Die bisher praktizierte und auf einer freiwilligen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union beruhenden Drogenpolitik ist gescheitert. In Europa nimmt der Drogenkonsum ständig zu. Etwa jeder fünfte Erwachsene hat Erfahrungen mit Drogen gemacht. Und eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Umfrage unter 7.600 Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren ergab, dass es in allen Ländern der Union äußerst einfach ist, sich illegale Suchtmittel zu beschaffen. Neugier und der Reiz der Verbotsüberschreitung ist in dieser Altersgruppe das bestimmende Motiv für den Einstieg in den Konsum.
Diese Tatsachen werden inzwischen als eindeutiger Hinweis gewertet, dass die auf Verboten und Strafen begründete Drogenpolitik der Mitgliedstaaten nicht in der Lage ist, den Drogenhandel wirksam zu bekämpfen, der nach den Angaben von Europol auch weiterhin zu den wichtigsten Geldquellen der organisierten Kriminalität und von terroristischen Vereinigungen zählt. In keinem anderen Bereich werde mehr Geld verdient.
Aus diesem Grund sollen auf dem EU-Gipfel Grundsätze für eine alternative und stärker auf gemeinsames Handeln ausgerichteten Strategie zur Drogenbekämpfung beschlossen werden.
In einem Initiativbericht hat das Europäische Parlament einen Tag vor dem Brüsseler Treffen seine Vorstellungen zu diesem Neuansatz verabschiedet. Die Abgeordneten verweisen in ihrer Empfehlung an die Staats- und Regierungschefs der EU darauf, dass die Probleme Drogenhandel und Drogenkonsum nicht von jedem Staat allein gelöst werden können und es daher unerlässlich sei, eine gemeinsame europäische Strategie zu entwickeln. Die nationale Drogenpolitik soll stärker auf wissenschaftliche Erkenntnisse zur Beurteilung jeder einzelnen Droge, insbesondere ihrer Gefährlichkeit zurückgreifen und nicht länger ideologische Ansätze verfolgen.
Die bislang praktizierte europäische Zusammenarbeit im Bereich der Drogenpolitik sollte mit dem Ziel überarbeitet werden, dass grenzübergreifender und großangelegter Drogenhandel wirkungsvoller bekämpft werden kann. Die bisherige Bekämpfung habe sich zu wenig um Mafia-Strukturen und Netzwerke des Terrorismus in diesem Bereich gekümmert.
Die Abgeordneten fordern den Rat zu Maßnahmen auf, die sich grundlegend von der gegenwärtigen Politik unterscheiden. Im Vordergrund müssten die Gesundheit und der Schutz der Drogenkonsumenten stehen und die Eindämmung übertragbarer Krankheiten - insbesondere HIV/AIDS. Information und Prävention sollen verstärkt werden, um Menschen mit Drogenproblemen vor Marginalisierung und sozialer Ausgrenzung zu schützen. Wiedereingliederungsprogramme für Straftäter und Drogenkonsumenten sollen als Alternative zur Haftstrafe eingerichtet werden. Wichtig sei aber auch, dass der Drogenkonsum in Haftanstalten endlich wesentlich stärker unterbunden werde.
Um die Finanzierung des internationalen Terrorismus durch den Drogenhandel zu verringern, sollte nach Auffassung des Parlaments eine Erhöhung der Entwicklungshilfe für Herstellerländer von Drogen mit Hilfe nachhaltiger Programme für alternative Anbauprodukte beschlossen werden.
Entscheidungsgrundlagen für die Politik bietet auch die EU-Drogenbeobachtungsstelle in Lissabon an. So hat sich der Konsum von Kanabis, der meist verwendeten Droge, in den Ländern mit traditionell hoher Verbreitung weitgehend stabilisiert. Da die Auswirkungen dieser Droge als weniger gravierend eingeschätzt werden, sollte sowohl bei der Drogenbekämpfung als auch bei der Schadensbegrenzung unter dem Gesundheitsaspekt sehr viel differenzierter vorgegangen werden. Deshalb müsse, so der italienische Parlamentsberichterstatter Guisto Catania, eine neue Strategie zur Drogenbekämpfung stärker als eine "Art soziale Intervention" betrachtet werden, bei der Maßnahmen zur Vermeidung von Gesundheitsschäden, die Senkung der Zahl der Todesfälle und die Verringerung der Straftaten im Zusammenhang mit der Beschaffung von Drogen im Vordergrund stehen.