Die Versuchung, auf diese Vergleiche zurückzugreifen, ist jedoch ungebrochen groß. Zuletzt konnte Josef Joffe, Chefredakteur der "Zeit", ihr nicht widerstehen und schrieb in der Ausgabe vom 18. März der Wochenzeitung nach dem Terroranschlag von Madrid: "Nennen wir's nicht 'Islamismus' oder 'Dschihadismus', sondern 'Faschismus' ohne Duce oder Führer." Und weiter: "Den Europäern fällt es schwer, in den Spiegel des Islamo-Faschismus zu blicken und darin die Fratze der eigenen Geschichte auszumachen." Auf eine erzürnte Reaktion musste er nicht lange warten. In der Ausgabe der Wochenzeitung "Freitag" vom 26. März entgegnete ihm der Politikwissenschaftler Mohssen Massarrat: "Eine perfidere Verharmlosung von Faschismus und Holocaust hinter der liberalistischen Maske ist kaum Vorstellbar. Es gehört ein gehöriges Maß an Geschichtsblindheit und anti-islamischer Hysterie dazu, um die systematische Ausrottung von sechs Millionen Juden mit den Verbrechen des Al-Qaida-Netzwerkes gleichzusetzen."
Die Argumentationen klingen in ihren Grundzügen merkwürdig vertraut. In den Diskussionen über die Totalitarimustheorie - spätestens seit Hanna Arendts grundlegendem Werk "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" von 1955 -, die das Dritte Reich und die Sowjetunion als Regime des gleichen Typus beschrieb, sind sie ähnlicher Form schon zu hören gewesen. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der kommunistischen Regimes in Osteuropa schien sich schließlich jede weitere Diskussion über die Totalitarismustheorien erübrigt zu haben. Nun legt Bassam Tibi, Professor für Internationale Beziehungen in Göttingen und für Islamologie in St. Gallen sowie Autor zahlreicher Bücher zum Islam, sein neuestes Werk vor, mit der er die Debatte neu belebt. Er ordnet den islamistischen Terrorismus nach dem "Stalin'schen Komunismus und dem Hitler'schen Faschismus" als "neueste Spielart des Totalitarismus" ein.
Tibi weiß um die Kontroverse um die Totalitarismustheorie, erachtet sie jedoch für irrelevant: "Ich lasse mich auf diese Debatte nicht ein, weil ich, den Totalitarismus-Theoretikern folgend, die Ähnlichkeit zwischen Gulag und den NS-Lagern nicht übersehe. Den Opfern des Totalitarismus war es gleich, ob ihre Peiniger Faschisten oder Stalinisten hießen."
Tibi stützt sich in seiner Analyse ausdrücklich auf Arendt. So hält er dem Argument, dass die islamistischen Terroristen vorwiegend aus dem Untergrund agieren, also als nichtstaatlicher Akteur, entgegen, dass Arendt den Begriff Totalitarismus nicht nur im Sinne von "Herrschaft", sondern auch von "Bewegung" verwendete. Und der Terror sei für die Bewegung der Islamisten ein Mittel, um die angestrebte "Gottesherrschaft" zu errichten.
Ob man diesem Ansatz folgen will oder nicht, er ermöglicht eine Schlussfolgerung, der man sich in jedem Fall anschließen kann: So wie die zweite und dritte Welle der Demokratisierung auf die Totalitarismen von NS-Faschismus und Stalinismus folgten, muss die "Antwort auf den totalitären Islamismus" in einer "Demokratisierung der Welt des Islam" bestehen. Mit militärischen Regimewechseln ist es nicht getan.
Neu ist die Forderung nach einer Demokratisierung des islamischen Welt nicht - Tibi selbst hat sie in seinen Büchern immer wieder erhoben. Nun unterfüttert er sie durch eine - als zu unrecht veraltet angesehene - Theorie aus den politischen Wissenschaften.
Bassam Tibi
Der neue Totalitarismus.
Heiliger Krieg und westliche Sicherheit.
Primus-Verlag, Darmstadt 2004; 243 S.; 19,90 Euro