Seit Gründung der Universitäten ist Internationalisierung einer ihrer Wesenszüge. Der offene und freie Austausch von Ideen, die Mobilität von Studenten und Professoren wurden immer als wichtige Beiträge zur Entwicklung der universitären Schlüsselaktivitäten betrachtet: Lehre, Forschung und der Dienst an der Gesellschaft. Sie stellten immer ein Mittel dar, um die Erfahrungen der Studenten zu bereichern und Weltbürger zu erziehen.
In der Vergangenheit war die Internationalisierung der Hochschulbildung eher ein schrittweiser Prozess. Er ging stärker von Akteuren aus dem akademischen Bereich aus als von äußeren Einflüssen. Dies ändert sich nun. Die Globalisierung und die Entstehung eines weltweiten Marktes für Hochschulbildung haben die Internationalisierung beschleunigt und ihren Charakter verändert. Grenzüberschreitende Aktivitäten nehmen aufgrund verschiedener Faktoren zu, etwa die Entwicklung neuer Informationstechnologien, Reiseerleichterungen und geringere Reisekosten, eine weltweit wachsende Nachfrage nach Hochschulbildung und die Unfähigkeit mancher Regierungen, den Hochschulsektor ausreichend zu finanzieren. Diese Faktoren haben bewirkt, dass führende Institutionen grenzüberschreitende kommerzielle Aktivitäten entwickelt haben.
Die um sich greifende Ideologie des Marktes und der zunehmende Wettbewerb in der Hochschulbildung haben zu positiven Veränderungen geführt: So haben sich die Universitäten effizienter organisiert, sie kontrollieren die Aktivitäten ihrer Einrichtungen und legen der Öffentlichkeit Rechenschaft über ihr Tun ab. Zugleich haben diese Veränderungen jedoch die Tendenz zur Kommerzialisierung universitärer Bildungsangebote verstärkt - mit ungewollten Folgen, wie viele Wissenschaftler, Beobachter und akademische sowie politische Repräsentanten inzwischen festgestellt haben.
So haben manche Regierungen in der so genannten Doha-Liberalisierungsrunde Handelsvereinbarungen geschlossen, die in einigen Fällen auch die Hochschulbildung einbeziehen. Die Doha-Runde bezeichnet laufende Verhandlungen im Rahmen des "Übereinkommens über den Handel mit Dienstleistungen" ("General Agreement on Trade in Services", GATS); GATS trat 1995 in Form eines Paketes multilateral verbindlicher Regelungen für den internationalen Handel in Kraft, die eine fortschreitende Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen, den offenen Zugang zu nationalen Märkten sowie den Wettbewerb unter Dienstleistungsanbietern fördern sollten.
Bisher war der Bildungssektor nicht Gegenstand von entscheidenden Verhandlungen, aber in der Doha-Runde gab es mehrere Anträge zum Thema Hochschulbildung. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Bemühungen zur Überwindung von Handelsbarrieren dem Allgemeinwohl dienen, indem sie die Wahrscheinlichkeit wirtschaftlicher Konflikte verringern und eine gerechtere Verteilung der Ressourcen zwischen den Staaten versprechen. In Sachen Hochschulbildung wirft das GATS-Abkommen jedoch die Frage auf, in welchem Ausmaß es wünschenswert ist, den Sektor als handelbare Dienstleistung zu betrachten, und welche Gefahren diese Entwicklung mit sich bringt.
Der vorliegende Aufsatz erörtert, welche Auswirkungen es hat, Hochschulbildung und Forschung als kommerzielle Aktivitäten zu betrachten. Die weitere Einbeziehung der akademischen Bildung in das GATS-Abkommen könnte - so die These - unbeabsichtigte negative Folgen haben und das Vertrauen der Öffentlichkeit in wissenschaftliche Forschung und Bildung beschädigen.
