Einen historisch fundierten und gut lesbaren Überblick der Entwicklung der modernen Türkei bietet die Arbeit von Brigitte Moser und Michael Weithmann. Die Autoren entfalten ihre Darstellung bewusst vor dem Hintergrund der EU-Beitrittsfrage, ohne jedoch direkt auf sie im einzelnen einzugehen. In sechs Teilen und 29 Kapiteln schildern sie vor allem den Weg der Republik seit der Gründung bis zu den ersten Reaktionen auf die Entscheidung des Europäischen Rates von Helsinki im Dezember 1999, der Türkei den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten einzuräumen.
Es handelt sich um eine klassische politische Geschichte, in der Personen und Ereignisse im Vordergrund stehen, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Aspekte eher kursorisch und nur so weit behandelt werden, wie sie für das Verständnis der politischen Vorgänge erforderlich sind. Die kurzen landeskundlichen und geschichtlichen Einführungen gehen über die Vermittlung der wesentlichsten Fakten und Zusammenhänge nicht hinaus. Der hieran interessierte Leser wird dazu weiterführende Fachliteratur konsultieren müssen, auf die in einem knappen, aber kompetent zusammengestellten Literaturverzeichnis hingewiesen wird.
Die Autoren beschränken sich nicht nur auf die reine Darstellung, sondern scheuen auch nicht politisch einordnende Urteile über die in der Regel sachlich und umfassend geschilderten Ereignisse und Strukturen. So beurteilen sie zum Beispiel die schwere Wirtschafts- und Finanzkrise der Jahre 2000 und 2001 zutreffend als Ausdruck eines gesellschaftlichen Prozesses, der die alten Machtstrukturen zugunsten jüngerer Kräfte ablöst und formulieren für die EU die Aufgabe, die Türkei dabei zu unterstützen.
Stephen Kinzer lebte Ende der 90er-Jahre für vier Jahre als Korrespondent der "New York Times" in der Türkei. In seinem Buch präsentiert er in bester journalistischer Manier, ohne oberflächlich zu werden, die Quintessenz dieses Aufenthaltes und entfaltet in zehn Kapiteln das ganze Panorama der aktuellen politischen Problematik des Landes. Vom Atatürk-Kult um den Gründer der Republik über den sich neu definierenden politischen Islam, die unbewältigte Armenierfrage, das ebenso noch einer Lösung harrende Kurdenproblem, die politische und gesellschaftliche Sonderrolle des Militärs bis hin zu den staatlichen Methoden der Einschränkung der Bürger- und Menschenrechte bleibt keines der Phänomene unbehandelt, die vor allem im letzten Jahrzehnt das politische und gesellschaftliche Klima bestimmt haben.
Dieses Klima sieht er vor allem geprägt von einem Kampf zwischen den Vertretern der alten Ordnung, des republikanischen Dogmatismus, und den Kräften, die die Türkei unter die modernen Demokratien des 21. Jahrhunderts einreihen wollen. Eine der wichtigsten Triebkräfte auf diesem Weg ist in Kinzers Sicht die Verheißung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union. In ihr bündeln sich jene Perspektiven und Kräfte, die die heutige Türkei von den Fesseln der aus der Gründungszeit der Republik resultierenden Ängste und Dogmen befreien könnten.
Die Südosteuropa-Gesellschaft präsentiert in Heft 1/2004 ihrer "Südosteuropa-Mitteilungen" mit dem Schwerpunkt Türkei in sechs Beiträgen wissenschaftlich fundierte Analysen zu den wichtigsten Aspekten der aktuellen Beitrittsdebatte. Günter Seufert zeigt in seiner Analyse des Verhältnisses von Staat und Religion, dass die Türkei hier eher europäischen Vorstellungen als islamischen Traditionen folgt, dabei jedoch noch in einem Stadium verharrt, das in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg zugunsten einer weitgehenden Liberalisierung aufgegeben wurde.
Siegfried Schultz kommt in seiner Untersuchung der jüngsten Wirtschaftsentwicklung zum Schluss, dass die Türkei sich erst auf halbem Wege zu einer krisenfesten Ökonomie befindet und bis zu einem - erst für das nächste Jahrzehnt zu erwartenden - Beitritt noch einen erheblichen Transformationsprozess durchlaufen muss. Gülistan Gürbey würdigt die jüngsten Liberalisierungsmaßnahmen der türkischen Kurdenpolitik als einen wichtigen Schritt auf dem Weg nach Europa, kommt jedoch zum Schluss, dass ein ernsthaftes Bemühen um einen "europäisch-türkisch-kurdischen" Konsens über eine politische Regelung des Konfliktes noch aussteht.
Heinz Kramer identifiziert in einer Analyse der jüngsten politischen Reformen das Militär, das Parteiensystem und die Spitzen des Staatsapparates als andauernde Schwachpunkte bei dem Bemühen der neuen Regierung um die Verwirklichung des europäischen Modells der liberalen Demokratie, für dessen Verwirklichung in der Bevölkerung die notwendigen Elemente einer demokratischen politischen Kultur durchaus vorhanden sind. Çigdem Akkaya und Caner Aver zeigen in einem Panorama der sicherheitspolitischen Herausforderungen, denen sich die Türkei in ihrer Region gegenübersieht, die gerade in jüngster Zeit deutlich gestiegene Bedeutung des Landes für die Entwicklung einer stabilen regionalen Nachbarschaft der Europäischen Union.
Hieran knüpft auch Lieselore Cyrus in ihren Überlegungen zu den deutschen Interessen an einer Verankerung der Türkei in Europa an. Sie hebt dabei besonders den positiven Effekt der Beitrittsperspektive für den innertürkischen Reform- und Stabilisierungsprozeß hervor, von dem sowohl Rückwirkungen auf die in der EU lebenden Türken ausgehen als auch verbesserte Anreize für eine verstärkte Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen.
