Das Parlament: Wenige Wochen vor der Wahl zum Europäischen Parlament ist Europa in aller Munde, aber nicht so, wie Sie es sich wünschen. Was ist dran an der Medienschelte gegen die Abzockerei der Abgeordneten?
Theato: Ich lehne es ab, mich gegen diese Angriffe zu verteidigen, weil ich die Beschuldigungen nicht akzeptiere. Was hier passiert, ist zutiefst unseriös und diffamierend. Es muss auch im Journalismus Grenzen geben.
Gewisse Medien dürfen sich nicht einfach haltlose Behauptungen zu eigen machen. Sie machen es sich zu einfach, wenn sie sich formal auf ihre Quellen und Informanten berufen und vorgeben, nur über die Äußerungen Dritter zu berichten.
Das Parlament: Gibt es für Sie also keinen Grund, an der Abrechnungspraxis des Parlaments etwas zu ändern?
Theato: Doch, natürlich. Auch bei uns liegt einiges im Argen. Es ist doch vollkommen klar, dass unsere Verwaltung reformbedürftig ist. Und es liegt auch auf der Hand, dass wir endlich ein Abgeordnetenstatut brauchen, das klare Verhältnisse bei Gehältern und Kostenabrechnungen schafft. Kritik von außen ist immer willkommen, weil sie helfen kann, die Dinge zu verbessern. Aber was hier abläuft, ist destruktiv. Pauschale Beschuldigungen sind ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die sich Europa verpflichtet fühlen und für diese Überzeugung hart arbeiten. Genau diejenigen Medien, die voriges Jahr Front gegen das Abgeordnetenstatut gemacht haben, beklagen sich nun scheinheilig über angebliche Missstände, die das Statut wenigstens zum Teil beseitigt hätte. Das kann man doch nicht mehr ernst nehmen. Hier wird einfach nur Stimmung gegen Europa gemacht, um Auflagezahlen und Einschaltquoten zu verbessern.
Das Parlament: Fällt die Medienschelte nicht deshalb auf fruchtbaren Boden, weil sie ein tiefsitzendes und wachsendes Unbehagen über die EU bedient?
Theato: Damit haben Sie teilweise Recht. Früher war Europa etwas Hehres, die Überwindung der Spaltung auf unserem Kontinent, an dem keine Kritik geübt werden durfte. Heute wird darauf mit dem Finger gezeigt, obwohl oder vielleicht gerade, weil wir so viel erreicht haben. Für viele Menschen ist der Erfolg der europäischen Integration inzwischen eine Selbstverständlichkeit, die sie nicht mehr wahrnehmen. Deshalb fällt es der Boulevardpresse so leicht, Funken aus jedem angeblichen Skandal in Brüssel oder Straßburg zu schlagen.
Das Parlament: Trägt die Politik an der Grundstimmung eine Mitschuld?
Theato: Was mir Sorge bereitet, das ist die reflexhafte Abwehr von allem, was aus Europa kommt. Manche Regionalpolitiker sind darin ganz groß. Sie arbeiten damit gewollt oder ungewollt den Zündlern in die Hände. Wir müssen die Menschen wieder davon überzeugen, dass Europa eine mühsam erarbeitete Erfolgsgeschichte ist und eben keine Selbstverständlichkeit. Und wir müssen den Bürgern beibringen, dass der vielgescholtene EU-Zentralismus eine Mär ist. Dieses Europa ist kein Staat, der sich in alles einmischt. Es ist ein freiwilliger Zusammenschluss selbständiger Staaten, die sich für die enge Zusammenarbeit entschieden haben. Der Erfolg zeigt sich an der Erweiterung. Jeder will rein, aber keiner möchte den Club verlassen.
Das Parlament: Wer die Debatten des Europäischen Parlaments verfolgt, kann über manche Themen mitunter nur den Kopf schütteln und sich fragen, warum er zur Wahl gehen soll. Warum konzentriert sich das Plenum nicht auf das, was wirklich wichtig ist?
Theato: Das Parlament hat sich in vielen Fragen zu einem gleichberechtigten Partner der EU-Regierungen in der Gesetzgebung emanzipiert. Vieles von dem, was in Deutschland Gesetz wird, ist hier bei uns entstanden. Das bedeutet auch, dass wir uns mit mitunter sehr technischen Regelungen befassen, denen Außenstehende keinen Reiz abgewinnen können.
