Frauen haben sich früher auf den Weg der Selbstverwirklichung begeben als Männer. Die europäische Männerbewegung hat zudem im Vergleich zujener in Nordamerika einen zwanzigjährigen Rückstand. In den vergangenen Jahren hat sie aber auch bei uns Fuß gefasst. Männergruppen sind entstanden, Männerpolitik beginnt sich zu artikulieren. Männer verlangen eigene Ministerien. Sie stehen den Frauen in Fragen der Selbstverwirklichung und Suche nach gesellschaftlichen Voraussetzungen für diese nicht mehr nach. Man könnte meinen, dass die neue Männerbewegung auf die vorausgehende Emanzipationsbewegung der Frauen reagiere. Diese - so ist in Diskussionen zum Männerthema zu hören - habe nicht wenige Männer verunsichert und bedrohe sie in ihrer ererbten Position. Es gelte daher, das bröckelnde Patriarchat zu verteidigen. Aber hier liegt für die meisten Männer nicht das Hauptmotiv für ihr Interesse an neuen Wegen zur Selbstverwirklichung. Vielmehr dominiert das Gefühl, dass das Leben der Männer, wie es sich in modernen Gesellschaften entwickelt, nicht stimmt, nicht reich ist, sondern verarmt. Es könnte, so hoffen nicht wenige, mehr Bewegung ins Männerleben kommen. Folglich ist nicht der Widerstand gegen die Frauenemanzipation der Hintergrund der Suche nach einer neuen Männlichkeit, sondern das Leiden am ererbten Männerleben und der Wunsch nach dessen Anreicherung.
In diesem Entwicklungskontext hat sich auch die neuere deutschsprachige Männerforschung positioniert. Angestoßen wurde sie - in meinem Fall - von kirchlichen Männerorganisationen in Österreich und in Deutschland. 1 Diesen waren mit ihren herkömmlichen biederen Programmen die Männer abhanden gekommen. Die Gruppen waren zu Altherrenclubs mutiert; der Zeitpunkt ihres bevorstehenden Endes ließ sich leicht hochrechnen. Mit dem Ziel, ein Programm für jüngere Männer sachgerecht und fundiert entwerfen zu können, wurde angeregt, über Männer zu forschen. Das von mir geleitete Ludwig-Boltzmann-Institut für Werteforschung hat diese Anregung interessiert aufgegriffen und ein entsprechendes Forschungskonzept entwickelt. Hierzu zählt die Wiederholung der österreichischen Männerstudie zehn Jahre nach der ersten im Jahr 1992. Wir wollten wissen, ob und wie sich Männer in den letzten zehn Jahren entwickelt haben. 2
Das Herzstück der von uns verantworteten Männerforschung ist die Entwicklung einer empirisch gesicherten Männertypologie. Mann ist nicht gleich Mann - Vergleichbares gilt bei den Frauen, die wir als Kontrastgruppe immer mit untersucht haben. Nun ist natürlich jeder Mensch ein Sonderfall, ein Original. Die Individualisierung in modernen Kulturen hat diesen Hang zum Original verstärkt. Jede, jeder kann ihr bzw. sein Leben selbst "komponieren". Leben ist ein Kleinstunternehmen in privater Hand geworden, was enorme "Spielräume" mit sich bringt. Allerdings gibt es Skeptiker, die meinen, es handele sich lediglich um eine Originalität im Modus des Wünschens. Denn die geheimen Zwänge, Verführungen, die kulturellen Grundstimmungen würden den Einzelnen nachhaltig formen, und dies alles unter der unangetasteten Illusion der Originalität. Die Bereitschaft, Moden mitzumachen, oder die Erfolge der Werbebranchen illustrieren diesen Verdacht.
Durch empirische Forschungen ist es möglich, jene Ähnlichkeiten und Verwandtschaften, die auch zwischen originellen Individuen vorhanden sind, aufzudecken. Das geschieht, indem Befragte mit ähnlichen Antworten auf einschlägige Fragen zu Gruppen zusammengefasst - gebündelt - werden. So bilden sich "Trauben" von Personen (cluster) mit mehr oder minder großen Ähnlichkeiten. Solche Personentrauben nennen wir Typen. Die Anzahl der errechneten Typen hängt vom Bestreben ab, dass diese sich einerseits merklich voneinander unterscheiden und zugleich die Übersichtlichkeit nicht verloren geht.