Es mag ein politisch sinnvolles Ziel sein, dass breite Schichten der Bevölkerung die Hochschule besuchen. Die Entstehung von Massen-Universitäten hat jedoch die zunehmende Kommerzialisierung der akademischen Bildung befördert; denn einige Regierungen waren nicht darauf vorbereitet, die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. In Großbritannien beispielsweise stieg die Zahl der Schulabgänger, die an Hochschulen wechselten, von 12,4 Prozent im Jahr 1979 auf 45 Prozent im Jahr 2003. Dazu schrieb die Wirtschaftszeitschrift "The Economist": "Die 'Finanzierungslücke' - der Abgrund, der sich in den Haushalten der Hochschulen infolge dieser nicht finanzierten Expansion der vergangenen 20 Jahre aufgetan hat - liegt bei rund 10 Milliarden Pfund." 1
Hinzu kommt, dass der Anstieg der Studierendenzahlen in der Regel mit einer steigenden Zahl ganz unterschiedlicher Interessenvertreter einhergeht. Diese Veränderungen erhöhen den Druck auf den Hochschulbereich und verwischen die Grenzen zum wirtschaftlichen und politischen Sektor.
Dies hat die Notwendigkeit für die universitären Einrichtungen verstärkt, ihre Einnahmebasis zu verbreitern - etwa durch die Einführung von Studiengebühren, eine stärkere Betonung der berufsbezogenen Bildung sowie die Vermarktung von "Wissens-Produkten". Akteure aus der Wirtschaft greifen tief in die Strukturen der Universitäten ein, indem sie Studienabgänger mit spezialisierten Fähigkeiten fordern; in manchen Fällen verwerfen sie sogar den Begriff der "Bildung" und definieren die "raison d'être" der Universitäten im Sinne von Nutzen für den Arbeitsmarkt und den allgemeinen Wohlstand. Damit steht das Überleben akademischer Disziplinen auf dem Spiel, die keine großen Studentenmassen anzulocken vermögen. Man muss wohl nicht erwähnen, dass der Markt eine positive Kraft sein kann; aber dies gilt nur dann, wenn die Beziehung zwischen Hochschulen und Wirtschaft präzise definiert und eingegrenzt ist.
Politisch betrachtet, hat das Verschwimmen der Grenzen zwischen Staat und Hochschulwesen in einigen Fällen de facto zu einem Rückgang der institutionellen Autonomie geführt; dafür ist eine Reihe von regulierenden Instrumenten verantwortlich. Großbritannien ist ein typisches Beispiel: "Universitäten sind von einem Zustand fast völliger Autonomie ... zu Zweigstellen eines Ministeriums der Regierung geworden", berichtet der "Economist". 2 In anderen Fällen setzen politische Akteure auf Marktkräfte und Wettbewerb statt auf Regulierung, um den Hochschulsektor zu restrukturieren.
Kooperation, Austausch und Wechselwirkung mit der Umwelt waren in der Vergangenheit die Eckpfeiler akademischer Bildung in der ganzen Welt. Noch bis voreinigen Jahren beruhte wissenschaftlicher Fortschritt auf offenen und rasch zugänglichen Forschungsergebnissen. Studentenaustausch und gemeinsame Kursangebote führten zu innovativer Lehre und Effizienz. Heute sind Forschungsstipendien der Industrie zuweilen mit einer Veröffentlichungssperre für Forschungsergebnisse verbunden, und Institutionen konkurrieren angesichts rückläufiger öffentlicher Mittel um Studenten und Ressourcen.
Wettbewerb ist also inzwischen unvermeidlich und kann Effizienz und strategisches Denken befördern; gleichwohl gilt es, die richtige Balance zwischen Konkurrenz und Zusammenarbeit zu finden - innerhalb der Hochschulbildung und gegenüber der Industrie. John Immerwahr hat zutreffend beobachtet, dass der Trend, auf Wettbewerb und Markt als regulierende Kräfte zu setzen, zu einer Reihe von Unsicherheiten hinsichtlich der jeweiligen Rolle und der Bedeutung von Staat und Institutionen für die Hochschulbildung geführt hat.
