Biografie
Andreas Baader war voller Widersprüche - brutal und charmant, unbeherrscht und witzig. Und er war die Nummer eins der RAF. Andreas Stern und Jörg Herrmann haben sein Leben nachgezeichnet. Das ist ihnen gelungen.
Wer Horst Mahler nach seiner Zeit in der Roten Armee Fraktion befragt, bekommt in aller Regel sehr selbstbewusste Analysen zu hören: Schließlich war es der Rechtsanwalt, dessen politische "Karriere" von ganz links nach ganz rechts verlief, der die Idee hatte, eine Stadtguerilla auf westdeutschem Boden zu gründen und die Gründungsmitglieder der Gruppe zusammentrommelte - etwas, auf das Mahler auch heute noch spürbar stolz ist. Nur wenn das Gespräch auf eine Person kommt, verliert er die gute Laune: Andreas Baader. Kein Wunder - obwohl Mahler Baader in seinem Brandstifter-Prozess verteidigt und nach dem Zusammenschluss der Gruppe mit in ein Ausbildungslager der Fatah nach Jordanien genommen hatte, wurde der in SDS-Kreisen so prominente Rechtsanwalt nur wenig später von dem Schulabbrecher und Gelegenheitsjobber degradiert. Er habe sich immer gefragt, was gerade die Frauen in der RAF an Baader gefunden hätten und versucht, sie von ihrer Fixierung "auf Andreas" abzubringen, so Mahler. Ohne Erfolg: Sowohl innerhalb der Gruppe als auch in der öffentlichen Wahrnehmung avancierte Baader zum unbestrittenen Leitwolf der Gruppe.
Über Andreas Baader ist bereits viel gesagt und geschrieben worden: dass er in Jordanien in engen Samthosen durch den Wüs-tensand robbte, sowohl von Frauen als auch Männern begehrt wurde, schnelle Autos liebte und ohne Führerschein fuhr. Er wurde Monster genannt und Dandy, sowohl für eine intellektuelle Niete als auch einen brillanten Denker gehalten. Doch wer war der Mann hinter dem Mythos? Diese Frage wollen Andreas Stern und Jörg Herrmann in ihrem Buch "Andreas Baader. Das Leben eines Staatsfeindes" beantworten -und es gelingt ihnen, auch wenn bei der Beschreibung eines Menschen und seiner Entwicklung naturgemäß immer weiße Fle-cken bleiben.
Dass die erste Baader-Biografie so gut ausfallen konnte, liegt daran, dass die Autoren sich wirklich auf den Menschen Baader konzentrieren und sich nicht in zu umfangreichen Schilderungen der Umstände, die zur Gründung der RAF führten, oder der x-ten Analyse der RAF-Binnenstruktur verlieren. Baaders Geschichte wird chronologisch und schlüssig erzählt, ohne unnötiges Psychologisieren oder Deuten.
Insbesondere der Dokumentarfilmer Klaus Stern - der das Lebens Baaders bis zu seiner Festnahme 1972 erzählt und dann von Jörg Herrmann abgelöst wird, der sich den letzten fünf Lebensjahren des Terroristen widmet, hat sich tief in das Leben des Mannes eingegraben, der von seiner Lebensgefährtin "das Gewissen des Metropolenproletariats" genannt wurde. Er hat dafür mit Baaders Familie, vielen Wegbegleitern, Anwälten und ehemaligen RAF-Mitgliedern gesprochen. Und er hat Ello Michel zum Reden gebracht - die frühere Partnerin Baaders, mit der der Terrorist eine Tochter hatte und die sich viele Jahre lang beharrlich weigerte, ihre Geschichte zu erzählen. All das hat Stern für seinen Film "Andreas Baader - Der Staatsfeind" zusammengetragen und nun, stringent und flüssig geschrieben, als Buch vorgelegt. Auch der Theologe und Publizist Jörg Stern hat neue Quellen erschlossen und aufschlussreiche Gespräche geführt, etwa mit dem ersten Richter des Stammheim-Prozesses, Theo Prinzing, und Baaders ehemaliger Anwältin Marieluise Becker.
Das Bild, das die Autoren dabei von Baader zeichnen, ist äußerst facettenreich. Da ist einerseits der Baader, der brutal und unbeherrscht war, der möglicherweise eigenhändig eine junge Frau exekutierte, die aus der RAF aussteigen wollte und deshalb zum Sicherheitsrisko geworden war: "Andreas Baader war von Anfang an umgeben von der Aura der Gewalt." Andereseits gab es auch den Baader, der charamant und witzig sein konnte. Traudel Haas, eine ehemalige Freundin, erinnert sich, Baader habe manchmal so etwas "Unschuldiges, Weiches, Verlorenes" im Blick gehabt, dass man ihm nicht hätte böse sein können. Der Schriftsteller und ehemalige Weggefährte Peter O. Chotjewitz fasste Baaders Zwiespältigkeit zusammen: "Er war voller Widersprüche. Intellektuell und spontan, sanft und zupackend, witzig und flink, ungeduldig und cool. Ziemlich sexy."
Anders als oft kolportiert, so die Autoren, sei Baader nicht dumm gewesen. Sie arbeiten vielmehr eindrucksvoll heraus, wie clever Baader dabei war, sowohl seine Anwälte als auch die Sympathisanten der RAF zu manipulieren. Immer wieder gelang es ihm, mit Hungerstreiks - an denen er sich, anders als etwa Holger Meins, nie konsequent beteiligte - in der Öffentlichkeit Betroffenheit über die vermeintlich unmenschlichen Haftbedingungen der RAF-Gefangenen zu erzeugen. Während "draußen" von Isolationsfolter die Rede war, durften sich Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl-Raspe gemeinsam in einem Raum aufhalten, hatten Fernseher, Bücher und Zeitungen. Damit nicht genug: Obwohl Baader wegen Mordes im Gefängnis saß, durfte er im Dezember 1974 medienwirksam den französischen Schriftsteller Jean-Paul Sartre empfangen. Dass der, so erinnert sich jedenfalls Daniel Cohn-Bendit, nach dem Gespräch urteilte, Baader sei "ein Arschloch", blieb in der Berichterstattung über die Begegnung unerwähnt.
Baader konnte deshalb zum unangefochtenen Anführer der RAF werden, weil er seine Umgebung manipulierte. Die hochintelligente Gudrun Ensslin ließ sich von ihm ebenso mit wüsten Beschimpfungen malträtieren wie die Journalistin Ulrike Meinhof. Die zweite Generation der RAF-Mitglieder ließ sich von ihm abkanzeln - "nach dem, was ich in zehn Gefängnissen begriffen habe, hörst du besser erst mal ein halbes Jahr zu." Sein Anwalt Armin Golzem konstatiert, Baader habe "besondere Energien" und einen "politischen Machtins-tinkt" gehabt - darin sei er "allen anderen Mitgliedern deutlich überlegen" und "die absolute Nummer eins" gewesen.
Eine Einschätzung, die Baader selbst wohl noch mehr als alle anderen verinnerlicht hatte. Niemals, so Stern und Herrmann, habe er Zweifel gehabt oder Selbstkritik geübt. Auch die Autoren halten sich damit wohltuend zurück. Die Distanz, die sie zu ihrem Forschungsobjekt haben, ist der wohl größte Gewinn ihres Buches - und erfüllen damit alle Wünsche, die man an eine Biografie haben kann.
Andreas Baader. Das Leben eines Staatsfeindes.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2007; 360 S., 15 ¤