Die Fichten oben an den Hängen tragen schwer an ihrer weißen Ladung, und ab und zu bricht krachend ein Ast herab. Sacht, aber beharrlich fällt der Schnee auf das mächtige Schloss, auf die kleine Teufelsburg oben in der Felswand, auf die Pfarrkirche mit ihrem barocken Häubchen und, weil die Natur da keine Unterschiede macht, auch auf das Gelände der Elan-Fabrik, wo er sich in matschigen Schlieren zwischen den Hallen sammelt. Hier gibt es Schnee, hier gibt es Holz, und bei Elan macht man Ski. Die Welt um das slowenische Dörfchen, ein paar Kilometer von der großen Verkehrsachse München - Istanbul, ist so stimmig. Wir sind in Begunje, der Heimat der "Original Oberkrainer", der erfolgreichsten Volksmusikgruppe Europas, und der Heimat der einzigen Weltmarke, die aus Slowenien kommt.
Weil man bei Weltmarken natürlich nicht mit Zwiebeltürmen, Oberkrainern und Teufelsburgen kommen kann, hat Martin Lehner, der Marketing-Chef von Elan, sich Begriffe ausgedacht, die auch in der Business-Welt verstanden werden: "real tech" ist einer davon. Er soll bedeuten, dass es hier in Begunje, der "Ski-Manufaktur", wie Lehner sagt, reell zugeht und dass man "für einen ehrlichen Preis ein ehrliches Produkt" bekommt. Schaut man sich hier um, will man das gerne glauben. Im Foyer des Verwaltungsgebäudes, einer düsteren Halle mit abwaschbarem Steinboden und billiger Holzvertäfelung, sitzt der Meister aus der Produktion im Blaumann mit einer Gruppe deutscher Einkäufer an einem viel zu kleinen Tisch und radebrecht sein Englisch. Ziemlich streng schaut die Empfangsdame aus ihrem Glaskästchen, wenn die Besucher sich erst mal den Schneematsch von den Schuhen klopfen. Oben in Martin Lehners Vorstandszimmer zeigt der dunkelgrüne Teppichboden die ersten aperen Stellen. Im Großraumbüro der Pressechefin grüßt noch immer der Genosse Tito von der Wand. "Real tech" eben; hier macht einem garantiert niemand etwas vor. Bei Elan, in Begunje und in ganz Slowenien geht es solide, unprätentiös und manchmal relativ langweilig zu. Aber hier und im ganzen Land ist man damit sehr erfolgreich.
Elan ist eine der wenigen Skimarken, die nach den ruinösen Verdrängungskämpfen der letzten Jahrzehnte noch übrig geblieben sind. Nicht mehr als zwölf haben es einstweilen geschafft. Hinter den Branchenriesen Rossignol, Atomic und Salomon hat sich mit Head, Fischer, Völkl und eben Elan eine Mittelgruppe etabliert; dort sind alle außer Elan zurzeit in Turbulenzen. Als es Jugoslawien noch gab, konnte man hier vor sich hin produzieren und die Schwankungen des Wetters hinnehmen wie die Unwetter über den Karnischen Alpen. Elan galt als Billigmarke und war für die Jugoslawen in ihren Skigebieten in den slowenischen Alpen, in Bosnien, Mazedonien und im Kosovo sowieso die einzige mögliche Wahl. In den 70er-Jahren ergab es sich, dass der Schwede Ingemar Stenmark, bester Skiläufer aller Zeiten, auf Elan schwor und den Handwerkern von Begunje als Werbeträger gleichsam zulief. Stenmark passte zu Elan wie der Schlüssel zum Schloss: ein freundlicher Schweiger, der ohne großes Triumphgeheul allen davonfuhr. In den 80ern verkaufte die Firma schon 80 Prozent ihrer Produktion ins Ausland. Heute sind es weit über 90 Prozent. 550.000 Paar Ski stellen die etwa 1.100 Elan-Beschäftigten in Begunje her, in der Elan-Fabrik jenseits der Grenze im kärntnerischen Fürnitz werden Snowboarde gefertigt, meistens für andere Markenhersteller.