Seine internationale Studie - basierend auf Untersuchungen vor Ort und Gesprächen mit führenden Persönlichkeiten von Bildungseinrichtungen und Politik - ließen ihn folgende Warnung formulieren: "... es ist offensichtlich geworden, dass das gegenseitige Verständnis bzw. der Pakt zwischen Hochschulwesen und Öffentlichkeit durch zunehmende Konkurrenz obsolet geworden ist. Indem sich Hochschulen mehr und mehr auf den Wettbewerb um Studenten, Finanzmittel und Prestige konzentrierten, wurde die unausgesprochene, aber starke gegenseitige Verpflichtung ausgehöhlt, die bis heute sichergestellt hat, dass Hochschulbildung im Dienste der Öffentlichkeit steht, die sie unterstützt." 3
Das Entstehen der "Wissens-Ökonomie" war ein weiterer Faktor, der zur Kommerzialisierung des Hochschulwesens beigetragen hat. Viele Regierungen betrachteten das "Silicon Valley" als wirtschaftliches Modell, ohne das komplexe Zusammenspiel von Faktoren zu verstehen, das zu dieser Erfolgsgeschichte beigetragen hat. Vereinfacht gesagt: Manche Regierungen haben die Existenz einer Universität als zentralen Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region betrachtet und in dieser Hinsicht Druck auf ihre eigenen Hochschulen ausgeübt.
Die Forderung nach einer wirtschaftlichen Rolle von Universitäten muss in Europa lauter werden, betrachtet man die aktuellen Ziele, die bei den Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) in Lissabon 2000 und in Barcelona 2002 formuliert wurden, um die Union als "wichtigste Wissens-Ökonomie der Welt" zu positionieren - ein Ziel, das bis 2010 erreicht werden soll. In diesem Kontext besteht die Herausforderung darin, genauer zu definieren, was "Wissen" in der Wissens-Ökonomie eigentlich ausmacht und wer dies definieren sollte. Sollte es durch den Markt definiert werden? Durch die Wissens-Arbeiter? Durch die Universität?
Der Markt erkennt jedenfalls nur solches Wissen an, das ver- und gekauft werden kann. Reicht dies aus, um die Nachhaltigkeit der Wissens-Ökonomie sicherzustellen? Wie sieht das optimale Gleichgewicht zwischen "ins Blaue hinein forschen" und anwendungsbezogener Forschung aus? Und ist diese Unterscheidung in einer post-industriellen Welt noch relevant?
Was sind darüber hinaus die Folgen, wenn statt von einer "Wissens-Gesellschaft" von einer "Wissens-Ökonomie" die Rede ist? In dieser Hinsicht können Erfahrungen aus den USA auch für Europa interessant sein. In einem kürzlich erschienenen Buch beschreibt Derek Bok, über 20 Jahre Präsident der Harvard-Universität, die Zunahme kommerzieller Aktivitäten von Institutionen, die bis dahin dem Dienst an der Öffentlichkeit verpflichtet waren. 4 Er zeigt, wie solche Aktivitäten akademische Werte untergraben. Besonders beunruhigend sei diese Entwicklung in den Naturwissenschaften; unternehmensfinanzierte Forschung bedrohe den freien Austausch wissenschaftlicher Ergebnisse und stürze Wissenschaftler in Interessenkonflikte. Bok bezieht sich in seiner Studie auch auf eine Untersuchung zu den Auswirkungen von medizinischen Bildungsprogrammen, die von der Industrie finanziert wurden; diese zeigt, dass Ärzte, die an solchen Programmen teilgenommen haben, "dazu neigen, die Produkte des jeweiligen Unternehmens öfter zu verschreiben" 5 . Eine Tendenz, welche die Investitionen der Industrie in Millionenhöhe aus ihrer Sicht sicher rechtfertigt.
Wissenschaftliche Forschung hat das Vertrauen der Öffentlichkeit genossen, solange sie ihre Objektivität effektiv unter Beweis stellen konnte. Die Kommerzialisierung wissenschaftlicher Arbeit könnte diese Wahrnehmung unterminieren: Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft steht auf dem Spiel; einmal verloren, dürfte es nur schwer zurückzugewinnen sein.
Bis in die jüngste Vergangenheit waren die wichtigsten Funktionen der Universität, die Schaffung und die Verbreitung von Wissen, durch den physischen Raum - die Hörsäle und Labore - sowie die doppelte Verantwortung der auf Lebenszeit angestellten Professoren geprägt, die einerseits selbst forschten und andererseits ihre Studenten von Angesicht zu Angesicht unterrichteten. Die neuen Informationstechnologien haben dazu geführt, dass diese Funktionen zerfallen sind.
