Sie sind stilsicher, interkulturell und basteln Tag für Tag mit am "Look and Feel" Europas: Türkische Kreative erobern sehr langsam, aber sicher auch die Trendbranchen der Bundesrepublik. "Next time you say, you don't like Turks, be careful - your car might be designed by one." Asimov, ein türkisches Mitglied des internationalen Internetforums Skyscrapercity konnte sich seinen leicht spöttischen Kommentar zum Thema "Cars designed by Turkish Designer Murat Günak" in der deutschen Sektion des Forums einfach nicht verkneifen. Sein virtueller Vorstoß in die heiligsten Sphären des bundesrepublikanischen Nationalstolzes lief jedoch - entgegen Asimovs Erwartungen - ins Leere. Keines der anderen Forumsmitglieder zeigte sich von der Tatsache, dass mit Murat Günak ein Türke im Automobilland Nummer Eins, in puncto Design die erste Geige spielt, sonderlich überrascht.
Die mit Preisen dekorierten Ergebnisse von Günaks Arbeit sind längst viel bestaunter Alltag auf den Straßen Europas, und seine Designstudien seit Jahren Top-Thema auf der Frankfurter Automobilausstellung. Künftig wird die Liste jener Wagen (unter anderem der Mercedes SLK, die A-Klasse und der Maybach 62), die Murat Günak entworfen hat, sogar noch schneller wachsen. Denn seit dem 1. April leitet der türkischstämmige Star-Designer mit deutschem Pass die Design-Abteilung der Volkswagen AG und verantwortet somit die Design-Aktivitäten aller Marken des Konzerns.
Eine große Herausforderung, für die der 1957 in Istanbul geborene Günak in den letzten Jahren vielfältige Erfahrungen bei anderen Herstellern großer Automarken sammeln konnte. So arbeitete der Designer bereits für Ford, Peugeot sowie zuletzt für Mercedes PKW und Maybach, wo er Designdirektor Peter Pfeiffer als Gesamtverantwortlicher für das Styling bei DaimlerChrysler ablösen sollte. Soweit der Plan. Ende vergangenen Jahres unterschrieb Günak jedoch bei der Wolfsburger Konkurrenz. In der Autostadt erwartet man sich von seiner Verpflichtung frische Impulse. Impulse, die Günak auch aus seinem Heimatland bezieht. So verriet der Top-Kreative kürzlich in einem Interview mit dem Designmagazin designophy, dass er sich bei der Farb- und Liniengestaltung von der türkischen Kultur inspirieren lässt.
Eine Aussage, die auch von der gebürtigen Ost-Türkin Emine Bielemeier hätte getroffen werden können. Die 35-jährige Modedesignerin bereichert seit Ende 2002 von ihrer Wahlheimat Düsseldorf aus die internationale Textilbranche mit gestrickter Damenoberbekleidung, die im Gegensatz zu den Maschenwaren anderer Modelabels komplett in Handarbeit hergestellt wird. Und der kreative Output der mit einem Deutschen verheirateten Neu-Rheinländerin kommt gut an: Seit einigen Monaten stattet sie neben renommierten Modegeschäften in Nordrhein-Westfalen auch RTL-Moderatorinnen wie Nazan Eckes oder Frauke Ludewig mit ihren Trendtextilien aus.
Als Inspirationsquelle für ihre Mode nennt Emine Bielemeier die Bäume vor dem Fenster ihrer Wohnung in der Düsseldorfer Altstadt sowie die Obstplantagen in der Nähe des elterlichen Wohnsitzes in Tunceli. "Aber auch orientalische Teppiche und der Istanbuler Bazar inspirieren mich", so die Designerin, "man sammelt einfach so viele Eindrücke, wenn man zwischen zwei Kulturen hin und her pendelt."