Die Geschichte der Firma Elan liest sich, als hätte sie einer erfunden, um die Landesgeschichte des 20. Jahrhunderts mal an einem konkreten Beispiel darzustellen. Im Schloss von Begunje unterhielten die Deutschen im Zweiten Weltkrieg ein berüchtigtes Gefängnis, in dem mehr als 1.200 Slowenen erschossen wurden. Die Gräuel trieben den Partisanen in den Wäldern immer mehr Anhänger zu, und weil es hier auch damals viel schneite, brauchten sie alle Ski. So kam es, dass der Schreiner von Begunje, ein Mann namens Rudi Finzgar, von Tischen und Särgen auf Sportartikel umstieg. Nach dem Krieg blieb er dabei und nannte seine Firma Elan; Bilder von der ersten Produktionsstätte zeigen ein solides, schmuckloses Steinhaus, wie die Bauern es sich hier bauen. Die regierenden Kommunisten überführten den Betrieb in "gesellschaftliches Eigentum", ließen ihn ansonsten aber in Ruhe - Elan sollte Devisen verdienen und tat das auch. "Ende der 80er-Jahre, als ich hier anfing, war vielleicht die beste Zeit", sagt Mitja Lasnik, Meister in der Produktion.
Mit dem Ende Jugoslawiens kam die große Krise - auch wenn das eine mit dem anderen nicht viel zu tun hatte, wie Marketing-Chef Lehner meint. Der Weltmarkt schrumpft; in Japan, wo Skifahren nur ein Modesport ist wie jeder andere, sank der Absatz auf wenig mehr als ein Zehntel. Die hoch verschuldete Elan-Fabrik wurde 1990, kurz vor der Unabhängigkeit Sloweniens, von ihrem größten Gläubiger übernommen: der Privredna Banka in Zagreb. Schon ein Jahr später wäre es weder politisch noch rechtlich möglich gewesen, dass eine kroatische Bank sich ein Symbol der slowenischen Wirtschaft aneignet. Nun war es aber geschehen. Die Kroaten ließen den Eigentümer heraushängen, sparten, wie Banken es gern tun, aber sanierten auch und zogen sich den Hass der Belegschaft zu. Und sie machten ihre Sache gut, wie Lehner sagt: schnitten "alte Zöpfe" ab, strukturierten den Betrieb um, trennten sich von Großhändlern, die Elan noch immer als Billigmarke verramschen wollten.
Mit fast zehnjähriger Verspätung schlug dann endlich für Elan wieder die Stunde der Unabhängigkeit. Die Privredna Banka in Zagreb wurde ihrerseits von einem italienischen Geldinstitut eschluckt. Elan kam frei, geriet in die Hände der slowenischen Treuhandanstalt und wurde "privatisiert". Aber Privatisierung ist in Slowenien nur ein Wort. Elan landete wie die meisten wichtigen Industriebetriebe in den Händen von vier halbstaatlichen "Investmentfonds", die alle kein Gesicht haben und sich für ihr umfangreiches Eigentum folglich auch nicht interessieren. An der Spitze von Elan steht heute der Sohn des Firmengründers, Primoz Finzgar. Es ist wie in jugoslawischer Zeit: Das Management muss sich politisch gut absichern, dann kann es schalten und walten, wie es will. Und es funktioniert genauso prächtig wie damals.
Was früher sozialistische Biederkeit war, ist heute ein sorgfältig gepflegtes Image. Elan möchte "für junge Leute" produzieren, wenn auch nicht für die Hippesten unter ihnen: gute Qualität, aber keinen Schnick-schnack, keine schreienden Logos. "Ein bisschen wie Skoda", sagt Martin Lehner. Elan soll als Ski-Spezialist gelten, nicht als Gemischtwarenladen für Sportartikel. Die Strategie passt zum schrumpfenden Markt: "Wenn Fotoapparate schlecht laufen, kaufen die Leute immer noch eher Leica als Sony." Das neue, giftgrüne Logo gemahnt an altjugoslawische Teppichböden in der Vorstandsetage von Begunje; unten in der Fabrik wird viel Schweiß darauf verwendet, die richtige Druckfarbe zu treffen. Das Slowenische an Elan hat in den Kategorien des Weltmarkts seinen Platz gefunden. Norbert Mappes-Niediek