1983 brach die Panik aus: Den Deutschen stand eine Volkszählung ins Haus. Dies allein wäre vielleicht nicht weiter schlimm gewesen, immerhin beginnt selbst die Weihnachtsgeschichte mit einer solchen. Doch im Gegensatz zum neutestamentarischen Vorbild zeugte der neuzeitliche Zählappell nicht von der Ankunft eines neuen Messias, sondern vom Beginn des totalen Überwachungsstaates. Immerhin sollte sich ja auch nicht jeder in seine Geburtstadt begeben, um sich aufzeichnen zu lassen, wie der Evangelist Lucas schrieb, sondern die Volkszähler sollten den Bürgern direkt mit ihren Fragebögen zu Leibe rücken, das gesammelte Wissen digital ausgewertet werden.
"1984" heißt eines der bekanntesten Werke des Schriftstellers George Orwell: Allein der Buchtitel schien die schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen. Orwells "Big brother is watching you" wurde zum geflügelten Wort, wenn von der 83er-Volkszählung die Rede war. Selten waren sich die Bundesdeutschen bis hin zum Bundesverfassungsgericht so einig in ihrer Ablehnung staatlicher Wissbegierde. Das Hereinbrechen des digitalen Zeitalters verunsicherte damals noch Alt und Jung: Die Angst, der Mensch könne zum binären 0-1-Code verkommen, ging um.
1989 brach der Jubel aus: Am Kernforschungszentrum CERN in Genf wurde das World Wide Web geboren und verhalf dem bereits seit 20 Jahren existierenden Internet zum Durchbruch. Ab sofort wurde gebrowsed, gemailt und gesurfed, dass die digitalen Drähte glühten. Lieschen Müller und Otto Maier vertrauten auf selbstgebastelten Homepages dem Rest des globalen Dorfes ihre intimsten Geheimnisse an. Ob Online-Shopping, Cyber-Sex oder E-Commerce - im virtuellen Nirwana tobte plötzlich das Leben. Selbst vor der Politik machte das Computer-Zeitalter nicht Halt: Abgeordnete mussten sich per E-Mail vom Volk befragen lassen, Parlamente jede noch so unwichtige Drucksache ins Netz stellen, selbst virtuelle Partei-Ortsvereine gründeten sich. Der vernetzte Computer - einst als Vehikel eines Orwell'schen Horrorszenarios angefeindet - mutierte zum Heilsbringer. Wohin dies führt, konnte man bereits vor vier Jahren in den USA beobachten: bei Gore gedrückt, Bush gewählt - demokratisches Restrisiko.
Dieses gilt übrigens auch in der Zeitungsproduktion. Wo früher in Blei gegossen und gesetzt wurde, herrschen die Gesetze der EDV - an guten wie an schlechten Tagen mit allen Konsequenzen. Vor vielen Jahren kam es in der DDR während einer Pressekonferenz zu einem in Notsituationen hilfreichen Wortwechsel. Der Leiter des Presseamtes, besorgt über den frühen Redaktionsschluss der so genannten Blockzeitungen, erkundigte sich, ob diese denn noch all die wichtigen Informationen ins Blatt bringen könnten. Ein Kollege antwortete frech: "Ich informiere meinen Leser telefonisch." Liebe Leserinnen und Leser, wundern Sie sich bitte nicht, wenn Sie demnächst ein Anruf aus unserer Redaktion ereilt.