Die inspirierende Wirkung dualer soziokultureller Wurzeln bestätigt auch der ehemalige Springer & Jacoby Art Director Tonguç Baykurt, der heute als Regisseur arbeitet: "Ich fühle mich in beiden Kulturen zu Hause und bin dadurch offen für andere Kulturen", erzählt er und bringt auf den Punkt, wovon viele zweisprachig aufgewachsene Menschen profitieren: mehr Universalität.
Vorzeigekarrieren im Kreativbereich wie sie Murat Günak, Emine Bielemeier und Tonguç Baykurt verkörpern, sind unter den in der Bundesrepublik lebenden Deutsch-Türken jedoch noch eher selten. Für Tonguç Baykurt, der als 16-Jähriger von Ankara ins Ruhrgebiet zog, liegen die Gründe hierfür vor allem in der traditionellen türkischen Erziehung: "Man kann schon davon ausgehen, dass die meisten Eltern sehr konservativ sind - und es nicht unbedingt zu ihrem größten Wunsch zählt, dass ihre Kinder in einem künstlerischen Beruf arbeiten." Tonguç Baykurt ging es da nicht anders. Allerdings aus einem anderen Grund: Sein Vater, Fahir Baykurt, arbeitete bereits als Schriftsteller und seine Mutter wollte "nicht noch einen Künstler in der Familie haben". Deswegen studierte der Deutsch-Türke erst einmal Mathematik und Mineralogie bis zum Vordiplom. Erst danach gelang es ihm, seine Mutter davon zu überzeugen, dass ihm ein kreativer Beruf besser liegt. Und so schrieb sich der für seine Kampagnen schon mehrere Male vom Art Directors Club ausgezeichnete Top-Kreative erst 1982 in Dortmund für den Studiengang Grafikdesign ein - als einziger Türke seines Jahrgangs.
Auch heute noch bilden die Kinder Atatürks, selbst in Gegenden mit einem traditionell hohen türkischen Bevölkerungsanteil, eine Minderheit in deutschen Designstudiengängen: Vier von 943 sind es an der Dortmunder Universität, und drei von 346 an der FHTW Berlin. Dabei wäre ihr interkulturelles Know-how gerade in der Kommunikationsbranche sehr gefragt. Ethno-Marketing heißt das Stichwort und meint das zielgruppengerechte Feilbieten einheimischer Produkte an ethnisch definierte Käuferschichten.
Dass diese Unterscheidung für eine effiziente Absatzförderung notwendig ist, ist für Serkan Sögüt, Creative Director bei der türkischsprachigen Berliner Werbe-
agentur SUN 2150 keine Frage: "Da sich die Konzeption einer Werbebotschaft mit fundamentalen Fragen zu Herkunft, Alter und sozialen Strukturen auseinandersetzt, muss auch die türkische Zielgruppe differenziert betrachtet werden." Lab one, eine andere Berliner Agentur, erarbeitete zur Erhöhung der Treffgenauigkeit von Ethno-Kampagnen sogar - gemeinsam mit dem Marktforschungsinstitut GIM - die vielbeachtete Studie "Lebenswelten Deutschtürken 2002". Ziel der Studie war es jedoch nicht nur, Wege für ein gezieltes Marketing aufzuzeigen, sondern auch mit überkommenen Klischees aufzuräumen. Denn junge Deutschtürken sind, im Gegensatz zu dem nur schwer aus den Köpfen zu bekommenden Vorurteil vom knausrigen Aldi-Türken, genauso an Lifestyle, Marken- und Designermode interessiert wie ihre mitteleuropäischen Altersgenossen. Und vielleicht sogar noch eine Spur mehr: "Moderne Türken legen sehr viel Wert auf Stil", erzählt Nazan Eckes, türkischstämmige Moderatorin des neuen RTL-Magazins "bosporus.trend", "da unterscheiden sie sich kaum von anderen Südländern." Sebastian Büttner
Sebastian Büttner ist Journalist und Schriftsteller in Düsseldorf.