Gestützt auf reiches Datenmaterial haben wir uns für vier Männertypen entschieden. Die Zuordnung eines Mannes zu einem der vier Typen hängt davon ab, ob er traditionellen Männermerkmalen einerseits oder modernen andererseits zustimmt. Wir haben diese in unserem Instrumentarium jeweils definiert:
Traditionelle Merkmale:
Moderne Merkmale:
Der erste der vier Männertypen bejaht die traditionellen und lehnt die modernen Merkmale eindeutig ab. Wir haben ihn deshalb als den traditionellen Mann bezeichnet. Genau umgekehrt denken die modernen Männer: Sie orientieren sich an den modernen Merkmalen und stehen zu den traditionellen deutlich auf Distanz.
Sodann gibt es Männer, die sowohl traditionellen wie modernen Merkmalen zustimmen, zumindest auszugsweise. Es sind die pragmatischen Männer, die sich aus den jeweiligen Merkmalssets jene herauspicken, die sie für vorteilhaft halten. Diese sympathische Eigenschaft hat ihnen in Diskussionen den Spitznamen "Rosinenmann" eingetragen. So können sie mit dem Berufswunsch einer emanzipierten Frau deshalb viel anfangen, weil sie dann nicht mehr allein Geld in die Haushaltskasse einbringen müssen.
Der vierte Typ hatte 1992 den Namen "unsicherer Mann" erhalten - ein Begriff, gegen den nicht wenige Männergruppen Sturm gelaufen sind. Wir haben deshalb in der Folgestudie den Namen "unbestimmte" oder auch "formbare Männer" gewählt. Unbestimmte Männer sind die wertvollste Klientel für Männergruppen. Sie haben keinen Zugang mehr zu traditionellen Männermerkmalen, aber auch die modernen verlocken sie nicht. Das versetzt sie in eine Art Entwicklungsstandby (vgl. die Abbildung 1).
Diese vier Männertypen verstehen sich nicht nur entlang vorgegebener Merkmale als traditionell oder modern, pragmatisch oder formbar. Sie sind in den wichtigsten Lebensbereichen auch auf andere Art und Weise präsent.
Wir haben uns dabei einerseits auf die Polarität von Berufswelt und Familienwelt (damit Öffentlichkeit und Privatheit) gestützt. Andererseits sind wir davon ausgegangen, dass im Hintergrund die Innenwelt des jeweiligen Mannes angesiedelt ist.
Im Ergebnis stehen markante Unterschiede zwischen den einzelnen Männertypen hinsichtlich ihrer Präsenz bzw. ihres Zugangs zu den drei "Bereichen".
Der traditionelle Mann ist der "Berufsmann". Er bezieht seine Identität aus diesem Lebensbereich. Das zeigt sich vor allem daran, dass der traditionelle Mann sich vom Verlust der Erwerbsarbeit bedroht fühlt. Er wird dann zu einem sozialen Nichts. Erkennbar ist dies daran, dass die Selbstmordrate unter Langzeiterwerbslosen im Alter von 40 bis 55 in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist. Dies macht verständlich, dass für den Fall, dass Erwerbsarbeit knapp wird, ein größerer Anteil traditioneller Männer dafür eintritt, Ausländern, Frauen, Älteren und Behinderten den Job zu kündigen. Der traditionelle Mann fühlt sich auch durch (männliche wie weibliche) Konkurrenz eher bedroht als der moderne Mann (siehe Tabelle 1).
Die enge Bindung des traditionellen Mannes an die Erwerbswelt geht einher mit einer weniger engen Verbindung mit der Familienwelt. Der traditionelle Mann zeichnet sich zwar - wie alle in unseren modernen Kulturen - durch eine hohe Wertschätzung der familialen Lebenswelt aus. Diese ist der überlebenswichtige Raum, geprägt von Stabilität und Liebe, den Alte und Kinder sowie Erwachsene als Dach über der Seele brauchen. Aber die Rolle, die der traditionelle Mann in der Familie spielt, ist eine andere als jene, die wir beim modernen Mann antreffen. Dieser versucht beide Lebensbereiche auszubalancieren. Moderne Männer sind neue Väter; sie sind im Lebenskreis der Kinder qualitativ anders sowie quantitativ mehr präsent als traditionelle Männer. Sie zeichnen sich auch durch eine deutlich höhere Bereitschaft aus, mit ihrer Partnerin die Hausarbeit zu teilen. Traditionelle Männer stehen dagegen mehr fürs Einkommen denn fürs Auskommen. Sie sichern die Lebensgrundlagen der Familie (nicht zuletzt durch ihre Erwerbsarbeit und den familiengerechten Lohn). Die Innenarchitektur der Familie (dass Konflikte bearbeitet werden, dass es gemütlich ist) ist aus ihrer Sicht Frauensache (siehe Tabelle 2).
