Umfangreiche Reformen sind in der Bundeswehr ein immer wiederkehrendes Thema. Das hängt vor allem mit der gewandelten Rolle des Militärs in unserer Zeit zusammen, die angesichts der Globalisierung der Politik, spürbarer Reduzierungen der Budgets und veränderter weltweiter Aufträge von Streitkräften stets von neuem zu definieren ist.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten fortschrittliche Reformkräfte in der Bundesrepublik, darunter Politiker und Militärs, als Antwort auf unselige Exzesse des deutschen Militarismus den grundlegenden Wandel zu einer neuen Armee eingeleitet, die den Frieden im Rahmen des kollektiven NATO-Bündnisses zu sichern hatte. Die dafür notwendige geistig-politische Grundlage sollte das Konzept der Inneren Führung garantieren. Es war lange umstritten, da viele ehemalige Soldaten eine Verweichlichung der Truppe befürchteten. Es bedurfte unendlich geduldiger, permanenter Aufklärungs- und Bildungsarbeit, um die Kritiker von deren Sinn und Wertegebundenheit zu überzeugen.
Hierzu haben nicht zuletzt Wehrexperten aller Parteien, darunter Fritz Erler (SPD)und Richard Jaeger (CSU), beigetragen. Die meisten Verteidigungsminister standen der Inneren Führung allerdings mit einer gewissen inneren Distanz gegenüber, wahrscheinlich deshalb, weil ihnen ein tieferes Verständnis für das Reformwerk des Grafen von Baudissin und seiner Mitstreiter fehlte. Das galt - möglicherweise(?) - auch für den Alleskönner Helmut Schmidt, der sich mehr auf Fragen der Strategie und des Bündnisses konzentrierte
Sein besonderes Verdienst dürfte indessen darin liegen, dass er nach seiner Ernennung zum Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt einen seiner besten Freunde, Willi Berkhan (1915 - 1994), seinen "älteren Bruder", wie er es ausgedrückte, zum Parlamentarischen Staatssekretär erwählt hat. Berkhan galt als einer der kommenden herausragenden Wehrexperten in seiner Partei, der sich, wo immer möglich, für den Aufbau von Streitkräften in der Demokratie zum Schutz von Freiheit und Recht eingesetzt hatte. Er war ein Glücksfall für die Bundeswehr, denn Berkhan hat wie kaum ein zweiter im Machtgefüge der Bundesregierung in den 70er-Jahren zur Verwirklichung der Inneren Führung beigetragen. Auch später als Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages (1975 - 1985) hat er in diesem Geiste in Wort und Tat zu wirken verstanden.
Nun hat sein damaliger persönlicher Referent, Winfried Vogel, zuletzt Brigadegeneral, einen ersten überaus beachtlichen Beitrag zu einer politischen Biographie über den in Hamburg fest verwurzelten Berkhan verfasst. Dafür hat er nicht nur relevante Literatur ausgewertet, sondern auch Archivalien von Helmut Schmidt, des Bundestages, der Friedrich Ebert Stiftung und des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes. Zudem hat er mehrere Zeitzeugen befragt, unter ihnen den ehemalige Generalinspekteur de Maizière. Das Urteil des Verfassers ist im ganzen abgewogen und wird der Persönlichkeit des Politikers und Menschen Berkhan gerecht. An manchen Stellen wären freilich noch Ergänzungen wünschenswert gewesen, desgleichen die ein oder andere kritische Anmerkung.
Berkhan wurde vom Arbeitermilieu in seiner Heimatstadt, den Erfahrungen während der NS-Diktatur und seinen sozialwissenschaftlich-pädagogischen Studien nach dem Kriege geprägt. Schon frühzeitig ließ er seine Verbundenheit mit seinen Mitmenschen erkennen, was auch in einem konstruktiven Führungsstil zum Ausdruck kam. Bei fast allen wichtigen Entscheidungen des Ministeriums hat er ein gewichtiges Wort mitgeredet, vielfach beraten vom Beirat für Innere Führung. Letzteren hat er oft geschickt für seine Interessen einzusetzen verstanden, gelegentlich allerdings auch für Aufgaben, die über die Kompetenzen dieses Gremiums hinausgingen. Wenn es einmal zu einem Eklat kam, zum Beispiel im Zusammenhang mit der zu linkslastigen Arbeitsweise des Sozialwissenschaftlichen Instituts in München, die der Beirat zu überprüfen hatte, gestand er offen seinen Fehler ein.
Eine besondere Schwäche vieler Sicherheitspolitiker war in diesen Jahren ihre Zurückhaltung auf dem Gebiet der Öffentlichkeitsarbeit. Als es darum ging, in den Bildungseinrichtungen der Bundesrepublik bei den Wehrpflichtigen die Einsicht in die Verteidungswürdigkeit der Republik vermitteln zu lassen, hielten sich die meisten mehr oder weniger bedeckt. Auch bei Berkhan war das Fall. Er wusste um die Schwierigkeiten, angesichts der Protest- und Friedensaktionen in diesem Zusammenhang zu einvernehmlichen Lösungen mit den verschiedenen Kultusbehörden der Länder zu kommen. Daher hat er dieses Ziel wohl nur halbherzig verfolgt.
In der Bundeswehr hat das Problem der Tradition eine kontroverse Rolle gespielt. Berkhan und seinesgleichen war klar, dass die Wehrmacht hierfür nicht in Betracht kam. Vielmehr sollte versucht werden, aus der Geschichte der Bundeswehr und der NATO Beispiele herauszugreifen, die mit den Werten einer freiheitlichen Demokratie im Einklang standen. Nach allem, was der sozialdemokratische Parlamentarier für diesen Staat beispielhaft geleistet hat, fragt sich, ob die Führung der Bundeswehr nicht gut beraten wäre, eine der Kasernen nach ihm zu benennen. Er hätte es verdient. Zudem wäre es ein überzeugender Beitrag zur sinnvollen Traditionsbildung. Vogel hat hierfür stichhaltige Argumente geliefert. Hans-Adolf Jacobsen
Winfried Vogel
Karl Wilhelm Berkhan.
Ein Pionier deutscher Sicherheitspolitik nach 1945.
Mit einem Vorwort von Helmut Schmidt.
Edition Temmen, Bremen 2003; 267 S., 15,90 Euro