Der von Wulfdiether Zippel herausgegebene Band vereint die bekannten Vorzüge und Schwächen von Tagungsbänden: in der Regel kompetente Behandlung der einzelnen Themen ohne erkennbares Gesamtkonzept der getroffenen Auswahl. Unter dem leicht irreführenden Titel "Südost-Erweiterung der EU" geht es nicht um den rumänischen und/oder bulgarischen Beitrittsprozess, sondern es werden auf 141 Seiten wesentliche Aspekte der EU-Türkei-Beziehungen mit Blick auf die Beitrittsproblematik behandelt.
Der Leser wird in der Regel korrekt und umfassend über die jeweilige Thematik auf dem Stand vom Herbst 2001 informiert. Dabei handelt es sich um aktuelle Momentaufnahmen etwa der Beziehungen zur ESVP, zur sozioökonomischen Lage der Türkei, zu Verfassungspolitik und -reform in der Türkei sowie zum Zypernproblem oder zur Zollunion EU-Türkei. Leider fehlt eine Zusammenschau der verschiedenen Aspekte unter der Beitrittsperspektive. Besonders bedauerlich, dass diese Beiträge einer deutsch-türkischen Expertentagung in der Regel immer nur die Sicht jeweils einer Seite auf das Thema spiegeln.
Ähnlich verhält es sich mit dem von Werner Gumpel herausgegebenen Sammelband zu einer deutsch-türkischen Konferenz vom September 2001 in Antalya. In drei Blöcken werden in teilweise recht knappen Beiträgen politische und wirtschaftliche Aspekte der deutsch-türkischen Beziehungen und der regionalen Rolle der Türkei sowie Fragen der türkischen Migration nach Deutschland und Westeuropa behandelt.
Lesenswert sind besonders die Beiträge von Ali Hikmet Alp über die türkische Balkanpolitik, von Siegfried Schultz über die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen und von Çigdem Akkaya über die Türken in der EU. Sie beleuchten Aspekte, über die der interessierte Leser in deutschen Medien sonst wenig erfährt.
Besonderes Interesse dürfte das von Wolfgang Quaisser und Alexandra Reppegather vom Münchner Osteuropa-Institut für das Bundesministerium der Finanzen angefertigte Gutachten finden. Auf 84 Seiten untersuchen die Autoren ausführlich die ökonomische Beitrittsreife der Türkei und stellen wirtschaftswissenschaftlich fundierte Überlegungen zu den Konsequenzen einer türkischen EU-Mitgliedschaft an. Sie gehen davon aus, dass die wirtschaftlichen Beitrittskriterien bei einer erfolgreichen Fortsetzung des mit der gegenwärtigen Konsolidierungspolitik eingeschlagenen Kurses in etwa einem Jahrzehnt keine Barriere für einen EU-Beitritt mehr darstellen.
Allerdings bleibt auch dann der enorme wirtschaftliche Abstand zwischen der EU und der Türkei bestehen. Deswegen wirft ein Beitritt erhebliche Anpassungsprobleme für die EU und für die Türkei auf: Ohne größere Reformen in der Agrar-, vor allem aber in der Strukturpolitik wird ein türkischer Beitritt nur schwer zu verkraften sein. Die tatsächlichen Konsequenzen können aber auch in dieser Arbeit aus methodischen Gründen nur schwer vorher gesagt werden. So variieren die Schätzungen der Kosten eines Beitritts im Jahre 2013 je nach den zugrunde gelegten Annahmen zwischen 5,2 und 14,0 Milliarden Euro.
Unklar bleibt, warum mit Blick auf die EU-internen Entscheidungsprozesse als Folge des türkischen Beitritts gerade auf das Anwachsen des Gewichts der Kohäsionsländer abgestellt wird. Dies wäre nur dann von besonderer Bedeutung, wenn die Frage der EU-internen Solidarität die überragende politische Leitlinie für das Entscheidungsverhalten der Mitgliedstaaten in allen wesentlichen Fragen des Jahres 2013 wäre. So sollte die Arbeit eher als nützliches Kompendium der mit einem türkischen Beitritt verbundenen Vielfalt an Problemen und ihrer Dimensionen gesehen werden, denn als exakte Prognose der tatsächlichen Folgen.
Die europäische Identität der Türkei als muslimisches Land ist einer der am heftigsten diskutierten Aspekte in der Debatte über einen türkischen EU-Beitritt. Wie die gedankenlose Charakterisierung als "islamischer Großstaat" zeigt, fehlt es den Diskutanten häufig an zureichenden Kenntnissen und einem vertieften Verständnis des türkischen Islams als politisches und gesellschaftliches Phänomen. Hier kann die Lektüre einer Arbeit von Judith Hoffmann erste Abhilfe schaffen, die aus einer Diplomarbeit an der FU Berlin hervorgegangen ist.
Vor dem Hintergrund der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse, denen die Türkei nach dem Militärputsch von 1980 und während der Ära Özal ausgesetzt war, untersucht die Autorin den Aufstieg und Fall der Wohlfahrtspartei (RP) des Necmettin Erbakan als Speerspitze des politischen Islams sowie die Herausbildung des islamischen Unternehmerverbandes MÜSIAD während der 90er-Jahre. Sie zeigt, dass diese Entwicklungen viel mehr Ausdruck unbewältigten wirtschaftlichen und politischen Wandels waren als Folgen einer besonderen islamischen türkischen Identität. Dasselbe gilt für den phönixgleichen Aufstieg der Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) des heutigen Ministerpräsidenten Erdogan, den sie in einem kurzen Nachwort skizziert.