So bietet die University of Phoenix (einer der erfolgreichsten kommerziellen Anbieter) Kurse rund um die Welt an - via Internet. Die Mitglieder des Lehrkörpers haben keine Anstellung auf Lebenszeit und forschen nicht selbst; Zuschnitt und Entwicklung der Seminare liegen nicht in der Verantwortung derer, die sie abhalten.
Herkömmliche Universitäten, also nichtvirtuelle Einrichtungen, haben - gemeinsam oder für sich - Fernstudiengänge (zum Teil kommerzieller Art) entwickelt, um die Nachfrage auch in entlegenen Gegenden abzudecken; diese Angebote sind insbesondere für die Regionen gedacht, in denen die jeweilige Regierung angesichts knapper Haushalte nicht in der Lage ist, eigene, nationale Kapazitäten aufzubauen.
Zusammen mit der schwierigen Finanzlage hat die Entwicklung neuer Technologien die Zahl der "wissenschaftlichen Nomaden" ("gypsy-scholars") ansteigen lassen: jene Hochschullehrer ohne feste Anstellung, die - je nach Nachfrage - mal hier, mal da dozieren und am Rande der akademischen Gemeinschaft verharren, frustriert angesichts ihrer unsicheren finanziellen Situation, werden sie doch pro Seminar bezahlt, von ihresgleichen nicht anerkannt, ohne die Möglichkeit zur Forschung, letztendlich entrechtet und wahrscheinlich kaum motiviert.
Zudem hat die Umgestaltung akademischer Arbeit zu einem wachsenden Heer von "post-docs" geführt, promovierte Hochschulabsolventen mit unsicherer Zukunft und einem ewig verspäteten Start in die akademische Karriere, sowie zu einer steigenden Zahl von Verwaltungsangestellten. Das Humboldt'sche Modell des Professors, der unterrichtet, forscht und die Universität verwaltet, fällt in sich zusammen.
Vor diesem Besorgnis erregenden Hintergrund ist die Debatte um GATS zu sehen: Soll akademische Bildung als handelbare Dienstleistung verstanden werden oder ist Hochschulbildung - wofür viele eintreten - etwas Besonderes? Angesichts der oben beschriebenen Situation ließe sich argumentieren, dass Hochschulbildung ihren Sonderstatus - sprich: ihre öffentlich-rechtliche Dimension - bereits verloren hat und darum in das GATS-Abkommen einbezogen werden sollte. Andere, darunter auch die Autorin, behaupten genau das Gegenteil und treten dafür ein, die Welle der Kommerzialisierung zu stoppen, damit die öffentlich-rechtliche Dimension der Hochschulbildung und die Grundsätze wissenschaftlicher Forschung nicht noch weiter unterwandert werden.
Der rechtliche Rahmen und der Prozess von GATS lassen sich an dieser Stelle nicht erschöpfend behandeln. Der Beitrag befasst sich daher mit zwei zentralen Aspekten des Abkommens: dem uneindeutigen Charakter des Übereinkommens und des Verhandlungsprozesses sowie der Frage nach den möglichen Auswirkungen von GATS auf die Hochschulbildung.
Nach Artikel 1.3 des Abkommens sind "jegliche Dienstleistungen" von GATS ausgenommen, die "in Ausübung staatlicher Hoheitsrechte bereitgestellt werden", sofern sie so definiert sind, dass sie "weder auf kommerzieller Basis, noch im Wettbewerb mit einem oder mehren Dienstleistungsanbietern" angeboten werden. Über die Auslegung von Artikel 1.3 wird noch zu diskutieren sein, insbesondere im Hinblick auf die Zwitterstellung vieler Bereiche und Institutionen der Hochschulbildung. Solange Artikel 1.3 nicht in der Praxis erprobt wird, lassen sich seine Folgen für die öffentliche Förderung von Studenten und Einrichtungen nur schwer abschätzen.
GATS ermöglicht asymmetrische Verhandlungen. Dies bedeutet, dass Land A Zugang zum Hochschulmarkt von Land B beantragen kann, während Land B Zugang zu Land A für eine andere Art von Dienstleistung ersuchen kann. Dieses Prinzip der Asymmetrie vermag Hochschulbildung gegen andere, vielleicht lukrativere Sektoren in die Waagschale zu werfen. Das erklärt möglicherweise auch, warum die EU in der Uruguay-Liberalisierungsrunde von 1995 zustimmte, den europäischen Hochschulsektor für ausländische Anbieter zu öffnen, ohne auf Gegenseitigkeit zu dringen. Ein vonder EU im Jahr 2002 eingebrachter Vorschlag zielt auf die Öffnung des US-amerikanischen Marktes, um das Gleichgewicht wiederherzustellen und die europäische Verhandlungsposition zu verbessern.
