Wenn jetzt am 6. Juni auch noch der Ministerrat zustimmt, dann wäre die neue Richtlinie ein Meilenstein der Gleichstellung von Frau und Mann, jubelte die SPE-Abgeordnete Christa Prets aus Österreich, nachdem ihr Bericht zu einer neuen EU-Richtlinie zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen geführt hat. Ihre deutsche Kollegin Angelika Niebler (EVP) dagegen kritisierte, hinter dem vermeintlichen Fortschritt verberge sich ein Mehr an Bürokratie und Kostentreiberei, aber nicht mehr Gerechtigkeit.
Was steckt hinter dieser so unterschiedlichen Beurteilung? Bei ihren Kalkulationen gehen Versicherungsgesellschaften von spezifischen Risikofaktoren einzelner Bevölkerungsgruppen aus. Das betrifft meist Frauen, weil diese eine längere Lebenserwartung als Männer haben und voraussichtlich im Alter ebenso wie durch Schwangerschaften höhere Kosten verursachen. Bis zu 50 Prozent höhere Versicherungsprämien sind die Folge. Das Gegenteil ist bei Auto-Versicherungen der Fall. Statistisch gesehen verursachen Frauen weniger Unfälle als Männer. Junge männliche Anfänger werden als besonderes Risiko extrem hoch eingestuft. Diese Praxis soll sich nun in wenigen Jahren ändern.
Der Richtlinienvorschlag bezieht sich neben dem Schwerpunkt Versicherungssektor auch auf private Rentenversicherungen, die medizinische Versorgung, Gesundheitsdienste und andere Bereiche. Allerdings werden zum Ärger vieler Abgeordneter Themen wie der Inhalt von Medien und Werbung, Bildung und Entscheidungsprozesse ausgeklammert. Hier soll die Kommission aber weitere Vorschläge machen, damit die nackten Busen aus den Boulevardblättern verschwinden.
Ausdrücklich erklärt das Europäische Parlament die Differenzierung bei Prämien und Leistungen auf der Grundlage des Geschlechts, einschließlich der Risiken der Schwangerschaft, zur Diskriminierung. Angesichts der niedrigen Geburtenraten in Europa ist in der Tat nachvollziehbar, dass Frauen durch die Geburt von Kindern, von denen bei der Erbringung der Rente auch die Männer später profitieren, benachteiligt werden. Wenn schon differenziert werde, dann sollten die Krankenversicherungen unterschiedliche Tarife bei Rauchern oder Menschen mit größerem Alkoholgenuss oder Berufsstress berechnen.
Womit müssen die Versicherten bei Ausklammerung der Geschlechterperspektive rechnen? So würden es bei den Autoversicherungen höhere Prämien für junge weibliche Fahrer und niedrigere Preise für junge männliche Fahrzeuglenker kommen.
Natürlich hat die Versicherungswirtschaft der Diskussion nicht tatenlos zugesehen. Der Industrieausschuss berichtete, dass die Interessenvertreter massiv auf Auswirkungen außerhalb ihres Bereiches hingewiesen haben. Beispielsweise auf die zahlreichen Verkaufsförderaktionen, die durch das geplante Gesetz gefährdet werden. So die verbreitete Praxis, dass Bars, Clubs und Restaurants für Frauen zuweilen freien Eintritt oder niedrigere Preise für Getränke anbieten, um ein ausgewogenes Verhältnis von Männern und Frauen zu fördern. Partnervermittlungsagenturen bieten je nach Unterrepräsentierung billigere Tarife für das eine oder das andere Geschlecht. Solche Aktionen sind aber gar nicht betroffen.
H. H.