Das Parlament: Gibt es nicht auch die Gefahr der Verzettelung ?
Theato: Ja. Statt Richtungen vorzugeben, bedienen manche Abgeordnete lieber ihr Steckenpferd. Doch das gibt es auch im Bundestag. Wichtiger erscheint mir etwas anderes: Die Mitentscheidung hat einen Pferdefuß. Wenn sich die Regierungen querstellen und unsere Forderungen nicht akzeptieren wollen, können wir am Ende nur ablehnen und ein Gesetzesvorhaben zu Fall bringen. Wir können es aber nicht neu gestalten.
Das Parlament: Warum ist es so schwierig, eine sorgsame Verwendung des EU-Haushalts zu garantieren?
Theato: Weil EU-Gelder in den Mitgliedstaaten oft noch immer als anonymes Geld betrachtet werden. Deshalb sind die nationalen Verwaltungen und Gerichte nicht selten nachlässiger als bei der Kontrolle nationaler Steuergelder. Hier mangelt es an einem Zugehörigkeitsgefühl zu Europa und an dem Bewusstsein, dass auch die eigenen Steuerzahler zum EU-Haushalt beitragen.
Das Parlament: Muss der Haushaltskontrollausschuss dann nicht viel mehr auf die EU-Länder achten?
Theato: Beides muss Hand in Hand gehen. Der EU-Haushalt ist eben weitgehend ein Subventionshaushalt, und in das Management der Gelder sind viele Ebenen eingeschaltet. Ich kann nur immer wieder wiederholen, dass mehr als 80 Prozent des Budgets von den Mitgliedstaaten verwaltet werden und wir die EU-Länder deshalb stärker in die Verantwortung nehmen müssen.
Das Parlament: Wie steht es um die Finanzierungsseite der EU? Braucht die Gemeinschaft eine eigene Steuer?
Theato: Dieser Begriff ist ein rotes Tuch, das man sich besser nicht umbindet. Aber richtig ist: heute durchschaut kein normaler Mensch das gültige System mit seiner Mischfinanzierung aus Zöllen, Abgaben, Mehrwertsteuer und nationalen Beiträgen. Eine eigene Finanzierungsquelle für die Gemeinschaft ist überfällig - natürlich unter der Voraussetzung, dass die Belastung für die EU-Bürger insgesamt nicht steigt. Dann würde deutlich, wie wenig Europa wirklich kostet.
Das Parlament: Warum hat das Parlament nicht schärfer auf die Eurostat-Affäre reagiert?
Theato: Was hätte das in diesem Fall gebracht? Die Verweigerung der Entlastung ist das härteste Instrument, das wir haben, und damit müssen wir entsprechend zurückhaltend umgehen. Es war ja nicht so, dass die ganze Kommission versagt hätte. Wir brauchen praktikable Zwischenlösungen, zum Beispiel die Entbindung einzelner Kommissare von ihren Aufgaben.
Die Zusage von Kommissionspräsident Prodi, Kommissare bei Fehlverhalten nach Hause zu schicken, hilft nicht weiter. Das würde schon am Widerstand der heimischen Regierungen scheitern.
Das Parlament: Wie beurteilen sie die Arbeit von EU-Haushaltskommissarin Michaele Schreyer?
Theato: Frau Schreyer hat eine fast unmögliche Aufgabe. Ihre Zuständigkeiten sind zu weit gespannt und deshalb sind Interessenskonflikte programmiert. Als Haushaltskommissarin muss sie erklären, dass die Kommission die Dinge immer besser in den Griff bekommt. In ihrer Zuständigkeit für die Betrugsbekämpfung muss sie andererseits melden, dass die Zahl der gemeldeten Betrügereien und Unregelmäßigkeiten ansteigt. Sie trägt zwei Hüte, die nicht zueinander passen. Der kommende Kommissionspräsident muss die Zuständigkeiten für Haushalt und Haushaltskontrolle dringend wieder voneinander trennen. Die Kontrolle gehört in das Aufgabenfeld des Präsidenten.
Das Interview führte Hajo Friedrich.