Der traditionelle Mann gilt als extrovertiert. Der Zugang zur Innenwelt ist ihm - zumindest auf den ersten Blick - eher verschlossen. Das führt dazu, dass dieser Männertyp mit den dunklen Seiten seines Lebens nur schwer in Berührung kommt: mit den Misserfolgen, dem Leid, der Endlichkeit, mit dem Tod. Männer dieses Typs gehen auch härter mit sich selbst um. Wenn es Probleme gibt, reden sie nicht, sondern beißen sich durch. Das macht traditionelle Männer tendenziell therapieresistent.
Ein deutliches Merkmal der traditionellen Männer ist ihre Gewaltbereitschaft. Damit ist nicht die Freude an Gestaltungsmacht gemeint, sondern destruktive Gewalt gegen Frauen, Kinder, gegen die Natur, in der Sprache. Männergewalt, so die Ergebnisse von Analysen, ist dabei die Veröffentlichung einer inneren Schwäche. Ihrer selbst sichere Männer, die es unter den modernen häufiger gibt als unter den traditionellen, scheinen Gewalt nicht nötig zu haben: Hier liegt ein wichtiger Ansatz für die Minderung von Männergewalt.
Moderne Männer dagegen scheinen mehr als traditionelle nach Wegen in die Hinterhöfe der eigenen Seele zu suchen. Das muss gar nicht immer mittels der Sprache erfolgen, für die Frauen nach den Ergebnissen unserer Studie eher kompetent sind. Vielmehr spielen in der Entwicklung moderner Männer archaische Rituale (wie Trommeln, Naturerleben) eine neue Rolle. Moderne Männer sind gesundheitsbedachter, suchen eine bewusstere Fühlungnahme mit ihren sexuellen Begabungen, haben Sinn für Männerfreundschaften mit einer neuen Qualität, die sich deutlich von Stammtischkumpanei unterscheidet.
In einem Punkt unterscheiden sich traditionelle und moderne Männer eklatant: Während traditionelle Männer im Vergleich zu den anderen Männertypen eine ausgeprägte Religiosität aufweisen, sind moderne Männer im herkömmlichen Sinn dieses Wortes deutlich weniger religiös kompetent und auch kaum kirchengebunden. Das unterscheidet moderne Männer von modernen Frauen in unseren Studien: Diese haben sich zwar wie die modernen Männer auch von der Kirche distanziert - die Distanz zu den Kirchen ist ähnlich groß -, zugleich zeichnet aber die modernen Frauen ein spezifisches spirituelles Suchen mit neuer Qualität aus. Der Rückzug von den christlichen Kirchen könnte damit zusammenhängen, dass im Lauf der Geschichte die Kirchen jene religiösen Legitimationen geliefert haben, welche Geschlechterrollen als gottgegeben und damit als unabänderbar hingestellt haben (vgl. Tabelle 3).
Die vier Haupttypen mit ihrer je unterschiedlichen Präsenz in den verschiedenen Lebensfeldern stehen in einer Einzelstudie zunächst nebeneinander und erlauben als solche noch keine verlässliche Aussage über eine Entwicklung. Setzt man diese Typen aber mit dem Lebensalter in Verbindung, dann zeigen sich mögliche Verschiebungen.
So ist das Traditionelle bei den Jüngeren mehr oder minder "out". Die jungen Männer (und Frauen) tendieren zu modernen Geschlechterrollen, obgleich nicht wenige von ihnen auch unter den Pragmatischen und unter den Unbestimmten zu finden sind (vgl. Abbildung 2).
Noch aufschlussreicher als eine Querschnittstudie (einschließlich der Alterskorrelationen) sind Langzeitstudien. Sie lassen erkennen, ob und wie sich über Jahre hinweg Geschlechtertypen anteilsmäßig entwickelt haben. Dazu stehen uns für Österreich erstmals für den deutschsprachigen Raum Daten zur Verfügung. 3 Es wird deutlich, dass der Anteil der modernen Männer zu-, jener der traditionellen hingegen abnimmt. Als stärkste Gruppe ragt jene der Unbestimmbaren heraus. Das legt den Schluss nahe, dass die Entwicklung vom traditionellen zum modernen Verhalten zwar im Gang, jedoch mit einer großen Offenheit versehen ist.
