Erich Iltgen (CDU) ist ein besonnener Mann. Doch der am längsten amtierende Landtagspräsident hat gleich am Tage seiner Wiederwahl, bei der konstituierenden Sitzung des 4. Sächsischen Landtages, zu spüren bekommen, dass er vor neuen Herausforderungen steht. Was soll er tun, wenn das Nesthäkchen im Parlament glaubt, als lebendes Spruchband im Hohen Hause sitzen zu können. Eine neue Geschäftsordnung musste erst noch beschlossen werden; der frisch gewählte Landtagspräsident saß mithin für Stunden ohne rechtliche Handhabe im Präsidium. Und so konnte Julia Bonk (PDS) ungehindert ihre - von Vielen geteilte - Meinung "Schöner leben ohne Nazis" per Schriftzug auf ihrem T-Shirt kundtun, obwohl solche Demonstrationen bekanntlich in Parlamenten nicht gestattet sind. Ein hübsches Motiv für Fotografen, von den Zeitungen der Republik gerne verbreitet. Das ärgert Iltgen: "Heute kann man sich leicht bekannt machen, wenn man gegen die NPD protes-tiert." Die Grundsätze von Demokratie und Parlamentarismus - gerade in Sachsen hart erkämpft - seien aber nicht beliebig. "Die NPD ist in den Landtag gewählt worden und hat damit alle Rechte und Pflichten von Abgeordneten." Auch Wortpolizist mag Iltgen nicht spielen. Damit reagiert er auf Kritik, er hätte bei der Jungfernrede des NPD-Fraktionsvorsitzenden einschreiten müssen, als der von "Systemparteien" sprach - ein Begriff, den Nationalsozialisten benutzt haben, um demokratische Parteien zu diskriminieren. Es sei nicht Aufgabe des Versammlungsleiters, politische Begriffe zu rügen, meint Iltgen. "Dazu sind die Parteien da, ihre Abgeordneten müssen sich dazu äußern und ich erwarte, dass sie sich mit der Geschichte auseinandersetzen." Mit Ordnungsrufen könne man politische Kampfbegriffe nicht aus der Welt schaffen, wohl aber eingreifen, wenn offensichtlich Volksverhetzung betrieben werde.
Allen Aufgeregtheiten, die sich rund um den Einzug der NPD ins sächsische Parlament gebildet haben, versucht der Landtagspräsident durch Nüchternheit zu begegnen. Das gilt nicht nur für die Zuteilung von Arbeitsräumen im Landtagsgebäude, das nun doppelt so viele Fraktionen aufnehmen muss wie zuvor; und schon gibt es Gerangel um die schönsten und am weitesten von der NPD-Fraktion gelegenen Zimmer. Schon protestieren die Neulinge im Parlament, weil der Auszug von Teilen der Landtagsverwaltung sich verzögert, wabern Gerüchte über die Flure, hier sollten missliebige Abgeordnete am Arbeiten gehindert werden. Dabei sind die in der Nachbarschaft angemieteten Räume einfach noch nicht bezugsfertig, stellt der Landtagspräsident klar.
Nüchtern kommentiert Erich Iltgen auch die neue Geschäftsordnung des Landtages, die von CDU und SPD gemeinsam eingebracht worden ist. "Wir haben sie nicht für die NPD gemacht", sondern um den neuen Gegebenheiten Rechung zu tragen, die sechs statt der bisherigen drei Fraktionen im Landtag mit sich brächten. Zum Beispiel längere Debatten, mehr Anfragen und Anträge. Dabei hatte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Landtag behauptet, die Neuregelung, Präsidiumsmitglieder und Ausschussvorsitzende nicht mehr zu wählen, sondern von den Fraktionen ernennen zu lassen, sei zustande gekommen, weil man niemanden in die Verlegenheit bringen wollte, "Personen mit zweifelhaftem Demokratieverständnis" wählen zu müssen. Der wahre Hintergrund dieser Regelung ist, dass auf Initiative der PDS das Landesverfassungsgericht eine solche Regelung vorgeschrieben hat. In der Vergangenheit hatte die CDU sich mit ihrer absoluten Mehrheit geweigert, ihr missliebige Abgeordnete der PDS-Fraktion in wichtige Ausschüsse zu wählen, obwohl der PDS wegen ihres Wahlergebnisses dort Sitze und Funktionen zustanden. Dadurch blieben die entsprechenden Positionen oft monatelang unbesetzt. Der alte und neue Landtagspräsident hält diese Neuerung für die wichtigste, "weil der Streit um die Ausschussvorsitzenden oft lähmend war".
Auch im Verhältnis des Landtages zur Regierung hat sich etwas geändert, das unter den zementierten Mehrheitsverhältnissen vorher nicht möglich war. Die Exekutive muss dem Parlament gegenüber schneller reagieren. Die Frist für Antworten auf Große Anfragen wird nicht mehr nach Sitzungswochen, sondern nach Kalenderwochen bemessen. Anträge werden künftig ohne Stellungnahme der Staatsregierung zur Beratung in die Ausschüsse verwiesen und die Regierung überhaupt nur befragt, wenn der Ausschuss dies für notwendig hält. Früher haben häufige Fristverlängerungen für Regierungsäußerungen zu Antragsstaus geführt.
Allerdings ist das Parlament in einer entscheidenden Frage noch abhängig von der Regierung, besser gesagt: von den laufenden Koalitionsverhandlungen. Die Ausschüsse können erst gebildet werden, wenn die zu erwartenden neuen Zuschnitte der Kabinettsressorts bekannt sind. Das können durchaus weniger als bisher sein. Danach wird sich letztlich auch richten, welche, vielleicht auch wie viele Ausschüsse der Landtag in dieser Wahlperiode haben wird. Fest steht, dass der NPD ein Ausschussvorsitz zusteht; sie hat nach dem d'Hondtschen Höchstzahlverfahren das achte Zugriffsrecht. Bislang hatte der Sächsische Landtag 13 Ausschüsse; die sechs interessantesten und am meisten öffentlichkeitswirksamen Ausschüsse dürfen sich CDU und PDS aufteilen. In dieser Woche sollen die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD abgeschlossen werden.