Die Uneindeutigkeit des GATS-Rahmens und die Asymmetrie in den Verhandlungen werden von den Handelsbeauftragten als wichtige Aktivposten betrachtet. Erstere bietet eine Flexibilität, die als nützlich betrachtetet wird, Letztere gibt den Verhandlern Ellenbogenfreiheit. Obgleich diese Sichtweisen nachvollziehbar sind, wecken sie innerhalb des Hochschulsektors Befürchtungen, dass die Verhandler die öffentlich-rechtliche Dimension der Hochschulbildung nicht berücksichtigen oder vielleicht sogar schädigen könnten.
Bei Treffen zwischen Vertretern der internationalen Hochschulgemeinde sowie Mitarbeitern der Welthandelsorganisation (WTO) und des Handels wurden diese nach den positiven und negativen Auswirkungen einer weiteren Einbeziehung akademischer Bildung in den GATS-Rahmen gefragt. Die Antworten blieben bisher eher vage: Keiner weiß, wie das Ergebnis aussehen wird. Im Folgenden sollen die möglichen Konsequenzen einer weiteren Einbeziehung der Hochschulbildung in das GATS-Abkommen für die nationalen Hochschulsysteme und die einzelnen Institutionen betrachtet werden.
Potenzielles Risiko für staatliche Hoheitsrechte: Die GATS-Verhandlungen werden von Handelsbeauftragten geführt - auch dann, wenn es um Hochschulbildung geht. In Europa fallen diese Verhandlungen in die Zuständigkeit der "Generaldirektion für Handel" der Europäischen Kommission. Dieser Umstand birgt die Gefahr, dass das Prinzip der Subsidiarität, das für die Hochschulbildung gilt, unterwandert wird - was den Sektor in eine schwierige Lage bringen würde: Er unterläge damit zwei Oberhoheiten und zwei Ordnungen - den Regelungen des nationalen öffentlichen Sektors und den europäischen Handelsrichtlinien. 6
Mögliche Gefahr für die Schaffung eines europäischen Raumes für Hochschulbildung und Forschung: Eine weitere Einbindung der Hochschulbildung in das GATS-Abkommen würde den Prozess der Globalisierung beschleunigen und zu mehr Wettbewerb und Diversifizierung unter den Einrichtungen führen, die sich Marktvorteile sichern wollen. Eine solche Beschleunigung des Globalisierungsprozesses führte zu Spannungen, da sich der europäische Hochschulsektor im Rahmen des so genannten Bologna-Prozesses gerade um eine Harmonisierung der Hochschullandschaft mittels Partnerschaften und Erfahrungsaustausch bemüht.
Potenzielles Risiko für die Hochschulsysteme inEntwicklungsländern oder Transitionsländern inner- und außerhalb Europas: Der Wettbewerb um Anteile am Hochschulmarkt in Entwicklungsländern bedeutet eine spezielle Bedrohung für deren politische und wirtschaftliche Entwicklung (z.B. zunehmende Abwanderung von Wissenschaftlern ins Ausland, der so genannte "braindrain"; weniger Möglichkeiten für staatliche Entwicklung und Demokratie). Zudem gibt es noch keine angemessenen regionalen oder weltweiten Standards zur Qualitätssicherung, so dass eine beschleunigte Globalisierung ohne vernünftige Regulierung unzureichende akademische Standards nach sich ziehen und - durch die Verbreitung fragwürdiger Anbieter - sogar dem Betrug Vorschub leisten könnte. Um solche Risiken zu minimieren, diskutieren die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) derzeit über Richtlinien zum Schutz der "Verbraucher" (hier: Studierenden) und den Aufbau einer Datenbank, in der vertrauenswürdige Qualitätssicherungs- und Akkreditierungs-Agenturen sowie akkreditierte und bewertete Institutionen erfasst werden sollen. Erste Gespräche haben gezeigt, vor welchen Herausforderungen ein solches Projekt steht - allein deshalb, weil zwei Drittel der UNESCO-Mitgliedsstaaten über keine Mechanismen zur Qualitätssicherung verfügen.