Ein Vergleich zwischen den Männern und den Frauen zeigt zudem, wie unterschiedlich die Entwicklungsgeschwindigkeiten bei beiden Geschlechtern sind. Der Anteil der modernen Frauen war 2002 in Österreich nahezu doppelt so groß wie jener der Männer. Der Anteil der Unbestimmten ist zudem bei den Frauen deutlich niedriger als bei den Männern. Einen Teil der Unterschiede erklärt gewiss die Tatsache, dass die Frauenselbstentwicklung auf einen längeren Erfahrungszeitraum zurückblickt, die der Männer hingegen erst jüngsten Datums ist (vgl. Abbildung3).
Aufschlussreich für die Frage der Selbstentwicklung von Männern und Frauen sind jene Forschungsdaten, die wir mit dem Begriff der "Schieflagen" gebündelt haben. Wir haben solche in einigen Datensets entdeckt:
Hier stellt sich die Frage, ob dies allein auf eine Veränderungsunwilligkeit der Männer, auch der modernen zurückzuführen ist. Hält sich das Patriarchat hartnäckiger, als selbst modernen Männern bewusst ist? Es sind aber weiter reichende Überlegungen möglich. Hinter diesen Schieflagen könnte auch eine Relativierung des in der Geschlechterdebatte gängigen Konstruktivismus liegen.
Konstruktivismus unterstellt, dass die Geschlechterrollen (wie das gesamte gesellschaftliche Gefüge) sich Vereinbarungen unter Menschen verdanken. Hier spielen Interessen und Gestaltungsmacht eine zentrale Rolle. Es wird angenommen, dass die herkömmlichen Gesellschaften männerfreundlich "konstruiert" sind und Männer gegenüber Frauen massiv privilegieren. Frauen sind enorm benachteiligt, vor allem, was den Zugang zum gesellschaftlich erwirtschafteten Reichtum, aber auch, was die Gestaltungsmacht betrifft.
Konsequenterweise verlangen Frauen, die mehr Gerechtigkeit einfordern, eine Dekonstruktion dieser männerzentrierten Gesellschaft und eine Rekonstruktion neuer Verhältnisse. Die Idee der ersten Stunde der Frauenbewegung, Männer und Frauen in der bestehenden Männergesellschaft gleichzustellen, wird von der modernen Frauenbewegung nicht mehr geteilt. Es gilt vielmehr auch unter den Achtundsechzigern der flotte Spruch: "Wer werden will wie ein Mann, hat keinen Ehrgeiz!"
Tatsächlich ist inzwischen mit Eifer sehr viel Rekonstruktionsarbeit geleistet worden: zunächst von und für Frauen, inzwischen auch unter einer Avantgarde von Männern. Solche Rekonstruktionsarbeit scheint aber nun - man betrachte die Schieflagen - an empfindliche Grenzen zu stoßen. Der Erfindergeist hinsichtlich der Geschlechterrollen kann beachtliche Ergebnisse vorweisen. Zugleich gibt es sichtlich veränderungsresistente Anteile in den Geschlechterrollen.
Manche nehmen diese Tatsache zum Anlass, den Konstruktivismus als solchen in Frage zu stellen. Sie meinen, dass Geschlechterrollen eben nicht so veränderbar sind, wie vom Konstruktivismus unterstellt wird. Sie tendieren vielmehr zu einer Art komplexen Biologismus. Dieser stützt sich nicht nur auf die somatischen Unterschiede, die ja nicht zu leugnen sind, sondern auch auf menschheitsalte archaische Geschlechterbilder, mit denen sich alte Religionen (dabei wird an die auf Geschlechter angewendete Polarität des Jin-Jang gedacht) oder auch moderne Tiefenpsychologie (etwa eines Carl Gustav Jung) befassen. Was ein Mann oder eine Frau sind, sei nicht erfindbar, sondern vorfindbar. Selbstentwicklung von Frauen und Männern müsse daher bestrebt sein, das Vorfindbare aufzuspüren und die Lebenswirklichkeit danach zu gestalten. Geschehe dies nicht, würden Männer und Frauen unentwegt genötigt sein, gegen das "anzuleben", was sie sind und daher auch "im Grunde" sein möchten. Der Konstruktivismus sei daher eine verständliche, aber letztlich bedrohliche Anleitung zur Beschädigung weiblicher und männlicher Identität.
