Es war ein wenig frühlingshafter, ein ganz unitalienischer Tag, jener 25. März 1957. Dauerregen prasselte auf die Ewige Stadt nieder, doch konnte er die glanzvolle Inszenierung zur Unterzeichnung der "Römischen Verträge" kaum trüben. Der monumentale Treppenaufgang zum Kapitolshügel war mit farbenfroher Blumenpracht geschmückt, die Palazzi beiderseits des Reiterstandbildes von Marc Aurel mit kostbaren Gobelins dekoriert. Als die Delegationen der sechs Unterzeichnerstaaten den repräsentativen Saal im Konservatorenpalast betreten hatten, begann die feierliche Zeremonie.
Die sechs Staaten waren Belgien (vertreten durch Außenminister Paul-Henri Spaak), die Bundesrepublik Deutschland (vertreten durch Bundeskanzler Konrad Adenauer und Staatssekretär Walter Hallstein), Frankreich (vertreten durch Außenminister Christian Pineau und Staatssekretär Maurice Faure), Italien (vertreten durch Ministerpräsident Antonio Segni und Außenminister Gaetano Martino), Luxemburg (vertreten durch Außenminister Joseph Bech) und die Niederlande (vertreten durch Außenminister Joseph Luns). Fast alle genannten Politiker haben in der Folgezeit im Rahmen der europäischen Einigung oder innerhalb des NATO-Bündnisses noch eine bedeutende Rolle gespielt.
Hier in Rom würdigten sie unisono, dass die Europäer mit dem Zusammenschluss die Lehren aus der Geschichte gezogen hätten. Auch Bundeskanzler Adenauer ergriff das Wort, würdigte die wegweisende Rolle von Robert Schuman und beschwor den einzigartigen genius loci. Nach einer knappen Stunde war das Zeremoniell beendet, und der belgische Außenminister Henri Spaak gab seiner Freude Ausdruck: "Wenn wir das begonnene Werk fortsetzen, wird der Tag des 25. März 1957 einer der bedeutendsten in der Geschichte Europas sein."
Bald 50 Jahre sind seitdem vergangen, und das Werk ist in einer Weise fortgesetzt worden, wie es die "Väter" der europäischen Einigung nicht zu träumen wagten. Seit wenigen Wochen umfasst die Europäische Union mit jetzt 25 Staaten auch solche Länder, die sich während des Kalten Krieges feindselig in West und Ost gegenüber standen.
Wie sich dieser keineswegs lineare Prozess vollzog, zeichnet Franz Knipping, Professor an der Bergischen Universität Wuppertal, in seiner Gesamtdarstellung der Einigung Europas detailliert und souverän nach. Erschienen in der inzwischen gut etablierten Reihe "20 Tage im 20. Jahrhundert", komplettiert diese Studie eine inzwischen kaum mehr überschaubare Fülle an Publikationen zur europäischen Integration.
Knipping wählt einen an der Chronologie der Ereignisse ausgerichteten Zugang und verfährt weitgehend narrativ. Das mag nicht besonders innovativ sein, erweist sich aber im Verlauf der Lektüre als zuverlässige Informationsbasis für das vielschichtige Geschehen der wirtschaftlichen und politischen Integration, das der Autor in sieben Kapiteln entlang der wesentlichen Etappen präsentiert. Das Grauen des zerstörerischen Zweiten Weltkriegs und der Furor des Nationalismus gilt auch Knipping als "Vater der Tat", doch er unterschlägt nicht, dass bereits die Nationalsozialisten die Europaidee für sich zu instrumentalisieren suchten.
Vom Schuman-Plan der Gründerzeit über die Montanunion und die Römischen Verträge schlägt er einen weiten Bogen, der über die Errichtung des Gemeinsamen Marktes und die Verfassungskrise von 1965/66 bis zum britischen Beitrittsgesuch, der ersten Erweiterungsrunde und der Direktwahl des Parlamentes 1979 führt. Für die Folgejahre auf dem Weg zur EU und zum Maastrichter Vertrag stellt Knipping nicht nur die Bedeutung des deutsch-französischen Motors heraus, sondern betont auch die zentrale Rolle bedeutender Persönlichkeiten wie Delors oder Kohl beim Voranschreiten der Integrationsbemühungen.
Eine naive Erfolgsgeschichte präsentiert der Autor dabei keineswegs. Im Gegenteil, eine Stärke seiner Darstellung liegt darin, dass sie Rückschläge, Krisen und Kompromisse in Institutionenstruktur und bei der Möglichkeit demokratischer Teilhabe deutlich benennt. So ziehen sich die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen zwischen supranationalen und intergouvernementalen Ansätzen wie ein roter Faden durch das Buch - bis hin zu den nach wie vor dürftigen Ansätzen einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Dennoch, der erreichte Grad an wirtschaftlicher und poliischer Kooperation dürfte die Gründerväter in ungläubiges Staunen versetzen, auch wenn die erweiterte Union mit gemeinsamer Währung vor völlig neuartigen Herausforderungen steht und dringend eine Verfassung benötigt.
Mit oft überraschenden Hintergrundinformationen lotst Knipping den Leser auch durch detailreiche Passagen der Darstellung. Zuweilen droht jedoch der gleichmäßig Fluss der Fakten manch zentrale Weichenstellung ein wenig unkonturiert erscheinen zu lassen. Hier wäre eine Zeittafel im Anhang samt Karte zur Orientierung hilfreich gewesen. Insgesamt aber liegt eine informative und gelungene Synthese der Geschichte der europäischen Integration vor, die als kompakte wissenschaftliche Gesamtdarstellung uneingeschränkt zu empfehlen ist.
Franz Knipping
Rom, 25. März 1957. Die Einigung Europas.
Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 2004;
365 S.; 15,- Euro