HAKENKREUZ-URTEIL
Angeklagter wurde freigesprochen
Erleichterung aller Orten: Abzeichen mit durchgestrichenen, zertretenen, weggeworfenen Hakenkreuzen sind legal. Dieses Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) ist in der politischen Landschaft durchweg auf positive Resonanz gestoßen. Von CDU bis zur Linken, in Baden-Württemberg und auf Bundesebene allseits wird die gewonnene Rechtssicherheit hervorgehoben. Vor allem dem nunmehr Ex-Angeklagten Jürgen Kamm sind viele Steine vom Herzen gefallen. Der württembergische Geschäftsführer des Nix-Gut-Versandes von Artikeln für die Punk-Szene war zuvor vom Landgericht Stuttgart für schuldig befunden worden, verfassungswidrige Kennzeichen zu vertreiben, sollte deswegen 3.600 Euro Strafe zahlen. Da er dieses Urteil als hochgradig absurd empfunden hatte, vernahm er den jetzt endgültigen Freispruch durch den BGH zwar halbwegs zufrieden: "Jetzt haben wir endlich mal ein wenig Ruhe." Andrerseits: "Das ist alles so grotesk gewesen, ich kann mich immer noch aufregen."
Die Richter des Stuttgarter Landgerichtes waren demgegenüber gestützt auf das Strafgesetzbuch (StGB) der Auffassung gewesen, Hakenkreuze in jedweder Form sollten aus dem öffentlichen Leben verschwinden, ansonsten könne eine Gewöhnung eintreten. Außerdem befürchteten sie, ausländische Besucher würden irritiert und sie wollten verhindern, dass Rechtsextreme selbst derartige Abbildungen verwenden. Somit galten zumindest in Baden-Württemberg Buttons, Sticker und T-Shirts mit den durchgestrichenen, zertretenen oder weggeworfenen Hakenkreuzen als verboten.
Der BGH widersprach den Kollegen in allen Punkten. Die Abzeichen, die Kamm vertreibt, machen seiner Ansicht nach "eindeutig und offenkundig die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus deutlich". Und da die Vorschrift im StGB, die das Verwenden von Kennzeichen verfassungwidriger Organisationen verbietet, nicht geschaffen wurde, um Antifaschisten zu bestrafen, sind entsprechende bildliche Meinungsäußerungen geschützt. Außerdem zeigte sich der Senat davon überzeugt, "dass Anhänger rechtsextremer Organisationen Darstellungen, in denen solche Kennzeichen in gegnerischer Zielrichtung verwendet werden, als Verhöhnung der ihnen 'heiligen' Symbole empfinden und selbst nicht gebrauchen würden".
Ähnliches hatten nach dem Spruch der Stuttgarter Richter auch Politiker von SPD und Grünen sowie Gewerkschafter kundgetan, wo sie nur konnten. Das baden-württembergische Urteil war auf großes Unverständnis gestoßen, umso größer nun das Lob für den BGH. Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sprach vom "Ende einer Justizfarce" und sah aktive Antifaschisten gestärkt. Roth sowie der SPD-Bundestagsabgeordnete Niels Annen und Gewerkschafter hatten sich nach dem Stuttgarter Urteil selbst angezeigt, da auch sie durchgestrichene Hakenkreuze getragen hatten. Während die baden-württembergischen DGB-Spitze danach nie etwas von der Staatsanwaltschaft hörte, bekamen Roth und Annen zumindest Post von den schwäbischen Anklägern: Das Verfahren sei eröffnet. Ihre Immunität wurde aufgehoben, anschließend jedoch herrschte Ruhe. Nun wird das Verfahren wohl eingestellt. Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, fand es "beschämend, dass erst das oberste deutsche Gericht angerufen werden musste, um Selbstverständlichkeiten deutlich zu machen".
Auch CDU und FDP begrüßten das Karlsruher Urteil, hielten sich allerdings mit euphorischen Freudensausbrüchen zurück. Für den parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen, ist deutlich geworden, "dass die Aufregung um das Urteil des Stuttgarter Landgerichts im Herbst 2006 verfrüht war". Und Jürgen Gehb, rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, sah sein "Vertrauen in die Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes bestätigt". Auch er hatte den Stuttgarter Spruch als irritierend empfunden, fand aber, dass Politik sich nicht in laufende Verfahren einmischen sollte.
Damit dürfte er bei Jürgen und dessen Bruder (und Mitgesellschafter) Andreas Kamm auf Unverständnis stoßen. Denn beide empfanden den letztlich 19-monatigen Rechtsstreit um die Abzeichen als hochgradig politisch. Seitdem sowohl ihre Geschäftsräume als auch die Privatwohnung von Jürgen Kamm im August 2005 durchsucht und Tausende von Katalogen beschlagnahmt worden waren, suchten sie die Öffentlichkeit. Sie informierten die Politik, organisierten Solidaritäts-Konzerte, richteten eine umfassende Informationsrubrik auf ihrer Internetseite ein, stellten Dienstaufsichtsbeschwerden und suchten den Kontakt mit anderen Betroffenen. Sie machten darauf aufmerksam, dass auch das Jugendforum des Bundestages auf ihrer Website das durchgestrichene Hakenkreuz benutzte. Die Resonanz war gut, nur wenige mochten nachvollziehen, dass die antifaschistischen Symbole strafwürdig sein sollten. Nun wollen sie Schadensersatzansprüche geltend machen und Strafanzeige gegen die Stuttgarter Staatsanwaltschaft und Richter sowie gegen den baden-württembergischen Justizminister Ulrich Goll (FDP) erstatten. Andreas Kamm: "Wir wissen, dass das keinen Erfolg haben wird, aber wir wollen ein Zeichen setzen."