine manchmal schon unheimliche Stabilität. Nachfolger der kurzzeitigen Allparteienregierung, die das Land 1991 in die Unabhängigkeit führten, wurden die Liberaldemokraten, die seither bis auf ein kurzes konservatives Intermezzo ununterbrochen regieren. Staatspräsident Janze Drnovsek war zuvor zehn Jahre lang Premierminister, sein Nachfolger Tone Rop führte zuvor das Finanzressort.
Als erster Kandidat fühlen die Slowenen sich auch beim Beitritt zur Euro-Zone, auch wenn niemand dabei besondere Eile an den Tag legt; die Rede ist vom Jahr 2008. Der Tolar flottiert seit 1991 frei, eine Strategie, die anfangs als riskant eingestuft wurde, sich aber nach Mencingers Meinung bewährt hat. Um die Währung halten zu können, wehrte sich Slowenien lange gegen Portfolio-Investitionen, weil sie ein Risiko für den Tolarkurs bedeutet hätten. Bei den Maastricht-Kriterien hätte das Land nur mit der traditionell eher hohen Inflation Probleme. Ihre Senkung auf 6,1 Prozent im bisher preisstabilsten Jahr 1999 verwandelte sich durch Ölpreiserhöhung und Gehaltsanhebungen für Beamte wieder in einen Anstieg.
Mencinger hält es für "eine Art Wirtschaftswunder", dass Slowenien zu Beginn der 90er-Jahre den Verlust des einstigen jugoslawischen Marktes derart rasch mit Exporten in die Länder der Europäischen Union erfolgreich kompensieren konnte. Nach dem glänzenden Sieg an der wirtschaftlichen Westfront richten sich die Augen des umgewandelten Slowenien wieder nach Südosten: Die Exportraten vor allem nach Jugoslawien steigen inzwischen sprunghaft an, Firmen nutzen ihre alten Kontakte und ihre Kenntnis von Sprache, Märkten und Mentalitäten. In Bosnien-Herzegowina ist der einstige Bundespartner schon der größte ausländische Investor. Mit potenten westlichen Kapitalgebern im Rücken könnte Slowenien dort sein zweites Wunder vollbringen - mit Industrieexporten, aber auch mit Bankgeschäften und Consulting für international agierende Konzerne und westeuropäische Mittelständler.