Potenzielle Gefahr für die akademischen Schlüsselwerte: Die zunehmende "Vermarktung" von Hochschulbildung kann zu einer Instrumentalisierung von Lehre und Forschung führen; Lernende und Studenten würden nur noch als Konsumenten und nicht mehr als vollwertige Partner der Hochschulgemeinschaft betrachtet. Das Streben nach Marktvorteilen kann dazu führen, dass die zentrale Verpflichtung eines auf die Öffentlichkeit ausgerichteten Sektors ausgehöhlt wird - nämlich den Zugang zu den Einrichtungen zu erleichtern als Mittel der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Integration.
Mögliche Gefahr für die institutionelle Integrität: Entsprechend dem GATS-Abkommen wird Hochschulbildung in den derzeit vorliegenden Vorschlägen nur in Bruchstücken betrachtet, als eine Serie von Prozessen (z.B. lebenslanges Lernen, spezielle Dienstleistungen). Innerhalb einer Institution können demnach einige Bereiche der GATS-Ordnung unterliegen, während andere davon ausgenommen sind; damit bestünde aber das Risiko, dass die erstgenannten Bereiche ausgegliedert werden, um jene nationalen Rechtsstrukturen zu umgehen, die es den Institutionen bisher verwehren, nichtstaatliche Einnahmen anzuhäufen. Auf den Energiesektor ist GATS bisher nicht angewendet worden. Die Liberalisierung hatte in diesem Bereich gleichwohl eine Zersplitterung in spezialisierte Einheiten zur Folge - Erzeugung, Transport, Verbreitung; eine dieser Einheiten gehört weiterhin zum öffentlichen Sektor, die anderen beiden wurden privatisiert. Die nunmehr ungezügelte Konkurrenz brachte eine Reihe von Problemen mit sich (so die "Enron"-Pleite, der Stromausfall in Kalifornien sowie an der Ostküste der USA, der Bankrott von "British Energy"), weil ein vernünftiges Management fehlte und das Vertrauen in die regulierende Kraft des Marktes zu groß war.
Der Hochschulsektor hat die europäischen Bildungsministerien, die "Generaldirektionen für Bildung und Kultur" sowie die "Generaldirektion für Forschung" der Europäischen Kommission, Studentenverbände und andere Nichtregierungsorganisationen gedrängt, einen Dialog mit den Handelsbeauftragten zu etablieren. Auf diese Weise soll der Verhandlungsprozess transparenter werden, und es sollen eine Reihe von Prinzipien bestätigt werden, die es zu erhalten und zu fördern gilt:
Die Unversehrtheit der höheren Bildungsinstitutionen sowie die Notwendigkeit, diese ganzheitlich zu betrachten und nicht als Ansammlung unverbundener Prozesse und Funktionen.
Die Schlüsselrolle von Hochschulen bei der Qualitätssicherung: Hochschulen müssen die Hauptverantwortung für die interne Qualitätssicherung übernehmen. Dies bedeutet, dass ihnen die notwendige Autonomie zugestanden werden muss, um - im Rahmen ihres speziellen Auftrages - Qualitätsstandards zu definieren. Es bedeutet auch, Instrumente und Prozesse zu entwickeln, um eine interne Qualitätskultur aufzubauen. Wenn dies nicht geschieht, werden externe Evaluationsprozesse möglicherweise eher zu Augenwischerei führen als zu echter Qualitätssicherung.
Die zentrale Rolle der Studenten als Partner: Die Hochschulen haben eine große Bedeutung für die wissenschaftliche und soziale Entwicklung der Studenten; hinzu kommt, dass Lernen eine Interaktion zwischen Lehrern und Schülern bedeutet. Daher lassen sich Studenten nicht auf die Rolle der Konsumenten reduzieren, und akademische Bildung kann nicht nur als Mittel zur Erzeugung eines Produkts betrachtet werden.
Zugang ist eine Bedingung für soziale, politische und wirtschaftliche Integration: Der gleichberechtigte Zugang zum Hochschulsektor, der gegenüber der Öffentlichkeit rechenschaftspflichtig ist, stellt ein zentrales Ziel der Demokratieförderung dar.
