Wenn ihre Freunde auf Parties gehen, sitzen sie noch im Ortsverein. Jede freie Minute widmen sie der Partei, fast jeder Kontakt ist auch politisch. Der Weg in die große Politik ist lang. Doch sie wollen ihn gehen: Ehrgeizige Talente gibt es in allen Parteien, trotz aller Nachwuchssorgen. "Das Parlament" stellt einige Jungpolitiker vor.
Äquatorial Guinea ist ein kleines, zentralafrikanisches Land. Julia Verlinden hat es einmal vertreten. In der Vollversammlung der Vereinten Nationen und als Repräsentantin in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte für die 25-jährige Studentin aus Lüneburg vor allem die AIDS-Bekämpfung Vorrang. "Ich wusste vorher nicht einmal, wo das Land ganz genau liegt, geschweige denn, welche Interessen es zu vertreten gilt." Bis zu jenem Planspiel der Vereinten Nationen in New York, bei dem die junge Grünen-Politikerin das Land für einige Tage repräsentierte. Tage harter, realgetreuer Diplomatie, die Verlinden beeindruckt haben. "Kofi Annan hat damals die Begrüßungsrede gehalten und man hat einen Einblick bekommen, wie Diplomatie funktioniert."
Dabei will Julia eigentlich gar keine Diplomatin werden. "Meine Politik muss immer mit Umwelt zu tun haben", erklärt die 25-Jährige, die seit einem Jahr Beisitzerin im Landesvorstand der Grünen in Niedersachsen ist. Ihren "Sinn für die Natur" verdankt Julia ihren Eltern. Sie wächst in Bergisch-Gladbach mit vier Schwestern in einem umweltbewussten Elternhaus auf. "Wir waren viel in der Natur und haben gelernt, davor Respekt zu haben", erzählt Julia. Als im April 1986 im sowjetischen Atomkraftwerk Tschernobyl der größte anzunehmende Unfall passiert, geht Julia mit ihren Eltern zu Anti-Atomkraft-Demonstrationen. Die Siebenjährige klärt sogar ihre Mitschüler über die Folgen der Katastrophe auf.
Nur wenige Jahre später wird sie beim Greenteam, einer Jugendorganisation von Greenpeace, sowie der BUNDjugend aktiv. "Dass ich mich engagieren muss, war für mich schon sehr früh klar."
Nach dem Abitur macht Julia ihren Traum wahr. Sie geht nach Lüneburg, um Umweltwissenschaften zu studieren. Im selben Jahr wird sie Mitglied bei der Grünen Jugend und in deren Mutterpartei Bündnis90/Die Grünen. "Ich wollte dahin, wo wirklich entschieden wird: in die Politik."
Julia macht ein Praktikum bei der Bundestagsabgeordneten Kerstin Müller, engagiert sich im Studierendenparlament der Uni Lüneburg, nimmt am Planspiel in New York teil und wird in den Landesvorstand der Grünen Jugend gewählt. Sie will mehr sein, als ein einfaches Mitglied der Partei. "Wenn ich irgendwo mitmache, dann ist klar, dass ich auch Verantwortung übernehme." Das tut sie vor allem als Zuständige für die Landesarbeitsgemeinschaften Natur und Umwelt sowie Energie und Verkehr. Sie ist Expertin für nachhaltige Entwicklung. "Es ist wichtig, langfristig, also über eine Legislaturperiode hinaus, Umwelt und Wirtschaft in Einklang zu bringen. Die Vernetzung von Politikfeldern ist dafür die Voraussetzung", erklärt sie. Besonders intensiv beschäftigt sich die engagierte Grüne mit Gentechnik. Ein Thema, bei dem sie emotional wird: "Ich habe Angst, weil Gentechnik einfach nicht kontrollierbar ist, und wir uns nicht ausreichend davor schützen können." Deshalb hat sie für den letzten Parteitag mehrer Anträge dazu verfasst.
Für eine Grüne aus Niedersachsen ist auch das atomare Zwischenlager Gorleben permanent ein Thema, ebenso die Castor-Transporte. Erst vor wenigen Wochen ist wieder eine Ladung Atom-Müll angekommen. "Mit jedem Castor habe ich Angst, dass Gorleben doch einfach als Endlager genutzt wird und die Suche nach einem besser geeigneten Ort abgebrochen wird." Sie sagt das weniger anklagend als traurig. Julia ist ihrer neuen Heimatregion und deren Sorgen schon nah genug, um betroffen zu sein.
Seit zwei Jahren vertritt Julia Umweltthemen im Stadtrat in Lüneburg. Sie fühlt sich mittlerweile zu Hause in der kleinen Studentenstadt in Niedersachsen. Seit sechs Jahren lebt sie hier mit ihrem Freund zusammen. Fast genauso lange, wie sie studiert. Für zwei Semester hat sie Lüneburg dennoch verlassen, um an der englischen Universität in Keele Umweltmanagement zu studieren. Zur Zeit schreibt sie ihre Diplomarbeit über den Bundesverkehrswegeplan 2003.
Manchmal ist Julia unzufrieden mit sich selbst, hält sich für zu ehrgeizig. "Oft habe ich Angst, nicht mein Möglichstes getan zu haben", erklärt sie. Wenn sie redet, wippen ihre braunen Locken auf und ab. Sie lächelt und überlegt genau, bevor sie auf Fragen antwortet. Ihre Stärken kennt sie gut: "Ich bin die älteste von fünf Schwestern. Ich behalte immer den Überblick und kann gut organisieren." Das ist auch nötig. Tagsüber Studium, am Abend Politik und zweimal im Monat nach Hannover zum Landesvorstand - da bleibt nicht viel Zeit für das Privatleben. "Man muss sich die Freizeit einfach nehmen, sonst macht man das andere nicht mehr mit Freude."