Sind aber das Vorfindbare und das Erfindbare ein unversöhnlicher Widerspruch? Schließen Konstruktivismus und Biologismus einander gänzlich aus? Wenn man die wissenschaftlichen Lagerbildungen und die darauf gestützten wechselseitigen Belagerungen bedenkt, könnte man zu diesem Schluss kommen. Aber es wäre auch ein versöhnlich-dialektisches Modell denkbar. Der Konstruktivismus könnte sich auf das Thema Gerechtigkeit beziehen, der Biologismus auf jenes der Identität. Dann wären Wege der Selbstentwicklung zu suchen, die beides zugleich anstreben: mehr Gerechtigkeit (und dazu Rekonstruktion gesellschaftlicher Verhältnisse und kultureller Begleitbilder) und zugleich mehr bzw. eindeutige Identität. Letztlich wäre das ein Bemühen, das der europäischen Geistesgeschichte nicht fremd ist, nämlich den Aristotelismus mit dem Platonismus zu versöhnen.
Eine solche versöhnliche Geschlechter-"Politik" (in der Wissenschaft, in der Selbstentwicklung, in der Suche nach angemessenen Strukturen) hätte zur Folge, dass sich der Unterschied zwischen den Geschlechtern nicht einebnet, sondern eher profiliert. Und zugleich könnten ererbte Benachteiligungen geschlechterpolitisch sowohl in den privaten Lebenswelten wie im gesellschaftlichen Großraum vermindert werden.
Geht man aber nicht den dialektisch-versöhnlichen Weg, dann wird sich die Lagerbildung verschärfen. Damit steht der Friede zwischen den Geschlechtern auf dem Spiel, genauer, zwischen den Biologisten und den Konstruktivisten, die sowohl in der Männer- wie in der Frauenwelt zu finden sind.
Auf der einen Seite könnte sich ein aggressiver Konstruktivismus ausbilden, der am Ende zu einer Verwischung der Unterschiede zwischen Mann und Frau führt. Denn wenn alles konstruiert ist, bleibt nichts mehr, was Frauen und Männer als solche erkennbar macht. Auf der anderen Seite könnte aber der Biologismus gesellschaftspolitisch reaktionär werden und alte Ungerechtigkeiten fortschreiben sowie neue schaffen. Zwischen diesen beiden Polen der Diffusion wie des Geschlechterkampfes könnte der versöhnliche Weg hindurchführen, auf dem mit hoher flexibler Sensibilität nach der je heutig lebbaren Balance zwischen dem Vorfindbaren und dem Erfindbaren gesucht wird. Das entspräche der inneren Logik jener Männerarbeit, die sich die Entwicklung zu modernen Männern auf die Fahnen geschrieben hat. Dieselbe Logik würde aber auch Männerpolitik inspirieren - gleichsam komplementär mit jener der Frauen -, leidenschaftlich nach mehr Gerechtigkeit für Frauen und Männer zu suchen, ohne die spannende und reizvolle Polarität zwischen Männern und Frauen auflösen zu müssen.
1 'Das trifft
sowohl auf die österreichische Männerstudie aus 1992
(Auftraggeber: Katholische Männerbewegung Österreichs)
wie auf die deutsche Männerstudie 1998 (Auftraggeber:
Männerarbeit der evangelischen Kirche) zu. Es konnten auch die
jeweils zuständigen Ministerien für eine Beteiligung
gewonnen werden. Vgl. Paul M. Zulehner,/Andrea Slama,
Österreichs Männer unterwegs zum neuen Mann? Wie
Österreichs Männer sich selbst sehen und wie die Frauen
sie einschätzen. Erweiterter Forschungsbericht, bearbeitet im
Rahmen des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Werteforschung,
Österreichisches Bundesministerium für Jugend und
Familie, Wien 1994; Paul M. Zulehner/Rainer Volz, Männer im
Aufbruch, Ostfildern 19992.'
2 'Vgl. Paul M. Zulehner (Hrsg.),
MannsBilder. Ein Jahrzehnt Männerentwicklung, Ostfildern
2003.'
3 'Anhaltspunkte für die
Veränderung der Frauenrollen enthalten die Europäischen
Wertestudien: Paul M. Zulehner/Hermann Denz, Wie Europa lebt und
glaubt, Düsseldorf 1991. - Hermann Denz u. a.: Die
europäische Seele, Wien 2002.'