Eine angemessene Unterscheidung zwischen gemeinwohlorientierten Einrichtungen (öffentlichen wie privaten) und dem kommerziellen Bildungssektor, der sich an wirtschaftlichen Vorgaben orientiert.
Die oben beschriebenen Tendenzen bedeuten eine Bedrohung für den historischen Kerngehalt der Hochschulbildung; dies betrifft insbesondere die Behinderung des freien Austausches von Forschungsergebnissen, die Schwächung des Vertrauens in die Wissenschaft, die Unterwanderung der liberalen Bildungswerte sowie der staatlichen Rolle der Hochschulbildung. Die weitere Einbeziehung der Hochschulbildung in das GATS-Abkommen dürfte diese Entwicklungen verschärfen.
Die neuen Rahmenbedingungen der Hochschulbildung haben die Universitäten erheblich verändert. Michael Gibbons, Peter Scott und andere haben dargelegt, wie die zunehmende Globalisierung zu einer neuen Form der Wissensproduktion und der Organisation von Hochschulen geführt hat. Interdisziplinäre Netzwerke bringen Forscher verschiedener Universitäten mit Kooperationspartnern aus dem sozialen Bereich und der Wirtschaft zusammen (z.B. Unternehmen und Industrie, die Gemeinde etc.). Diese Netzwerke verändern die Strukturen einer Institution in signifikanter Weise. Die Universität ist nicht länger ein Elfenbeinturm mit fest umrissenen Mauern, sondern eine Einrichtung, deren Grenzen durchlässig werden und deren Gestalt sich im Laufe der Zeit und in dem Maße verändert, wie sich alte Netzwerke auflösen und neue entstehen.
Die hier beschriebenen Herausforderungen erfordern es, den Universitäten die notwendige Autonomie einzuräumen, um die strategische Steuerung selbst in die Hand zu nehmen und ihren Auftrag im Bereich der wissenschaftlichen Forschung und Bildung sowie im Dienste der Gesellschaft zu erneuern. Politische und wirtschaftliche Akteure fordern, dass Universitäten stärker wie Unternehmen geführt werden sollten. Angesichts der Bedürfnisse der neuen Wissens-Ökonomie sollte jedoch darüber nachgedacht werden, ob Unternehmen nicht eher wie eine Hochschule geführt werden müssten. Universitäten besaßen bisher eine Organisationskultur, die auf einem bestimmten Auftrag beruht sowie der Anforderung, außerordentlich begabte Facharbeiter zu führen. Dies bedeutete eine relativ flache Hierarchie, eine Führung, die mehr auf Überzeugungskraft und Autorität setzte als auf Macht, sowie dieFähigkeit, individuellen Initiativen Raum zu geben.
Die komplexe Struktur der Universitäten, ihre Funktionen sowie die Rolle, die sie in der neuen Wissensgesellschaft spielen sollen, machen es notwendig, sie zu stärken; nur so lässt sich sicherstellen, dass sich ihre Aktivitäten mit ihrem Auftrag und den akademischen Werten decken. Der Markt allein bietet keinen Kompass, um wissenschaftliche Forschung und Bildung zu lenken.
1 'Who pays to
study?, in: The Economist vom 22. Januar 2004.'
2 'Ebd.'
3 'Vgl. John Immerwahr, Meeting the
Competition. The Futures Project: Policy for Higher Education in a
Changing World, Providence, Oktober 2002, S. 4.'
4 'Vgl. Derek Bok, Universities in the
Marketplace: The Commercialization of Higher Education, Princeton
2003.'
5 'Ebd., S. 176'
6 'Die gemeinsame Handelspolitik der EU
(Common Commercial Policy, CCP) beruht in der Hauptsache auf
Artikel 133 des EU-Vertrags. Die Gemeinschaft hat seit 1994 die
ausschließliche Befugnis in Angelegenheiten des Allgemeinen
Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade,
GATT) und teilt sich die Befugnisse mit den Mitgliedstaaten in
Angelegenheiten der Übereinkommen GATS und TRIPS (Trade
Related Aspects of Intellectual Property Rights = Abkommen
über handelsrelevante Aspekte geistigen Eigentums), obwohl es
keine klare Abgrenzung der Kompetenzen gibt.'